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Der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich.
© dpa

Literaturkritik: Wann hören Sie auf, die Erde zu verwüsten?

In seiner Novelle „Sire, ich eile“ erzählt der Berliner Schriftsteller Hans Joachim Schädlich von der Hassliebe zwischen Friedrich II. und Voltaire.

Eine Freundschaft war die Beziehung zwischen Friedrich dem Großen und Voltaire wohl nicht, eher ein Zweckbündnis. Friedrich war ehrgeizig, erpicht darauf, seinen Ruhm zu mehren, deshalb wandte er sich 1736 in einem Brief an Voltaire, der als Fürst der Aufklärung galt. Er nannte ihn einen „ingeniösen Schöpfer“, dessen Werke „mit soviel Geschmack, Delikatesse und Kunst gearbeitet“ seien, „dass ihre Schönheiten bei jedem Wiederlesen ganz neu erscheinen“. Voltaire fühlte sich geschmeichelt und feierte den preußischen Kronprinzen in seinem Antwortschreiben als „Fürsten-Philosophen, der die Menschen beglücken wird“. Hier hatten zwei Geister zueinandergefunden, die füreinander bestimmt zu sein schienen. Dass der Prinz und der Philosoph einander Briefe schrieben, machte bald an den Höfen Europas die Runde. Geschadet hat es ihrem Ansehen nicht.

„Sire, ich eile“ heißt, nach einem Wort Voltaires, eine Novelle, in der der Berliner Schriftsteller Hans Joachim Schädlich passend zum Friedrich-Jahr die Geschichte vom König und dem Denker erzählt. Friedrich war 24, als sie begann, Voltaire 42. Der Kronprinz hatte im Schloss Rheinsberg einen Kreis von Diplomaten, Künstlern und Offizieren um sich geschart und vertrieb sich, so Schädlich „die Wartezeit mit Philosophieren, Versifizieren, Musizieren, Korrespondieren, Komponieren“. Auch Voltaire lebte in der Provinz, im Schloss seiner Geliebten in Cirey-sur-Blaise, von wo aus er schnell nach Holland hätte fliehen können.

Denn der Schriftsteller war zwar berühmt, aber auch gefährdet. In Paris wäre er wahrscheinlich in die Bastille geworfen worden, die er bereits zweimal von innen kennengelernt hatte. Seine „Lettres philosophiques sur les Anglais“, in denen er den französischen Adel kritisiert hatte, waren verboten und verbrannt worden. Schädlich schildert Cirey als Idyll. Zwischen 20 000 Büchern und in einem eigens eingerichteten physikalischen Laboratorium fühlten sich Voltaire und Emilie du Chatelet, seine Geliebte, glücklich, „als Liebende, als geistige Arbeiter, als Freunde“.

Emilie ist schön und klug, seit ihrer Kindheit beschäftigt sie sich mit Mathematik und Philosophie, sie übersetzt aus dem Lateinischen und Englischen, veröffentlicht physikalische Aufsätze. Friedrich umwirbt Voltaire, er bescheinigt ihm, „der größte Mann Frankreichs“ zu sein und lädt ihn nach Preußen ein. Emilie reagiert darauf mit Eifersucht. „Er ist flegelhaft-arrogant, ein Machtmensch“, lässt Schädlich sie sagen. „Er will dich besitzen, wie er andere Schmuckstücke besitzt. Du sollst seinen Ruhm mehren.“ Im November 1740, kurz nach Friedrichs Thronbesteigung, fährt Voltaire erstmals nach Berlin. Es folgen Tischgesellschaften, geistvolle Dispute und Flötenkonzerte. Doch über seine Pläne lässt der König den Besucher im Unklaren. Als er auf der Rückreise erfährt, dass preußische Truppen Schlesien überfallen haben, ist Voltaire erbost. Später schreibt er Friedrich: „Werden Sie denn niemals aufhören, Sie und Ihre Amtsbrüder, die Könige, diese Erde zu verwüsten, die Sie, sagen Sie, so gerne glücklich machen wollen?“ Aber er fügt hinzu: „Dennoch, großer König, lieb’ ich Sie.“

Auf Emphase folgt Enttäuschung, es ist ein Durcheinander von Liebe und Desillusionierung, das Schädlich beschreibt. Sein Tonfall ist lakonisch. Souverän arrangiert er das historische Material, zitiert aus den Briefen von Friedrich und Voltaire, nur einige Dialoge zwischen Voltaire und Emilie hat er dazuerfunden. Seine Sympathien gehören Voltaire, der es ernst meint mit seinem Kampf für die Erlösung des Menschen aus dem Joch althergebrachter Autoritäten. Friedrich dagegen wirft seine aufklärerischen Ideale schnell über den Haufen, wenn es darum geht, die eigene Macht zu vergrößern. Ein Philosoph auf dem Thron? Diese Idee funktioniert nur auf dem Papier.

1750 – Emilie ist ein paar Monate zuvor im Kindbett gestorben – fährt Voltaire noch einmal nach Berlin. „Sire, ich eile, ich werde kommen, tot oder lebendig“, schreibt er. Doch diesmal endet der Besuch im Desaster. Friedrich ernennt Voltaire zu seinem Kammerherrn, verleiht ihm den Orden Pour le Mérite und gewährt ihm ein üppiges Jahressalär von 20 000 Livres. Aber als der Philosoph mit Steuerscheinen spekuliert und sich in einem Streit an der Königlich-Preußischen Akademie für einen befreundeten Mathematiker einsetzt, fällt er in Ungnade.

„Ich brauche ihn höchstens noch ein Jahr. Man presst eine Orange aus und wirft die Schale weg“, spottet Friedrich. Voltaires Abreise gleicht einer Flucht. Weil er den Orden, einen Kammerherren-Schlüssel und einen Band mit Gedichten des Königs mitnimmt, sorgt Friedrich dafür, dass Voltaire in Frankfurt am Main festgenommen und wochenlang unter Hausarrest gestellt wird. Am Ende lässt Friedrich Voltaire wissen, dass er „ein Mensch ohne Ehre“ sei, von dem er „nichts mehr wissen“ wolle. Da hat Voltaire längst beschlossen, den König „in meinem Leben nicht wiederzusehen“.

Nach dieser Affäre war Voltaire in Frankreich zur Persona non grata geworden. Ludwig XV., der Friedrich nicht verstimmen will, verweigert die Heimkehr. Voltaire kauft sich am Genfer See eine Villa, die er „Les Délices“ nennt, die Wonnen. Dort endet Schädlichs Buch. Voltaire und Friedrich sollten bald danach ihre Korrespondenz wieder aufnehmen. Bis zu Voltaires Tod schrieben sie sich freundliche Briefe. Doch vertraut haben sie einander wohl nicht mehr.

Hans Joachim Schädlich: Sire, ich eile. Voltaire bei Friedrich II. Eine Novelle. Rowohlt, Reinbek 2012, 144 Seiten, 16,95 €.

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