"Tarquin" an der Berliner Staatsoper: Vom Werden eines Diktators
Effektvolles Musiktheater geht auch mit Zwölftontechnik: Ernst Kreneks Kammeroper „Tarquin“ in der Schillertheater-Werkstatt.
Ernst Krenek hat seine Kammeroper „Tarquin“ 1940 im US-Exil geschrieben, nach der Uraufführung 1950 präsentiert die Werkstatt der Staatsoper im Schillertheater erst die dritte Produktion des Werks. Dabei beweist Krenek, dass sich mit der Zwölftontechnik der Schönberg-Schule effektvolles Musiktheater schreiben lässt. Die Partitur ist für zwei Klaviere, Geige, Klarinette, Trompete und Schlagzeug instrumentiert, die musikalische Dramaturgie suggestiv, tonale Anklänge und ein leitmotivisch eingesetztes Thema mit Sehnsuchtsintervall und Rosenkavalier-Appeal erleichtern den Zugang. Emmet Laverys Libretto indessen ist schwach. Parabelhaft soll der Text die innere Verfassung eines europäischen Diktators zum Ausdruck bringen: Marius scheitert an seinem Ziel, Klassenbester zu werden und errichtet daraufhin ein Terrorregime, während sich der intellektuell überlegene Jugendfreund Cleon und die von beiden geliebte Corinna in der Opposition engagieren. Auf der Höhe seiner Macht begegnet der Diktator (der sich nun Tarquin nennt) Corinna wieder und bereut, als es zu spät ist.
Regisseurin Mascha Pörzgen zeigt die schwer verdauliche Mischung aus Didaktik und Sentimentalität in einer wohltuend nüchternen Versuchsanordnung: Die Handlung vollzieht sich im klinisch weißen Bühnenrechteck als Labor-Experiment, die Zuschauer dürfen sich mintgrüne Kittel überwerfen. Sehr weit trägt dieser Ansatz, der im zweiten Teil fast fallen gelassen wird, allerdings nicht: Offenbar soll gezeigt werden, dass den Forschern das Experiment entgleitet wie dem Diktator das Regime, nachdem sich sein Mitarbeiter als noch skrupelloser herausgestellt hat. Dennoch wünscht man sich angesichts der exzellenten musikalischen Umsetzung nach diesem Abend häufigere Begegnungen mit dem Opernkomponisten Krenek: Dirigent Max Renne koordiniert perfekt zwischen den Musikern der Staatskapelle und den sechs Sängern, allesamt Mitglieder des Opernstudios, die ihre Rollen mit bewundernswerter Souveränität im Griff haben. Das hervorragende Ensemble wird vom stimmgewaltigen und zugleich fein differenzierenden Bariton Maximilian Krummen und der mit müheloser Höhe beeindruckenden Sopranistin Sónia Grané angeführt.
Benedikt von Bernstorff