Literatur: Von Chinapfanne zu neoliberaler Beliebigkeit
Jörg-Uwe Albigs Roman "Berlin Palace" ist ein Gedankenexperiment: Die Deutschen sind die Exoten, die Wirtschaftsflüchtlinge - während sich die chinesische Oberklasse an gerösteten Heuschrecken gütlich tut.
Fleißig sind sie und diszipliniert. Undurchschaubar und ein wenig unheimlich. Vor allem aber sind sie viele. Unser Chinabild ist geprägt von einer schwer trennbaren Melange aus Wahrheit, Klischee, Vorurteilen und medial verzerrten Bildern. Unser Unbehagen rührt nicht zuletzt aus der Gewissheit, dass die Weltmacht China erst an einem Anfang steht, nur im Bereich der Ökonomie.
Jörg-Uwe Albig ist ein Spezialist für spiegelverkehrte Szenarien. In seinem vorangegangenem Roman „Land voller Liebe“ imaginiert er den Untergang der vom Kapitalismus zerfressenen BRD im Jahre 1989. Nach der Revolution bleibt eine gesamtdeutsche DDR übrig. Auch Albigs neuer Roman „Berlin Palace“ ist ein ähnlich strukturiertes Gedankenexperiment: Sein China des Jahres 2033 ähnelt, abgesehen von einigen Exotismen, unserer der neoliberalen Beliebigkeit ausgesetzten europäischen Gegenwart zum Verwechseln. Die Exoten, die Wirtschaftsflüchtlinge; diejenigen, die die Windschutzscheiben der an den Ampeln wartenden Autos mit der Zunge reinigen, das sind die Europäer, vor allem Deutsche, getrennt von den Einheimischen in einem Wohngetto namens Schwalbenstadt lebend, in kuriosen Bars wie dem Berlin Palace verkehrend, wo alle Gäste schwitzen, Massen von Bier in sich hineintun und ein griesgrämiger Wirt „Huhn Mann vom Dreh“ serviert, während die chinesische Oberklasse sich an gerösteten Heuschrecken gütlich tut.
Jörg-Uwe Albig schlägt aus dieser Grundkonstellation prächtige Pointen. Die Germanen geraten bei ihm zum Urbild des Rohen, Wilden und Unverstellten. Aber so amüsant dieses Spiel mit der eigenen und der fremden Perspektive auf das vermeintlich Eigene auch ist – ein Roman braucht zumindest ansatzweise so etwas wie eine Handlung, und die kommt in diesem Fall keinen Schritt voran.
Der Werbefilmer Li Ai soll einen Spot für das Parfüm „Wald“ drehen, kommt auf den Gedanken, das Ganze in ein germanisches Hänsel-und-Gretel-Hexenhaus-Ambiente einzubetten und als Hauptdarstellerin die Chinesin Olympia zu engagieren, in die Li Ai rettungslos verschossen ist. Und weil das arg dünn ist, bläst Albig seinen Text mit allerlei Kalauern, Lebensweisheiten („Die Liebe war ein Sojakeim“) und einem kruden Finale zu epischer Breite auf. Doch letztendlich ist „Berlin Palace“ nichts als ein bereits auf den ersten Seiten fertiggestelltes Bild, das unbeweglich in einem Text herumsteht. Und der Beweis, dass Kunst mehr ist als nur eine gute Idee.
Jörg-Uwe Albig: Berlin Palace. Roman. Tropen Verlag, Stuttgart 2010. 224 Seiten, 19,90 Euro
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