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Vor 80 Jahren. Studenten sammeln Bücher für die NS–Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz. Am 10. Mai 1933 wurden hier und in vielen anderen Universitätsstädten „Bücher undeutschen Geistes“ – so der Nazi-Jargon – verbrannt.
© picture-alliance / IMAGNO/Austri

Deutsche Literatur im Exil: Von Berlin nach Babylon

An diesem Freitag jähren sich die NS-Bücherverbrennungen zum 80. Mal. Die Autoren, die vom Bannstrahl betroffen waren, waren alles andere als eine homogene Gruppe. Die Prägungen "deutsch" oder "jüdisch" vertieften sich im Exil sogar noch. Eine Untersuchung.

Das Einheitliche an einer deutschen Nationalkultur hatte schon der Literaturhistoriker Ludwig Geiger vermisst, als er 1910 konstatierte, „dass es eine ausschließliche deutsche Kunst fast niemals gegeben hat“. Sein Kollege Gustav Krojanker stimmte ihm zu, er betrachtete die deutsche Literatur „als Inbegriff recht verschiedener Prägungen“. In radikaler Zuspitzung hatte Friedrich Nietzsche von einer besonderen „jüdischen Prägung“ der deutschen Literatur gesprochen und damit auch das Stichwort für eine pathetische Debatte über den „deutsch-jüdischen Parnass“ (1912) geliefert. Als der jüdische Kulturhistoriker Siegmund Kaznelson 1933 dieses Zitat aufgriff und seinem Sammelwerk „Juden im deutschen Kulturbereich“ voranstellte, war das ein verständlicher Versuch, am Vorabend der Katastrophe die äußerst prekäre Idee einer „deutsch-jüdischen Symbiose“ zu retten.

Wie schwer es war, „deutsche“ von „undeutscher“ Literatur zu trennen, musste im Frühjahr 1933 auch der Berliner Germanist und Bibliothekar Wolfgang Herrmann erfahren, als er vom NS-Propagandaminister Goebbels (ebenfalls ein promovierter Germanist) den Auftrag erhielt, „schwarze Listen“ für „verbrennungswürdige Bücher“ aufzustellen. Indiziert werden sollten jene Bücher, die in Verdacht standen, „undeutschen Geist“ zu verbreiten. Das Problem fing mit Heinrich Heine an. Wie sollte man zum Beispiel den „Rabbi von Bacharach“ einordnen, mit all seiner Rheinromantik?

„Ob alle Bücher ausgemerzt werden müssen“, schrieb der etwas ratlose NS-Zensor in einem Schreiben an die Volksbüchereien, hänge davon ab, „wie weit die Lücken durch gute Neuanschaffungen aufgefüllt werden“ könnten. Angesichts solcher Unsicherheiten kursierten im Mai 1933 verschiedene, mit dem ausdrücklichen Vermerk der „Unvollständigkeit“ versehene Listen. Auch die bedrohten Autoren reagierten unterschiedlich. Als der für seinen drastischen Humor und volkstümlichen Realismus bekannte Oskar Maria Graf von den Verbrennungsritualen verschont blieb und sich sogar auf der Liste der „empfohlenen“ Literatur wiederfand, protestierte er nachdrücklich gegen „diese nicht verdiente Unehre“ und forderte: „Verbrennt mich!“

Thomas Mann hingegen, der im Gegensatz zum Bruder Heinrich und Sohn Klaus ebenfalls nicht auf Hermanns Verbrennungsliste stand, protestierte gegen die Versuche des „Völkischen Beobachters“, ihn dennoch zum „undeutschen“ Autor zu erklären. Nach seinem Schweizer Vortrag anlässlich des Wagner-Jubiläums im Februar 1933 zögerte Thomas Mann auf Anraten von Freunden zwar, nach Deutschland zurückzukehren, doch als Exilliterat mochte er sich nicht definiert sehen. Noch im Frühjahr 1934 hatte er von der Schweiz aus die nationalsozialistischen Behörden vergeblich um die Verlängerung seines abgelaufenen Passes und die Rückerstattung seines beschlagnahmten Münchner Besitzes gebeten. In seinem Bekenntnisdrang zur deutschen Kultur ließ sich der Nobelpreisträger sogar auf den Jargon der Verfemung ein, indem er sich dagegen verwahrte, „dass manche Landsleute in mir zuletzt nichts anderes mehr als einen entwurzelten Intellektuellen erblicken wollten und eine gewisse Europafähigkeit meiner Bücher mit charakterlosem Internationalismus verwechselten.“

Als der Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung, Eugen Korrodi, 1936 die Bedeutung der „in Deutschland verbliebenen Dichter“ im Vergleich zu den „jüdischen Exilautoren“ hervorhob, teilte ihm Thomas Mann öffentlich mit, „dass von einem durchaus oder auch nur vorwiegend jüdischen Gepräge der literarischen Emigration nicht gesprochen werden“ könne. Für manchen der Betroffenen klang das wie der Vorwurf, dass Goebbels die falschen Listen erstellt habe. Auch der damals weitaus radikalere Demokrat und Hitlergegner Heinrich Mann betonte, „die Juden“ seien „nur ein Teil der deutschen Emigration“ und die „Propaganda der Emigration“ dürfe sich nicht „allein gegen die Judenverfolgungen“ richten.

Das "andere Deutschland" war den Nazis kulturell ähnlicher als angenommen

Angesichts dieses Dilemmas waren die im Korrodi-Streit zu Unrecht auf den Status „jüdisch“ eingeengten Amsterdamer Exilverlage Querido und Allert de Lange bemüht, alle Exilautoren gleichberechtigt zu behandeln. Publizistische und literarische Selbstverständigungen über jüdische Schicksale waren ausdrücklich eingebettet in allgemeine thematische Tendenzen der deutschsprachigen Exilliteratur. So gehörten zu den Amsterdamer „Exilklassikern“ nicht nur Alfred Döblins „Amazonas“-Romane oder Lion Feuchtwangers „Die Geschwister Oppenheim“ und „Exil“, sondern ebenso Bertolt Brechts „Dreigroschenroman“, Heinrich Manns „Henri IV“-Bände oder Klaus Manns „Flucht in den Norden“ und „Mephisto“. Doch von einer „deutsch-jüdischen Symbiose“ konnte auch im Verlagswesen des Exils keine Rede mehr sein. Die für die deutsche Literatur generell konstitutiven Prägungen definierten sich für die Exilliteratur noch einmal neu. Offenbar existierten zwischen Hitlerdeutschland und dem anderen Deutschland mehr kulturelle Wesensverwandtschaften als angenommen. Besonders demonstrativ brachte Thomas Mann diesen Widerspruch zum Ausdruck, als er im Februar 1938 bei seiner Ankunft in New York amerikanischen Journalisten den berühmten Satz diktierte: „Where I am, there is Germany“. Dabei mag er nicht nur an Goethe gedacht haben, sondern ebenso an Vorbilder wie Ovid oder Dante Aligheri, die ihre großen Nationalepen in der Verbannung geschrieben haben.

Und wenn Lion Feuchtwanger in Los Angeles erklärte, dass „die äußere Landschaft des Dichters“ seine innere verändere, war auch damit nicht eine Anpassung an die aktuelle Exilsituation gemeint, sondern vielmehr seine erzwungene Rückbesinnung auf die alten Traditionen der Juden und „ihr Buch“. Anders als noch in Frankreich, wo Feuchtwanger, ähnlich wie Heinrich Mann, den Wert von Exilliteratur ausschließlich an ihrem politisch-moralischen Front-Charakter messen wollte, entdeckte er in Amerika die zeitlos-intellektuelle Dimension jüdisch beeinflusster Texte, die sich sogar in Hollywood verkaufen ließen.

Aber auch wenn Autoren wie Feuchtwanger, Arnold Zweig oder Alfred Döblin das Exil als jüdische Erfahrung verstanden und dezidiert auf biblische Stoffe und Figuren zurückgriffen, wie auf den Auszug aus Ägypten und die babylonische Gefangenschaft der Juden, war das nicht unbedingt eine religiöse Deutung. Selbst bei den Shoah-Dichtungen von Paul Celan oder Nelly Sachs ging es nicht mehr um die Erlösung vom Exil, sondern um die Vorstellung vom Exil ohne Ende. Anders als in der traditionellen jüdischen „Negation des Exils“ wurden später Exil und Diaspora auch als positive künstlerische Existenzformen erkannt.

Welchen kulturellen Fortschritt eine transnationale Diaspora generell für die moderne Literatur bedeutet, hat der spanische Dichter Juan Goytisolo in seiner Dankesrede für den Nelly-Sachs-Preis formuliert. Er selbst wurde während der Franco-Diktatur das Opfer „einer sowohl eingrenzenden als auch ausgrenzenden Doktrin“. Und seine wichtigste Exilerfahrung als Autor war, dass Kultur nur durch Kontakt und Vermischung entstehen und überleben könne. Exildichtung sei nur dann modern, wenn sie sich „gegen Nationalismus und Ethnozentrismus“ wende. Marcel Reich-Ranickis Klage, dass die wichtigsten jüdischen Exil-Autoren für die west- und ostdeutsche Nachkriegsliteratur gleichermaßen „Stimmen von draußen“ geblieben seien, war berechtigt. Doch für die Weltliteratur sind sie nicht verloren gegangen. Babylon war und ist ein Ort der Moderne.

Dem Jahrestag der Bücherverbrennung wird in Berlin an mehreren Orten gedacht:

Bebelplatz: Gedenkstunde am Freitag, 10. Mai um 16 Uhr, unter anderem mit Bischof Markus Dröge, Rabbiner Daniel Alter, HU-Präsident Jan-Hendrik Olbertz und Schauspielern des Deutschen Theaters.

Jüdisches Museum: Bis 15. September läuft die Ausstellung „Bambi und die Relativitätstheorie: Bücher auf dem Scheiterhaufen der Nazis“.

Akademie der Künste: Am Pariser Platz 4 wird Freitag um 19 Uhr der Bücherverbrennung gedacht, unter anderem mit dem Historiker Wolfgang Benz und dem Autor Günter Wallraff

Amerika-Gedenkbibliothek: Am Freitag um 20.15 Uhr erinnern neun Schauspieler des Maxim Gorki Theaters an verschiedenen Orten der Bibliothek an Werke und Schicksale der Autoren, deren Bücher verbrannt wurden. Bis 30. Mai zeigt außerdem der Themenraum eine repräsentative Auswahl von Originalausgaben der betroffenen Werke.

Literaturhaus Berlin: Gedenkveranstaltung von Villa Aurora e.V. und Literaturhaus mit Unterstützung der Atlantik-Brücke um 20 Uhr im Großen Saal.

Willi Jasper

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