Martin Grubinger im Konzerthaus: Von der Erotik des Schlagzeugs
Der Schlagzeuger Martin Grubinger beweist mit dem RSB im Konzerthaus, dass er längst in einer eigenen Liga spielt.
Ja, es geht eigentlich ums Hören. Aber auch ums Sehen. Unmöglich, bei Martin Grubinger nicht hinzuschauen. Weil ständig alles in Bewegung ist. Schlagzeuger thronen ja schon in „normalen“ Symphoniekonzerten unübersehbar wie Hohepriester über dem Geschehen. Ein Effekt, den Grubinger noch um ein Vielfaches potenziert. Der 33-Jährige Österreicher hat in den letzten Jahren unendlich viel für die Renommesteigerung oder überhaupt erst Wahrnehmung des Schlagwerks als Soloinstrument getan.
Jetzt steht er im Konzerthaus, umgeben von einer ganzen Schlagwerkbatterie, für „Tears of Nature“. Tan Dun hat ihm das Stück 2012 auf den Leib geschrieben. Drei Sätze, drei Naturkatastrophen. Mit grummelnden Pauken evoziert Dun die Erinnerung an das Erdbeben von Sichuan 2008. Dann wechselt Grubinger zur Marimba, deren engelhafter Ton die Opfer des Tsunami in Japan beweinen soll, und schließlich zu den Trommeln, in denen sich der kratzige, sperrige Charakter New Yorks nach dem Hurrikan Sandy spiegelt. Mitreißend, wie der Klangmagier Grubinger als Luftgeist hin- und hertanzt, alle Register zieht, mahlereske Kuhglocken läutet. Und überhaupt dem Perkussiven, dem ja immer ein Gewaltmoment, ein Augenblick des Schlagens, Dreschens und Hauens eingeschrieben ist, alle Brutalität nimmt, es einer völlig neuen Eleganz zuführt. Seine physische, erotische Dimension spürbar werden lässt. Da rinnt der Schweiß, Grubinger trocknet die Hände wie ein Freikletterer mit weißem Pulver. Musik als Sport.
Energie wie Lavabrocken
Er spielt längst in einer eigenen Liga, die er im Grunde erst geschaffen hat. Grubinger ist nämlich viel mehr als Schlagzeuger. Er ist Klangperformer. In Peter Eötvös „Speaking Drums“ gerinnt Sprache – in Gestalt von ungarischen und altindischen Lautgedichten – zur Musik. Ein zweites Solistenstück, das zieht den Abend in die Länge. Aber es lohnt sich. Grubinger stöhnt barbarisch, wird zum schnarrenden Schamanen, grunst, blökt, macht sich zum Gorilla, ohne je affig zu wirken. Von ihm geht eine Energie aus, die wie Lavabrocken in den Saal spritzt. Verlässlich, vieles erahnend kooperiert das Rundfunk-Sinfonieorchester unter der Leitung von Marko Letonja mit dem Solisten, die vertrackten Einsätze kommen passgenau, mit ein paar Proben war es da sicher nicht getan.
Die Musiker dürfen nach der Pause noch alleine zeigen, was sie drauf haben – und die Traditionalisten im Publikum nach so viel Neuer Musik mit russischer Romantik befriedigen. Leider hat das Horn, das Tschaikowskys 2. Symphonie markant mit dem Volkslied „Drunten bei der Mutter Wolga“ eröffnet, keinen guten Tag, findet aber nach anfänglichem Sprotzeln immer wieder schnell zu rundem Klang. Letonja dirigiert gütig, fast buddhistisch, ein bisschen verschlumpft. Der daraus resultierende Klang spricht eine verblüffend andere Sprache, ist harzig und krachledern. Solchermaßen ausgerüstet geht’s ins Finale, in dem Tschaikowsky, schelmisch grinsend, noch ein Volkslied mit Mussorgsky-Zitaten verrührt. Und das slawische Herz steht sperrangelweit offen.