Kultur: Wann haben Sie bemerkt, dass Sie weiß sind?
Die Berliner Ausstellung „Making Mirrors“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst spürt rassistischen Stereotypen nach
Selten war der Anteil farbiger Künstler in einem Berliner Ausstellungsprojekt so hoch wie in „Making Mirrors“, veranstaltet vom basisdemokratischen Kunstverein NGBK in Kreuzberg. Aber oops, stopp – ist das jetzt überhaupt politisch korrekt, so etwas zu schreiben oder auch nur zu denken? Schon ist man mittendrin in den Fragen und Themen, die das aus einer Diskussionsreihe hervorgegangene Projekt fokussiert.
In seiner Performance „Negerkuss“ stülpt sich der amerikanische Künstler Wayne Hodge das Klischee des schwarzen Mannes in Form einer Gummimaske über den Kopf, schmiert sich die Lippen schwarz ein und knutscht eine marmorweiße Porträtskulptur der Kleopatra so lange ab, bis sie über und über verschmiert ist. Der aggressive Liebesakt besudelt die sakrosankte, ideale Reinheit der traditionellen „weißen“ Hochkultur – und verwandelt die ägyptische Königin in eine „Schwarze“ zurück.
Der in Haiti geborene Jean-Ulrick Désert hingegen hat das Antlitz der „Schwarzen Venus“ Josephine Baker hundertfach in goldene und silberne Metallfolie geprägt und lässt die Porträtmünzen auf rotem Samt wie Sterne am Himmel glänzen. Sein „The Goddess Project“ verleiht der berühmten Tänzerin die Aura einer majestätischen Göttin. Im kulturellen Gedächtnis Berlins ist sie eher als erotische Varieténummer im Bananenröckchen präsent. Noch ein verdrehtes Klischee.
Die Künstlerin Rajkamal Kahlon dagegen setzt auf die subversive Kraft der Ironie. Ihre Gemälde persiflieren ein von der deutschen Botschaft in Amerika herausgegebenes Malbuch für Kinder: Eine Ausmalkarte der deutschen Bundesländer bestückt sie mit Städtenamen wie Kabul, Kairo und Ramallah. Dem Rattenfänger von Hameln heftet sie eine Schar Burka-Trägerinnen an die Fersen.
Für die Ausstellung hat eine mehrköpfige Kuratorengruppe 13 Künstlerinnen und Künstler ausgewählt, die sämtliche Gattungen vom digital bearbeiteten Foto über Dokumentarvideos, Skulptur und Malerei bis hin zur Materialinstallation abdecken. Mehrere Arbeiten rücken der sozialen Realität mit Feldforschungen zu Leibe, mal klug und hintersinnig, mal platt und klischeehaft. Etwa wenn eine Aktion im Stil des unsichtbaren Theaters rabiate Ausweiskontrolleure in der U-Bahn auf dunkelhäutige Opfer losschickt – die natürlich als Mitspieler eingeweiht sind –, um die Zivilcourage des Zufallspublikums auszutesten.
Oliver Walker und Dave Ball wiederum laden am kommenden Freitag ab 19 Uhr zur „Dinner Party“ (Voranmeldung unter oliver@oliverwalker.com). Vier Mitspieler sitzen am Tisch, jeder einzelne ist über Kopfhörer mit einem weiteren Gast in einer Einzelkabine verbunden. Die Kabinengäste flüstern den Tischgästen ein, was diese sagen sollen – und unterhalten sich auf diese Weise miteinander. So kommen Walker und Ball den Prozessen sozialer Interaktion auf die Spur: Nicht im Sehen, sondern im Denken sind die Raster verankert. Im Alltag ist es schwierig, die kulturellen Klischees außer Kraft zu setzen, die unsere Wahrnehmung bestimmen.
„Wann haben Sie zum ersten Mal bemerkt, dass Sie schwarz/weiß/of color sind?“ fragt Eske Wollrads Wandtext die Besucher. Wer selbst zum Akteur eines künstlerischen Experiments werden möchte, kann ein T-Shirt der Künstlerin Farida Heuck kaufen. Und gucken, was passiert, wenn man mit der Aufschrift „Seitdem ich einen deutschen Pass habe, kann ich endlich zu einem Arschloch auch Arschloch sagen“ herumläuft.
Schon mehrere Jahren beackert die NGBK-Gruppe, die die Ausstellung kuratiert hat, ihr Themenfeld der „Critical Whiteness“, angeregt von postkolonialen Theoriediskursen in den USA. Selbstorganisierte Projektgruppen bestreiten seit 1969 das Programm des Kunstvereins. Jetzt steht nach mehr als zwanzig Jahren ein Generationswechsel an: Die frühere Geschäftsführerin Leonie Baumann wird Rektorin der Kunsthochschule Weißensee. Ihre Nachfolgerin in der NGBK wird die 42-jährige Kulturwissenschaftlerin Karin Rebbert. Sie hat sich in partizipatorischen und interaktiven Kunstprojekten engagiert und als Leiterin der Kunstvermittlung bei der Documenta 11 einen Namen gemacht. Elke Linda Buchholz
Bis 31. Juli, täglich 12-19 Uhr, Do-Sa bis 20 Uhr, Eintritt frei. Infos zum Rahmenprogramm unter www.makingmirrors.org
Elke Linda Buchholz
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