Kultur: Volkswagen in Dresden: Das Auge fährt mit
Unter den Augen von Bundeskanzler Schöder wurde gestern in Dresden die "Gläserne Manufaktur" eingeweiht, mit der Volkswagen den Einstieg in die Luxusklasse wagen will. Noch freilich sind alle Fenster verhängt, denn der Festakt fand nur im "Event-Bereich" der Anlage statt.
Unter den Augen von Bundeskanzler Schöder wurde gestern in Dresden die "Gläserne Manufaktur" eingeweiht, mit der Volkswagen den Einstieg in die Luxusklasse wagen will. Noch freilich sind alle Fenster verhängt, denn der Festakt fand nur im "Event-Bereich" der Anlage statt. Die gläserne Fabrik bleibt noch undurchsichtig - bis zur offiziellen Präsentation des "Phaeton" (der Erleuchtete) genannten, noch streng geheim gehaltenen Gefährts, das wie ein etwas größerer Audi aussehen soll und erst im März beim Autosalon in Genf präsentiert wird.
Industrielle Produktion, vornehmlich solche von Leittechnologien, beeindruckt seit jeher das unternehmungslustige Publikum. Werkbesichtigungen für die Öffentlichkeit gehören jedoch erst seit wenigen Jahrzehnten zum Funktionsprogramm, mit dessen räumlicher Organisation Architekten beauftragt werden. In avancierteren Fabriken werden nunmehr Besucherparcours mit eigenen Wegen, Aussichtspunkten und Serviceräumen eingebaut. Denn die Besucher sollen sich in der Produktionsstätte nicht unkontrolliert bewegen können, da jede Produktion ihre Betriebsgeheimnisse hat. Zudem könnten Besuchergruppen den Arbeitssablauf stören und die Unfallgefahr erhöhen.
Wenn VW nun in Dresden eine "Gläserne Manufaktur" eröffnet, geht der Konzern einen entscheidenden Schritt weiter: Die neugierigen Besucher werden nicht als Störfaktoren der Fabrikation begriffen. So wird für sie eigens mitten in der Stadt, am Großen Garten, "produziert", obwohl es unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten effizienter wäre, die Herstellung dort zu erledigen, wo die Mehrzahl der Einzelteile vorgefertigt wird. Doch nicht jeder Handgriff der langwierigen Entstehung eines Automobils kann das Interesse des Publikums finden, und so hat man sich in Dresden auf den spektakulärsten, anschaulichsten und bildhaftesten Moment beschränkt: die Endmontage.
In klinisch sauberem Ambiente schraubt weiß gewandetes Personal die edlen Karossen zusammen, als würde es sich um eine Theater-Inszenierung handeln, zur Erbauung des Publikums und unter den Argusaugen der von weither angereisten Halter, die der Geburt ihres künftigen Autos bis zum ersten Motorenschrei beiwohnen können. Für sie ist der Manufakturbesuch und die Entgegennahme des Gefährts Teil einer Kulturreise - verknüpft an die Dresdner Gemäldegalerie, die Meißner Porzellanmanufaktur und die Semperoper. Mit einigem Pathos wird so die Schlüsselübergabe eines fahrbaren Untersatzes zum Kulturereignis stilisiert. Als "Zwinger des 21. Jahrhunderts" beliebt man bei VW die 365 Millionen Mark teure Fabrik mit dem berühmten Dresdner Lustschloss zu vergleichen. Künftige Kulturveranstaltungen wie das von Peter Sloterdijk moderierte "Philosophische Quartett" des ZDF sollen diesen Anspruch an Ort und Stelle untermauern.
Der Bauplatz, der sich an der Stelle des kleinen ehemaligen Messegeländes in der Nordecke des Großen Gartens befindet, ist nicht unumstritten. Man hätte den Park wieder komplettieren müssen, hieß es im Vorfeld der damals schnell getroffenen Entscheidung. Der Standort sei für industrielle Zwecke völlig ungeeignet, da er nicht erweitert werden könne und die ohnehin problematische Verkehrssituation noch verschärfe. In der Tat musste ein zusätzliches Logistikzentrum im Westen der Stadt eingerichtet werden, von wo aus täglich 36-mal spezielle Güterstraßenbahnen die Autoteile taktgenau anliefern sollen. Wer die Dresdner Verkehrsverhältnisse kennt, wird dieses Zauberkunststück mit höchstem Interesse verfolgen.
Dass sich hinter "Gläserne Manufaktur" ein Etikettenschwindel verbirgt und nicht heißt, dass VW hier seine Edelkarossen in einer Art Gewächshaus vor aller Augen montiere, vermuteten Fachleute von Anbeginn an (vgl. Tagesspiegel vom 12.12.98). Schon bald konnte jeder Dresdner feststellen, dass das luzide, von innen beleuchtete Architekturmodell, wenn überhaupt, nur die halbe, die nächtliche Wahrheit versprochen hatte. Bei Nacht sind alle Katzen grau, bei Tag sind es die Glashäuser. Keine gläserne Autovitrine also, sondern mächtige Kubatur, die nicht mehr als barockes Lustgartenschlösschen, sondern als ein Stadt-Implantat empfunden wird, steht seit kurzem am Rand des Dresdner "Central Parks".
Dennoch kann sich das vom Münchner Architekten Gunter Henn entworfene Haus nicht ganz entscheiden, Stadt zu sein. Es distanziert sich an der Stübelallee unnahbar durch eine merkwürdige Abstandsfläche, eine Art Glacis, das "Betreten verboten" signalisiert. Niemand soll es wagen, an der gläsernen Fassade die Nase platt zu drücken. Man würde ohnehin keine Limousinen sehen, sondern nur die Stühle der Cafeteria. Überdies: Derzeit sind elegantere Glasfassaden aktuell, und wer einen derart zentralen Eingang wählt, sollte ihn in der Spiegelwand entweder effektvoll verschwinden lassen oder als Willkommensgeste ausformulieren.
Doch hereingebeten werden nur Kunden, die von der Lennéstraße her erwartet werden: Die Manufaktur spiegelt sich im Seerosenteich und der Besucher schreitet über eine Brücke zum Eingang. Doch auch der ist nur irgendwie Zwischenraum zwischen einer Art aufgebocktem, halbem Wohnwagen und einer konischen Aluminiumtüte, beide überfangen vom Vordach, das scharfkantig in den gläsernen Autosilo einschneidet. Im Gegensatz zur rationalistisch strengen Nordseite mit dem L-förmigen Montagegebäude gibt sich der "Eventbereich" als eine Collage von Baukörpern, die ihre Reize ob der gewaltsamen Anschlüsse und kuriosen Details nicht so recht entfalten kann.
Übel mitgespielt hat man zweifellos der früher von den "Jungen Pionieren" betriebenen, populären Parkeisenbahn. Die Miniaturbahn hätte ein gemütliches, mit dem Zeichenrepertoire des Dampflockzeitalters ausgestattetes, nostalgisches Bahnhöfchen verdient gehabt. Aber das haben die Architekten nicht begriffen und einen erbärmlich modernistischen Durchgangskiosk als "Bahnhof" zwischen den Bäumen versteckt, dessen eiförmiger Querschnitt mit der in Mode gekommenen biomorphen, blasenhaften "Blob"-Architektur konkurrieren soll.
Auch an der gläsernen Fabrik sind wechselnde Einflüsse aus der Weltarchitektur haften geblieben. So changiert der Entwurf von Gunter Henn, Hausarchitekt von Volkswagen, auf den auch die Wolfsburger Autostadt zurückgeht, zwischen einer Bibliothek von Perrault und einem Museum von Koolhaas sowie anderen Ikonen der Gegenwartsarchitektur. Aber keinem Bild will er so recht entsprechen. Vielleicht ist diese typologische Unentschlossenheit Weitsicht. Denn ob der Nachfolger des Manufakturgründers, VW-Chef Ferdinand Piëch, in fünf Jahren hier noch von der Straßenbahn angelieferte Teile zu teuren Kleinserien zusammenschrauben lässt, die in der Mercedes- und BMW-Klasse konkurrieren sollen, ist nicht nur in Dresden die bange Frage. Falls nicht, wird das spektakuläre Haus eine ganz andere Nutzung repräsentieren müssen.
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