„Land der ersten Dinge“ im Deutschen Theater: Von der Prager-Frühlings-Demonstrantin zur „Breschnew-Nutte“
Autorin Nino Haratischwili demonstriert in „Land der ersten Dinge“ im Deutschen Theater, wie man individuelle Protagonisten entlang georgische, sowjetische und europäische Geschichte erzählt.
Kein ganz ungefährliches Motto, das sich die „European Theatre Convention“ da ausgedacht hat. „Die Kunst des Alterns“ heißt ein EU-gefördertes Projekt, bei dem Theater aus Zagreb, Karlsruhe, Timisoara oder Braunschweig das existenzielle Finale auf ihren ästhetischen Mehrwert abklopfen. Aus Berlin ist das Deutsche Theater beteiligt, in Zusammenarbeit mit dem Slowakischen Nationaltheater Bratislava.
Die Zeichen standen eigentlich gut, dass man den letzten Lebensakt hier tatsächlich mal mit der angemessenen Intelligenz über die Bühne bekommt. Denn für den Text „Land der ersten Dinge“ zeichnet die in Georgien geborene und in Hamburg lebende Autorin Nino Haratischwili verantwortlich, die in ihrem jüngsten Roman „Das achte Leben (Für Brilka)“ bestechend demonstriert, wie man an starken individuellen Protagonisten entlang georgische, sowjetische, europäische Geschichte erzählt. Und auch die Regisseurin Brit Bartkowiak, ehemals Assistentin von Dimiter Gotscheff oder Nicolas Stemann, hat schon hinlänglich inszenatorischen Tiefsinn bewiesen.
Von der Prager-Frühlings-Demonstrantin zur „Breschnew-Nutte“
De facto sind dann in der kleinen DT-Box zwei betont gegensätzliche Seniorinnen – ein westdeutscher Pflegefall mit Powerfrauen-Vergangenheit und eine osteuropäische Dissidenten-Tochter ohne Geld – aufeinandergeworfen. Die Bettlägerige West, Lara, wird von der rüstigen Post-Mauerfall-Zugewanderten Ost, Natalia, zu Hause rundumversorgt. Und leider nimmt der Klischeegehalt im weiteren Verlauf des Dramas nicht ab.
Beide Frauen werden regelmäßig von toten Männern aus ihrer Vergangenheit heimgesucht, die man sich als eine Art personifiziertes Schuldbewusstsein vorzustellen hat und die in Bartkowiaks Inszenierung tatsächlich hinter der Zimmergardine hervortreten wie der Geist im Kindertheater. In Laras Fall übernimmt den Gewissensjob der Ex-Enkel (Eric Wehlan), in Natalias der Ex-Gatte (Dušan Jamrich). Wir erfahren: Lara West wie Natalia Ost haben als junge Frauen ihre Ideale verraten. Die eine mutierte von der linken Anwältin der Armen, Ausgestoßenen und Gebeutelten zur „blöden Schlampe, die sich für ein Haus, eine Garage und einen gemähten Rasen entschieden hat“; die andere von der Prager-Frühlings-Demonstrantin zur „Breschnew-Nutte“.
Haratischwili schneidet ihren Figuren die Luft ab
Wirklich schade, dass Haratischwili ihre Figuren zu derart spiegelbildlichen Systemrepräsentantinnen zurechtstutzen will. Mit ihren überkonstruierten und abenteuerlich schrägen Gesellschafts-, Schuld- und Sühnevergleichen klemmt die Autorin den Damen die Luft ab. Rechts grantelt Gabriele Heinz als Lara im lila Satinschlafanzug abendfüllend aus einem medizinischen Bett heraus, das der „Praxis Bülowbogen“ alle Ehre machen würde. Davor stößt ihre Kollegin Emília Vášáryová vom Slowakischen Nationaltheater mit dem Apfelschäler in der Hand und der Backschüssel auf dem Schoß kopfschüttelnd muttersprachliche Flüche aus.
Immerhin: Der Putzigkeitsringelpiez bleibt aus. Das Altern als wirklich hirnaktivierende Kunstform aber eben auch.
Wieder am heutigen Montag sowie vom 12. bis 14. 12.
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