100 Jahre Bauhaus: Von Weimar in die Welt
Das Bauhaus war eine Kunstschule mit internationaler Ausstrahlung. Jetzt beleuchtet das Haus der Kulturen der Welt diese in der Schau "bauhaus imaginista".
Die Moderne wurde nicht am Bauhaus erfunden. Soviel Ernüchterung muss sein, in der großen, mit allerhand Archivalien und Bauhaus-Raritäten bestückten Jubiläumsausstellung, die derzeit am Berliner Haus der Kulturen der Welt Station macht. „bauhaus imaginista“ heißt die Schau. Sie basiert auf einem groß angelegten Ausstellungs- und Forschungsprojekt, an dem die Kuratoren Marion von Osten und Grant Watson bereits seit mehreren Jahren arbeiten.
Mit einem weltweiten Team, beauftragt vom Goethe-Institut, von der Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar und dem HKW, untersuchten die beiden Moderne-Experten die internationalen Verflechtungen des in Weimar gegründeten Bauhauses, dessen Lehrer und Schüler im Nationalsozialismus in großer Zahl ins Exil flüchten mussten. Aber nicht allein um diesen Aspekt soll es hier gehen, nicht um den Ideentransfer von Deutschland in die Welt, sondern um das Bauhaus als von Beginn an transnationalem Projekt. Die Bauhäusler ließen sich von Handwerkstechniken aus aller Welt inspirieren, das ist bekannt. Und sie standen mit einer internationalen Avantgarde in regem Austausch, das belegt die Schau eindrücklich mit Briefen, Büchern und Zeitschriften sowie mit bisher unbekannten Geschichten von Begegnung und Aneignung.
Viel Recherchearbeit wurde hier geleistet. Es erfordert Fingerspitzengefühl, das dichte Material sinnvoll in einer Ausstellung zu präsentieren, die ja das Visuelle betont. Zumal an acht Orten von Moskau über Chicago bis Tel Aviv und Rabat bereits Ausstellungen, Workshops und Experimente stattgefunden haben, die nun in Berlin im Haus der Kulturen der Welt ihre große Synthese finden sollen.
Keimzelle für neue Formen des Zusammenlebens
Die Moderne ist ein kosmopolitisches Projekt lautet die These der in vier Kapitel gegliederten Schau. Jedem Kapitel ist ein ikonisches Bauhaus-Objekt vorangestellt, anhand dessen sich die internationale Geschichte aufrollen lässt. Das Kapitel „Corresponding with“ wird mit Walter Gropius’ Bauhaus-Manifest von 1919 eingeläutet, einem vierseitigen Flyer mit einem Druck von Lyonel Feininger auf der Vorderseite. Gropius konzipierte – als Reaktion auf den Nationalismus und Militarismus des Ersten Weltkriegs – die Bauhaus-Schule als offenen, international ausgerichteten Lernort.
Man sah es auch am Lehrkörper, der sehr international war, und an den Schülern, von denen 40 Prozent aus dem Ausland kamen. Allein war Gropius mit der Idee nicht. Im Ausstellungsteil „Corresponding with“ werden zwei parallel entstandene Kunst- und Gestaltungshochschulen in Asien vorgestellt, die sich wie das Bauhaus als Keimzellen für neue Formen des Zusammenlebens verstanden.
Eine davon ist die Kunstschule Kala Bhavan, die 1919 von dem Dichter und späteren Nobelpreisträger Rabindranath Tagore in Santinitekan gegründet wurde, 150 Kilometer nördlich von Kalkutta. Tagore und seinen Mitstreitern ging es darum, eine moderne, eigenständige Ästhetik zu entwickeln, nachdem die indische Kultur unter dem Einfluss der britischen Kolonialherren zerrieben worden war. Dabei griff der weitgereiste Tagore auf alle möglichen Inspirationsquellen zurück, vom traditionellen indischen Handwerk über buddhistische Höhlenmalerei bis zur britischen Arts- and-Crafts-Bewegung und weiteren Moderne-Strömungen in Europa.
Die Ausstellung zeigt Liegestühle, Sessel und Geschirr (alles Reproduktionen), die Tagore 1930 entworfen hat. Sie sehen schön aus, immer noch zeitgemäß, eine Synthese aus Schlichtheit und Ornament. Die Ähnlichkeiten mit dem Bauhaus liegen hier nicht in der Formensprache sondern im pädagogischen Konzept. Dass man in Deutschland und Indien voneinander wusste, beweist ein Brief. Die österreichische Kunsthistorikerin Stella Kramrisch, die zu dieser Zeit an der Kala Bhavan unterrichtete, hatte eine BauhausSchau in Kalkutta eingefädelt und korrespondierte mit dem Bauhaus-Lehrer Johannes Itten.
Auch in Japan wird das Bauhaus bis heute verehrt. Zu den ersten internationalen Studenten gehörten die Japaner Takehiko Mizutani, Michiko und Iwao Yamawaki, die 1932 in Weimar in der Klasse von Itten studierten. Dessen Unterrichtsmethoden brachten sie mit nach Japan zurück, wo speziell die Formstudien und Materialerkundungen des „Vorkurses“ weiterentwickelt wurden.
Geopolitische Verstrickungen
Bei den Ähnlichkeiten und Aneignungen stellen sich jedoch auch viele Fragen. Dem gehen die Kapitel „Learning from“ und „Moving away“ nach, in der großen Halle des ehemaligen Kongresszentrums. Hier werden auch die Ausstellungsteile aus Moskau, Neu-Delhi, Hangzhou und Sao Paulo zusammengeführt – eine Vereinigung, die trotz der Fülle der singulären Erzählungen sowohl die Widersprüche deutlich macht als auch die geopolitischen Verstrickungen der sich permanent wandelnden Bauhaus-Ideen.
Schön und sinnlich mit vielen beeindruckenden Objekten ist der von Grant Watson verantwortete Teil über das Weben, eine Handwerkskunst, die am Bauhaus auch von Frauen weiterentwickelt wurde. Dabei stellt sich die Frage, wie das Interesse der europäischen Bauhäusler an vormoderner asiatischer, afrikanischer und südamerikanischer Handwerkskunst aus heutiger Sicht zu bewerten ist. War es eine Aneignung mit kolonialem Impetus oder doch nur ein Versuch, alte Techniken zu studieren und eine universelle, visuelle Sprache zu entwickeln? Beides lässt sich wohl nicht voneinander trennen.
Mehrere zeitgenössische Künstler kommentieren in „bauhaus imaginista“ diese Aneignungsprozesse, etwa der in Berlin lebende französisch-algerische Künstler Kader Attia. In einer neuen Arbeit bezieht er sich auf eine Tunis-Reise Paul Klees im Jahr 1914 und auf dessen Beschäftigung mit dem lokalen Kunsthandwerk. Attia zeigt hinter Glas Schmuckstücke der Amazigh, der Berber, die Münzen verschiedener Kolonialmächte in ihre Schmiedearbeiten eingearbeitet haben: ein Akt der Selbstermächtigung.
Neu hinzugekommen ist der Teil „Still undead“ über das im Bauhaus verankerte Interesse an neuen Technologien, Licht und Sound und über die Freude am Spiel. Als Schlüsselobjekt dient hier die – seltene – Rekonstruktion von Kurt Schwerdtfegers „Reflektorische Farblichtspielen“, eines Apparats, in dem mittels von Hand bewegter Holzpanele und farbigem Licht der Eindruck von Kino entsteht. Die Farblichtspiele wurden erstmals 1922 ausprobiert, auf einem Bauhaus-Fest in der Wohnung von Wassily Kandinsky. Wie Farbe, Licht und Sound schließlich Eingang in den Pop und damit in die Konsumkultur fanden, das kann die Ausstellung dann aber doch nur anreißen.
Bis 10.6., Haus der Kulturen der Welt, Mi – Mo 11 – 19 Uhr. Infos: www.hkw.de
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