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Fliegender Wechsel. Ein riesiges Ensemble aus Solisten und Staatsopernchor ist im Einsatz, während die wunderlichsten Dinge passieren.
©  Ruth Walz

"King Arthur" an der Berliner Staatsoper: Von Inseln und Einfaltspinseln

Modernes barockes Welttheater: René Jacobs dirigiert Henry Purcells „King Arthur“ an der Berliner Staatsoper. Nur das Finale verstört in seiner völligen Ironiefreiheit.

Es ist ein Abend, der eigentlich nur verzaubern möchte – und dann doch auf höchst verstörende Weise endet. Um Henry Purcells 1691 uraufgeführte Oper „King Arthur“ dem Publikum von heute ein wenig näher zu bringen, haben die Regisseure Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch eine Rahmenhandlung erfunden, die im 2. Weltkrieg spielt. Es geht um einen achtjährigen britischen Jungen, dessen Vater, ein Pilot, im Krieg gefallen ist. In seinen Träumen erscheint ihm der Tote als King Arthur, der mit Hilfe seines Großvaters, der zum Zauberer Merlin wird, die schöne Emmeline aus den Fängen des bösen Heidenherrschers Oswald befreit. Wobei die weibliche Protagonistin natürlich seine eigene Mutter ist.

Geschickt verweben die beiden Regisseure den britischen Gründungsmythos – der bei Purcell allerdings ohne die Tafelrunde und das Schwert Excalibur auskommt – mit einer filmrealistischen Story aus dem 20. Jahrhundert, lassen die Figuren zwischen den Erzählebenen hin- und herwechseln. So weit, so theaterpraktisch. Dann aber erscheint der Geist des toten Vaters ein letztes Mal, um seinem Filius einen „Befehl“ zu überbringen: „Sei gehorsam und diene der Nation“, dekretiert er in strengem Ton. „Zieh in die Schlacht!“ Woraufhin der Knabe tatsächlich widerstandslos einen im Bühnenbild integrierten Kampfbomber besteigt, um sich ebenfalls im Namen der Nation abschlachten zu lassen.

Nicht nur, dass Bechtolf und Crouch diese anachronistische Heldentod-Verherrlichung ungebrochen stehen lassen, sie setzen sogar noch eins drauf. Das Schlussbild ist nach Leni-Riefenstahl-Art inszeniert, der Vater ist zu pathetischen Trauermusik-Klängen wie ein Wagner’scher Siegfried aufgebahrt, die Mutter in einer Zarah-Leander-Robe bühnenmittig platziert, mit einem Flugzeugmodell in der Hand, ganz offensichtlich willens, nach dem Mann nun auch noch ihr Kind fürs Vaterland zu opfern.

In der Semi-Oper werden alle Genres gemixt

Eine szenisch fragwürdige Lösung, die nicht nur in Widerspruch zur originalen Oper steht, in der, trotz des patriotischen Sujets, ständig die Macht der Liebe beschworen wird, sondern auch zum Rest ihrer eigenen Inszenierung. Die orientiert sich nämlich ganz an der besonderen barocken Tradition der englischen Semi-Oper, bei der alle Genres der darstellenden Kunst gemixt werden, also Schauspiel und Gesang, Tanz, Maskerade, Pantomime und Volksstück, mit dem Ziel, den Zuschauern ein größtmögliches Entertainment zu bieten.

So entsteht eine zirzensische Lustbarkeit mit hohem Schauwert, eine gut dreistündige Kurzweil, die den Geist des 17. Jahrhunderts atmet und zugleich doch auch sehr postmodern wirkt. Die neu hinzuerfundenen Sprechszenen werden auf Deutsch gesprochen, Purcells Musiknummern dagegen auf Englisch gesungen, das Bühnenbild, für das ebenfalls Julian Crouch verantwortlich zeichnet, bietet avancierte optische Gimmicks mit raffinierten Projektionen neben ganz altmodischen Effekten, wenn beispielsweise bemalte Tücher, die von sichtbarer Menschenhand bewegt werden, das Meer repräsentieren.

Eine „typisch englische“ Tapete ist in vielen Szenen zu sehen, deren Streifenmuster aber auch zu tanzen beginnen kann, wenn mal wieder Zauberer in die Handlung eingreifen. Und die sich bei Bedarf sogar in einen Scherenschnitt-Wald verwandelt. Außerdem treten auf, von Kevin Polland fantastisch kostümiert: überlebensgroße wie spielzeughafte Puppen, singende Heuhaufen, grünhaarige Sirenen, Erd- und Luftgeister, resolute Krankenschwestern, saufende, feierwütige Proleten und ein Streifenmännchen mit wippendem Plüschprachtpenis.

Ein riesiges Ensemble ist da im Einsatz, mit enormem Probenaufwand sind die wunderlichen Dinge, die an den schnell wechselnden Handlungsorten passieren, untereinander verwoben, ja geradezu durchchoreografiert. Mal wird in opernhaften Reimen gesprochen, mal in altmodischem Versmaß deklamiert, wie in Shakespeare-Übersetzungen aus dem 19. Jahrhundert, dann wieder ganz heutig geflucht. Oliver Stokowski feuert als Einfaltspinsel Osmond auf Mario-Barth-Niveau in den Saal und sucht an seinem Handgelenk ständig nach einer Uhr, die ja „noch gar nicht erfunden“ ist. Meike Droste gibt als Emmeline die junge Naive, Hans-Michael Rehberg einen knorzig-raunenden Merlin und Ferdinand Kraemer bewegt sich als Kind durchs seltsame Geschehen, stumm, aber sehr sicher.

René Jacobs fügt noch zusätzliche Purcell-Pretiosen ein

Und wie so oft, wenn auf der Staatsopernbühne Barockes gespielt wird, weil Daniel Barenboim und seine Staatskapelle zu einer längeren Tournee im Ausland weilen (diesmal in Paris und New York), führt René Jacobs das musikalische Zepter im Orchestergraben. Mit der Akademie für Alte Musik verhilft er Purcells 328 Jahre alter Partitur zu neuem Leben, einer großartigen, immer wieder verblüffend originellen Musik, die andauernd tanzen will. Stark ist der rhythmische Puls aller Nummern, ob es nun um ernste Liebesdinge geht oder arkadische Schäferidylle, ob Britanniens glorreiche Zukunft besungen wird oder der Wollreichtum seiner Schafe. Selbst martialische Märsche klingen hier nach flotten Menuetten. Und damit die langen Dialogpassagen nicht langweilig werden, damit die musikalische Spannung nicht verloren geht, hat Jacobs aus dem reichen Instrumentalwerk Purcells zusätzlich noch lauter Pretiosen herausgepickt, die sich als Vor-, Nach- und Zwischenspiele nutzen lassen.

Während die Schauspieler jeweils nur eine Figur repräsentieren – darin aber recht holzschnittartig bleiben müssen –, übernehmen die Gesangssolisten diverse Rollen: Annett Fritsch ist mit koloratursicherem Sopran für alles zuständig, was Flügel hat, Robin Johannsen und Benno Schachtner bleiben vor allem dank eines anrührend keuschen Liebesduetts in Erinnerung, Markus Milhofer, Stephan Rügamer, Johannes Weisser und Arttu Kataja formieren sich im fliegenden Wechsel zu immer neuen Grüppchen von Fabel- und Menschenwesen. Fein fügen sich auch die Mitglieder des Staatsopernchors in dieses Spezialistenensemble, können stilistisch auf allen Ausdrucksebenen mithalten, ob in der sakralen Opferszene, als Naturgeister im Zauberwald oder auch als Volksliedsänger.

Diese „dramatick opera“, wie Purcell und sein Librettist John Dryden ihr ästhetisch schillerndes Opus nannten, ist Unterhaltung für Erwachsene mit Kinderherzen, mal sommernachtstraumhaft, mal staatstragend, dann wieder kasperltheatralisch. Aber immer niedlich und unschuldig. Umso rätselhafter bleibt, was Bechtolf und Crouch zu ihrer finalen Hurrapatriotismus-Volte getrieben haben mag. Mit dem geistigen Gehalt des Originals hat das, wie gesagt, überhaupt nichts zu tun. John Dryden ging es im Gegenteil darum, mit seiner zutiefst antimilitaristischen Version der Arthus-Sage die Kriegstreiberei des 1689 gekrönten Wilhelm von Oranien zu kritisieren.

Nur noch am 17., 19., 21. und 22. Januar

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