KLASSIK-CD der Woche: Vorne ist, wo wir sind
Die Berliner Philharmoniker gründen ihr eigenes Plattenlabel - und starten mit einer Schumann-Schatulle.
Nein, die zweite Geige spielen sie nicht gerne. Doch viel mehr hält der CD-Markt selbst für die Berliner Philharmoniker nicht mehr bereit. Und Jungstars bei ihren Potpourriplatten begleiten, das können andere auch, billiger dazu.
Also haben die Philharmoniker ihr eigenes Label gegründet und stellen mit den Symphonien Robert Schumanns unter Leitung von Simon Rattle ihre erste Veröffentlichung vor. Damit folgen sie einem Weg, den Spitzenorchester auf aller Welt beschreiten, ob in Amsterdam oder San Francisco: die mediale Verbreitung in eigener Hand zu behalten und weiter auszubauen. Dem Leinenschuber liegt nicht nur ein kostenloser Sieben-Tage-Zugang zur Digital Concert Hall bei. Wem weder die CD-Auflösung noch die der Blu-Ray ausreicht, der kann Schumann auch in Studioqualität herunterladen – Hochgeschwindigkeitsinternet und gigantischer Speicher vorausgesetzt.
Während Audiophile, zwischen Datenformaten und Surround-Sound wechselnd, ihre Hifi-Anlage ausfahren können, haben diejenigen das Nachsehen, die bei einem Leineneinband noch an Bücher denken. Zwar gibt es 50 Seiten Booklet auf edlem Papier, doch zu lesen ist darauf nicht allzu viel (das aber zweisprachig). Die Botschaft ist deutlich: Die Philharmoniker wollen in allen medialen Kanälen auf der Höhe der Zeit präsent sein, aber nicht in den Verdacht geraten, dass Musikgenuss auch eine intellektuelle Herausforderung, ja Lust sein kann.
Stattdessen gibt es seitenweise Ansichten von Porzellanvasen eines Berliner Traditionshauses, die als bauchige Models das Erscheinungsbild der Philharmoniker-Edition prägen. Sicher kommen auch sie noch auf den Markt, um das Shop-Angebot preislich nach oben abzusichern.
Im dem Verpackungswunder aber funkelt ein Juwel: Die im vergangenen Jahr aufgezeichneten Schumann-Symphonien zeigen die Philharmoniker in absoluter Bestform. Auch wenn es beunruhigend klingt, dass Rattle im Bonus-Video erklärt, Schumann als manisch-depressiven Mendelssohn begreifen zu müssen – das Ergebnis elektrisiert. Fern aller mitgeschleppten Klassikerschwere schwingt sich das Orchester herrlich auf, überspannt zart klaffende Abgründe, verströmt sich herzerweichend: Das ist die pure Freude.
Die CD-Box ist erschienen bei „Berliner Philharmoniker Recordings“, 49 €. Erhältlich online, im Shop der Philharmonie sowie bei ausgesuchten Fachhändlern.
Ulrich Amling