Ausstellung: Von Monstern und Göttinnen
Mann? Frau? Schön? Schrecklich? „Double Sexus“: Eine Doppelausstellung mit Werken von Louise Bourgeois und Hans Bellmer in der Berliner Sammlung Scharf-Gerstenberg.
Ungefähr da, wo einst die Nofretete stand und im abgedunkelten Marstall in ihrer ganzen Pracht erstrahlte, als sich das Ägyptische Museum noch in Charlottenburg befand, thront nun eine andere Majestät: ein kopfloses Wesen, das sprungbereit auf seinen Hinterbeinen hockt. Scharfe Krallen zeugen von seiner Kraft und Angriffslust. Am Oberkörper hängen sechs warzenlose Brüste. Der Phallus schlängelt sich als Schwanz zum Rücken. Von Schönheit kann keine Rede sein, eher von Schrecken. Die sphinxartige Gestalt besitzt magische Anziehungskraft, denn sie ist aus pinkfarbenem Latex geformt, verführerisch glatt.
„Nature Study“ hat Louise Bourgeois ihr 1984 entstandenes Werk genannt und verraten, dass sich ein Selbstporträt dahinter verbirgt. Außerdem erinnert die Skulptur von ferne an Diana von Ephesus, jene vielbrüstige Fruchtbarkeitsgöttin, von der erste Abbildungen aus hellenistischer Zeit stammen. Dieses Inbild einer Frau, die als Zeichen ihrer Furchtbarkeit Stierhoden um den Hals trägt, hat Künstler seit jeher fasziniert.
Im Werk von Louise Bourgeois, der großen amerikanischen Bildhauerin, taucht Diana von Ephesus immer wieder in verschiedenen Varianten auf. Sieben Jahre später schuf Bourgeois aus dem gleichen Material das Wandrelief „Mamelles“, eine Landschaft aus Eutern, wie die Künstlerin es beschreibt. Der Besucher ist versucht, sie zu betasten. Bourgeois spielt mit einer abstrahierten Sinnlichkeit, einer erotischen Aufladung, die auch eine komische Seite hat. So animierte sie 1978 den amerikanischen Kunstkritiker Gert Schiff bei einer Kostümparade, der Performance „The Banquet – A Show of Body Parts“, ein Gewand mit ebensolchen Ausstülpungen zu tragen.
Auch der Surrealist Hans Bellmer (1902–1975) hatte ein Faible für die Diana von Ephesus. Doch heiter wirkt das bei ihm nie. Die Vielbrüstigkeit erscheint in seinem Werk eher als eine Form der Besessenheit, die Doppelgeschlechtlichkeit als Versuch, erotische Fantasien zu bändigen. Welche Pein diese inneren Bilder für den Künstler bedeutet haben müssen, lässt die Skulptur „La Toupie“ (1965) erahnen, ein Kegel aus Brüsten, der sich wie ein Kreisel nach unten verjüngt und vor dem geistigen Auge zu drehen beginnt. Nicht Lust, sondern Gewalt kommt hier zum Ausdruck.
Bourgeois und Bellmer sind einander nie begegnet. Und doch besitzen ihre Arbeiten bemerkenswert viele Gemeinsamkeiten. In den letzten Jahren wurden die Werke der beiden immer wieder in Gruppenausstellungen präsentiert, doch die Staatlichen Museen widmen dem ungleichen Paar erstmals eine eigene Schau. Eine Premiere in doppelter Hinsicht, denn die Sammlung Scharf-Gerstenberg, die im vergangenen Sommer im östlichen Stülerbau eröffnet wurde, zeigt damit ihre erste Sonderausstellung. Sie wird aus dem Bestand des Hauses bestückt; Bellmer gehört darin zu den wichtigsten Positionen. Rund 20 Arbeiten der 70 Werke umfassenden Ausstellung stammen aus dem Besitz des Hauses, der Rest sind Leihgaben.
„Double Sexus“ ist diese Begegnung überschrieben in Anlehnung an Henry Millers Roman „Sexus“, der die Sexualität als Befreiungs-, mehr noch als Schöpfungsakt feiert. Das Buch, in den USA ein Skandal, erschien 1949 zunächst in Paris. Paris, das ist auch der Kreuzungspunkt für Bellmer und Bourgeois. Bellmer emigriert 1938 unter dem Druck der Nationalsozialisten aus Berlin in die französische Hauptstadt, nachdem die dortigen Surrealisten die Fotos der von ihm konstruierten Puppe begeistert in ihrer Zeitschrift „Minotaure“ abgedruckt haben. Der Deutsche hätte der Pariserin Bourgeois durchaus begegnen können: Sie lebt über der Galerie von André Breton und verkehrt in Surrealistenkreisen. Später geht die Tochter eines Gobelinrestaurators mit ihrem künftigen Mann, dem US-Kunsthistoriker Robert Goldwater, nach New York, wo die 90-Jährige heute noch lebt.
Doch wahrscheinlich hätten die beiden Künstler wenig miteinander anzufangen gewusst. Die aufgeladene Sexualität in Bellmers Werk speist sich aus dem Widerstand gegen den übermächtigen Vater und das politische System in Deutschland. Zugleich bedeutet die Konstruktion seiner lebensgroßen Puppe, die naturgetreu Lackschuhe, weiße Strümpfe und Haarschleife trägt und sich in immer groteskeren Verrenkungen neu zusammensetzt, eine Sublimierung der verbotenen Reize seiner minderjährigen Cousine Ursula. Bellmer schafft sich damit eine Gegenwelt. Bourgeois dagegen begehrt auf, pocht mit der variablen Geschlechtlichkeit ihrer Objekte auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Kyllikki Zacharias, die neue Kuratorin der Sammlung Scharf-Gerstenberg und des Berggruen Museums, nennt es Ich-Erstarkung.
Obwohl also von unterschiedlichem Ansinnen, lässt sich die Kunst der beiden auf den ersten Blick nicht immer auseinanderhalten. Das silbrig glänzende Bellmer-Objekt „Die Puppe (Rumpf)“ von 1935 im Entree könnte ebenso gut von Bourgeois stammen. Die Kugelgelenke an den Oberschenkeln des Doppelwesens, das nur aus Bauch und zwei Schößen besteht, erscheinen mal wie Brüste, mal wie Gesäßbacken, dann wieder wie Hoden. Im Hintergrund meint man, das Kichern von Louise Bourgeois zu vernehmen, die auf dem berühmten Fotoporträt von Robert Mapplethorpe mit breitem Grinsen einen riesigen Penis unter dem Arm trägt. Ein zweiter Abguss dieses Latexobjekts von 1968 hängt in der Berliner Ausstellung. Wer genau hinschaut, entdeckt eine Vulva zwischen den Hoden. Nichts scheint, wie es ist.
Sammlung Scharf-Gerstenberg, Schlossstr. 70, bis 15. 8.; Di-So 10-18 Uhr. Katalog (Distanz Verlag) 35 €. Nick Hornbys Theaterstück „Nipplejesus“ hat am 13.5. in der Sammlung Premiere.
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