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© dpa

Bayreuth: Wagner-Trauerfeier: Dass alles wieder gut wird

Wolfgang Wagner wollte keine große Trauerfeier. Und doch war das Nachspiel auf dem Grünen Hügel in Bayreuth nach seiner Art.

Geweint wird allem Anschein nach wenig. Draußen vor den Türen, ja, da greift mancher verstohlen zum Taschentuch, als es vorüber ist und ein paar letzte Sonnenstrahlen das Festspielhaus doch noch in ein fröstelig-goldenes Licht tauchen. Drinnen aber, im dreiviertelvollen Saal, unter all den Gästen und Prominenten von Angela Merkel bis Kirsten Harms, von Bernd Neumann über Hans-Dietrich Genscher bis Gwyneth Jones, bleibt man gefasst. Vielleicht weil Wolfgang Wagner selbst kein rührseliger Typ gewesen ist. Und auch weil das Foto, das die Bühne beherrscht und ihn schätzungsweise vor zehn Jahren zeigt, als 80-Jährigen, mit Goldrandbrille und Krawatte, so kernig wirkt, so unverwüstlich, als würde der „Alte“ im nächsten Augenblick zur Tür herein poltern und mit einem einzigen fränkischen Stockhieb die ganze Versammlung in Luft auflösen.

Wolfgangs Töchter Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner haben sich mit dieser öffentlichen Trauerfeier über den Willen ihres Vaters hinweggesetzt. Der hatte eine Gedenkstunde „in kleiner Runde“ verfügt und wahrscheinlich wusste er, warum. Nicht dass sich Michael Hohl als Bayreuther Oberbürgermeister und Geschäftsführer der Richard-Wagner-Stiftung sowie, nach ihm, der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer keine Mühe gegeben hätten. Beider Redenschreiber aber haben erkennbar so wenig mit Kultur, mit Musik, mit dem Oeuvre Richard Wagners und der Persönlichkeit seines dienstältesten Enkels am Hut, dass man sich innigst die Neunzigerjahre zurückwünschte, als wenigstens noch Hohls Vorgänger Dieter Mronz und Edmund Stoiber an den jeweiligen Rudern saßen. Seehofer immerhin macht am Ende einen respektablen Diener in Richtung des Wagnerschen Konterfeis. Als einziger.

Makabrerweise gehört das Phrasendreschen wohl mit zum Geschäft. Überhaupt dienen solche Festivitäten mehr den Lebenden als den Toten. Während jener ersten beiden Reden allerdings droht die Stimmung doch gefährlich ins Seelenlose zu kippen. Kein Wunder, wenn vom „Anhauch der Geschichte“ die Rede ist (Hohl) oder wenn der störrische Festspielleiter kurzum als „großer Franke“ durchgeht (Seehofer). Was müssen das für Zeiten gewesen sein, als Wolfgangs Bruder Wieland 1966 starb! Da sei ganz Bayreuth in Schockstarre gefallen, berichten Zeitzeugen, eine geradezu biblische Schwärze habe sich über das Leben gelegt. Der Sarg mit Wielands Leiche wurde damals von der Villa Wahnfried hinauf ins Festspielhaus getragen (!) und auf der Bühne aufgebahrt, wo Tausende Abschied nahmen. Solches Pathos traut sich heute niemand mehr.

Wolfgangs Leichnam, heißt es, soll bereits eingeäschert worden sein. Über den Verbleib der Urne wird hartnäckig geschwiegen. Liegt sie bereits unter den Rhododendronbüschen des Familiengrabs auf dem Bayreuther Stadtfriedhof, in aller Stille und Heimlichkeit, nachdem der Paparazzi-Rummel bei Gudrun Wagners Beerdigung vor zweieinhalb Jahren traumatische Ausmaße angenommen hatte? Oder steht dieser Akt noch bevor?

Selbstverständlich hilft Richard Wagners Musik der bedrohten Atmosphäre wieder auf. Christian Thielemann dirigiert ein sterlingsilbriges „Lohengrin“-Vorspiel zu Beginn, eine fulminante, liebesblühende, liebesglühende „Rheinfahrt“ aus der „Götterdämmerung“ sowie zum Ausklang Vorspiel und Choral aus den „Meistersingern“. Ergänzt wird dieses von Wolfgang Wagner selbst bestimmte Programm durch Mendelssohns Vertonung des 91. Psalms für Chor a cappella „Denn er hat seinen Engeln befohlen“ (in der Einstudierung von Eberhard Friedrich). Dass die Stimmen und Instrumente bisweilen nicht gleich ansprechen, mag der ungewohnten Kälte im Haus ebenso zuzuschreiben sein wie, doch, ja, einer auf der Bühne durchaus spürbaren Betroffenheit. Auch Thielemann, als er für die Künstler der Festspiele das Wort ergreift, tut dies mit belegter Stimme.

Der Retter dieser 110 Minuten aber heißt Joachim Thiery, er war so etwas wie Wolfgang Wagners Leibarzt. Thiery spricht persönlich, als Mensch über einen Freund. „Selbstlos, fürsorgend und gerade“ sei Wolfgang Wagner gewesen, das Neue, „nicht Vorhersagbare“ habe er gewollt, und geträumt habe er manchmal von einem eigenen Weinberg auf einer griechischen Insel. Und dann erzählt der Mediziner, wie sie 1992 die Lindenoper besuchten und in der Pause draußen auf und ab flanierten. Den Berliner Dom, sagte Wagner und deutete auf die andere Straßenseite, habe er 1945 brennen sehen, und wie schön es doch sei, „dass alles wieder zusammenkommt und gut wird“.

Die Frage nach letzten Worten, die dem Arzt seit dem 21. März oft gestellt wurde, verneint Thiery. Aber ein letztes Bild, das gäbe es, bitte nicht sentimental verstehen: ein Lächeln auf dem Gesicht des kranken, alten Mannes nach einem Kuss seiner Tochter Katharina. Und dann tut Thiery etwas, das viel mutiger und ehrlicher ist, als das Weltwagnerheil an die richtige oder falsche Sitzordnung bei dieser Trauerfeier zu knüpfen: Er bedankt sich bei der jüngsten Wolfgang-Tochter für die Hingabe, mit der sie ihrem Vater beigestanden sei, oft bis zur völligen Erschöpfung.

Dass dieselbe Katharina es als Machtinstrument begreift, die Verwandtschaft in der Mittelloge des Festspielhauses zu platzieren und keineswegs vorne in der ersten Reihe, wo sie und ihre Schwester Eva als Festspielleiterinnen zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer sitzen, mag man kleinlich finden oder strategisch unklug. Erstaunen sollte es einen nicht groß. In der Versöhnung war der Wagner-Clan schon immer ganz besonders schlecht, da hilft nicht einmal der Tod.

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