Deutsches Historisches Museum: Von der Schwierigkeit, deutsche Geschichte zu zeigen
Der Chef des DHM musste gehen. Gerade jetzt, wo deutsche Geschichte wieder in der Gefahr steht, instrumentalisiert zu werden. Ein Kommentar.
Als das Deutsche Historische Museum (DHM) im Oktober 1987 gegründet wurde und sein Initiator, Bundeskanzler Helmut Kohl, eine symbolische Grundsteinlegung im damals noch geisterhaft leeren Spreebogen vornahm, kam plötzlich ein Sturmwind auf. Die kleine Feierschar eilte in den damals funktionslosen Reichstag und ließ sich von Festredner Richard Löwenthal erläutern, warum die Bundesrepublik ein Geschichtsmuseum benötigte.
Es gab etliche, die nicht auf die Zukunft des Vorhabens wetten wollten. Keine Sammlung vorhanden, alle Zeugnisse der Geschichte anderswo bewahrt, erst recht die alte deutsche Kaiserkrone – in Wien!
Was dann folgte, war eine Erfolgsgeschichte: ein vollgültiges Haus mit riesiger und noch dazu qualitativ bestechender Sammlung entstand. Das Museum, durch die Gunst der Wiedervereinigung in die Mitte der Stadt hineingeweht, machte mit überraschenden Themen und Ausstellungen von sich reden und strafte alle Kleinmütigen Lügen, die den Umgang mit Geschichte bestenfalls für unzeitgemäß hielten. Vor allem aber jene, die ein Museum überhaupt für verwerflich hielten, weil es zu einer einheitlichen Sicht der Geschichte, zu nationaler Identitätsbildung dienen werde.
Und dann?
Dann hörte die schöne Erfolgsgeschichte irgendwann auf. Sie verebbte. Zank und Missgunst hielten Einzug, Ideen blieben aus, Mittelmaß wurde zum Alltag, wo Exzellenz gefordert ist. Rettungsversuche blieben wirkungslos, auch der Nach-Nachfolger des glorios gestarteten Gründungsdirektors half nicht weiter. Und jetzt die Bankrotterklärung: die Entlassung Alexander Kochs, notdürftig verschleiert. Es spielt schon keine Rolle mehr, ob er gegangen wurde oder nur darum gebeten, von selbst zu gehen.
Der Umgang mit deutscher Geschichte steht nicht mehr unter Generalverdacht
Ist es so schwierig, deutsche Geschichte zum Thema eines Museums zu machen? Geschichte auszustellen, selbstverständlich eingebettet in den „europäischen Kontext“, wie es dem Haus von Anfang an vorgegeben war, um die heftig wuchernden Ängste der Gründungszeit, hier solle nationaler Geist gezüchtet werden, einigermaßen zu dämpfen. Die Formel war ohnehin dummes Zeug, denn deutsche Geschichte war und ist immer europäische Geschichte, und eine national begrenzte Identität lässt sich schon gar nicht verordnen.
Ja, es ist schwierig. Keine Ausstellung bleibt ohne Kontroversen, soll sie nicht todlangweilig sein. Geschichte ist nichts Feststehendes; nicht einmal auf belangvolle Eckdaten vermag sich die Wissenschaft durchweg zu einigen. Geschichte wird ge- und überschrieben aus der Perspektive der Gegenwart. Schon was überhaupt ein geschichtliches Faktum ist oder doch nur beiläufiger Alltag, wird immer wieder neu bewertet. Es gehört schon ein weiter Horizont dazu, Themen aufzuspüren, Thesen zu entwickeln und zugleich Zeugnisse aus der Sammlung oder als Leihgaben beizubringen, Objekte, die Geschichte fassbar machen wie der Uniformrock von Preußens Friedrich oder das Lagertor von Buchenwald.
Kein einzelner muss das können, das Team des DHM ist schließlich groß und auswärtiger Sachverstand stets verfügbar. Aber an der Spitze muss eine Persönlichkeit stehen, die die Hand am Puls der Zeit hat und zudem ein Team bilden und beflügeln kann, um die gesammelten Objekte zum Sprechen zu bringen.
Das Museum als Bildungsanstalt
Anders als vor nun schon bald dreißig Jahren ist der Umgang mit deutscher Geschichte nicht mehr unter Generalverdacht gestellt. Die Wiedervereinigung hat zu keiner Re-Nationalisierung des Denkens geführt, und Geschichtsvergessenheit ist so ziemlich der lächerlichste Vorwurf, den man „den“ Deutschen machen kann, bei aller Ernsthaftigkeit im Umgang mit den Abgründen der Vergangenheit.
Dass deutsche Geschichte derzeit eher wieder in Gefahr steht, politisch instrumentalisiert zu werden, müsste als Anstoß empfunden werden von einem Museum, das Geschichte darstellen und zu ihrem Verständnis beitragen soll. Das Museum als Bildungsanstalt, so wie sich die Humboldts das gedacht haben, durch Neugier über Unterhaltung zum Lernen, schönstenfalls zur Bildung.
Gewiss ist nicht nur der jetzt geschasste Mann an der Spitze Schuld, wenn es im Hause rumort. Da müssen wohl auch einige über Jahre verfestigte Strukturen aufgeweicht werden. „Weiter so“ ist keine Option, der Austausch der Präsidentenstelle allein keine Lösung. Dass Kulturstaatsministerin Grütters, der die Aufsicht über das von ihrer Behörde finanzierte DHM obliegt, zunehmend ein „persönliches Regiment“ führt, verspricht nicht unbedingt Gutes. Grütters hat den versierten Briten Neil MacGregor ans Humboldt-Forum gelockt – vielleicht wäre er beim DHM nötiger, um die Blockaden aufzulösen?
Das Museum ist da, die Sammlung, der Wissensdurst des Publikums ohnehin. Woher kommen wir, wer sind wir, wohin gehen wir: Diese Kernfragen jeder Geschichtsbetrachtung stellen sich heute so drängend wie nur je zuvor. Geschichte ereignet sich, ständig, und wir wollen nicht nur später sagen können, wir seien dabei gewesen, sondern bereits jetzt erkennen, bei was wir dabei sind und warum. Das ist, mit einem Wort, die Stunde des Deutschen Historischen Museums.
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