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Ein Liebender, ein Rasender, traumwandlerisch sicher. Vittorio Grigolo als Alfredo in Götz Friedrichs Inszenierung.
© Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

Oper: Vittorio Grigolo: Goldstaub und Olivenöl

Tenorissimo! Vittorio Grigolo gibt sein Berlin-Debüt in der "Traviata" an der Deutschen Oper. Er vereint die Stärken von Villazon und Kaufmann.

Es ist immer dasselbe. Kaum biegt in der Oper eine echte Stimme um die Ecke, scheint alles, womit man sich im Musiktheater sonst so befasst, vergeben und vergessen. Alle Debatten, alle Krisen, Frauenbilder, Männerbilder, jedes Aasgeierkreisen. Paart sich diese Stimme überdies mit einem angenehmen Äußeren und weiß ihr Besitzer, was er auf einer Bühne zu tun hat, nämlich darzustellen, auszudrücken, glaubhaft zu machen, dann ist es bei einer Arie wie „Un dì felice“ rasch und endgültig um alle Kopfgeburten geschehen: diese Bittersüße, diese Glut! Dieses perfekte Smorzando, das den Liebenden an sein Liebesglück schier nicht rühren lässt! Und dieser Eros, dieses Feuer im Spiel, bei dem kein Klischee mehr stört, keine Weltumarmungsgeste, kein Standardgriff ans Herz!

Bleibt die Frage, ob das alles jetzt gegen den Kopf in der Oper spricht, so ganz im Allgemeinen, oder für die Göttlichkeit des Gesangs.

Vittorio Grigolo, vor 33 Jahren in der Toskana geboren und in Rom aufgewachsen, Wunderkind, Pavarotti-Schützling und Tenor, ist so eine Stimme. Mit dem Alfredo in Giuseppe Verdis „Traviata“ an der Deutschen Oper hat er nun sein Berlin-Debüt gegeben. Zwar klappert es kräftig im Orchester, gerade am Anfang, und die Beteiligten brauchen anderthalb Akte, um sich in Götz Friedrichs an sich unverwüstlicher Inszenierung zurechtzufinden – der Repertoirealltag, Stars hin oder her, will es offenbar so. Aber es kann passieren, dass jenes ominöse Startheater seinem Namen Ehre macht und dass zusammenwächst, was kaum zusammengehört, Faser für Faser, Szene für Szene, Ensemble für Ensemble. Und es passiert an der Bismarckstraße. Eine Sternstunde! Fast unglaublich, aber wahr. Unglaublich auch, weil Grigolos Vorschusslorbeeren jeden Rahmen sprengten. Und weil das Label, das man ihm verpasst hat, nun wirklich blöde klingt: The Italian Tenor.

Wie sich in „La Traviata“ der Kameliendamen-Mythos verdichtet, die Saga von der schwindsüchtigen Pariser Luxuskurtisane Violetta Valery, die erst im Tod die Liebe findet, eben jenen Alfredo Germont aus gutbürgerlichem Hause – das wird von Verdi mit der Präzision eines Scharfrichters vorgeführt. Die Partitur schwätzt und schwitzt nicht, sie kennt keine einzige Note zu viel, und aller behaupteten Rührseligkeit zum Trotz sind sämtliche Affekte und Emotionen dermaßen auf den Punkt gebracht, auch dramaturgisch, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder der Sängerdarsteller trifft oder er trifft nicht. Und Grigolo trifft. Traumwandlerisch sicher, hoch inspiriert, hellwach. Ein Liebender, ein Rasender, jung, männlich, herrlich muskulös.

Schon bei seinem ersten Auftritt hat man den Eindruck, der Tenor halte sich nur schwer im Zaum. Dahinter mag eine gewisse Latin-Lover-Attitüde stecken, wie der globale Nicht-Italiener sich den Italiener als eingeborenen Belcantisten eben so vorstellen soll; auch fällt Grigolo beim Schlussapplaus recht bereitwillig auf die Knie, was den Kreischpegel im Saal noch mal deutlich erhöht.

Stimmlich aber hat er solche Mätzchen und Effekthaschereien nicht nötig. Sicher, manches könnte schlichter sein, gerader, weniger aufwendig, und wenn er nervös ist, wie noch beim berühmten Trinklied „Libiamo ne’ lieti calici“ gleich zu Beginn, dann wird er etwas laut und breit und allgemein, dann beginnt auch das Vibrato zu flackern. Der Schmelz aber, den sein gut ausbalancierter Tenor entfalten kann, dieser Firnis aus Goldstaub und kalt geschleudertem Olivenöl, entschädigt umfänglich.

Ein Timbre, dunkler und viriler als Pavarottis, runder als Domingos, sinnlicher als das von Carreras. Und wer genau zuhört, etwa in Alfredos blindwütiger Schmähung der Violetta im zweiten Akt oder im finalen, kurzatmigen Liebesduett der beiden, das keine Nummer mehr ist, sondern auskomponiertes Sterben, Vergehen, Ersticken, der merkt, wie unerhört musikalisch der Italiener phrasiert, wie makellos seine Atemtechnik ist und wie überlegt er disponiert und gestaltet. Ein Sänger, der gerne Rennfahrer geworden wäre. Ein Jungstar mit Substanz, mit Kern, wie schön.

Bei Rolando Villazon ist es das sich Verzehren auf der Bühne, an dem man sich (nach wie vor) berauschen kann; bei Jonas Kaufmann ist es mehr das Kalkül der Wirkung. Vittorio Grigolo scheint die perfekte Mischung aus beidem zu sein. Und so zieht er an diesem Abend nach und nach alle Mitspieler in seinen Bann: Die zunächst arg lampenfiebrige, ja belegte Violetta von Patrizia Ciofi, die sich dann mutig freisingt und vor allem im dritten Akt mit einer gänzlich unweinerlichen „Addio del passato“-Arie beeindruckt; Altmeister Leo Nucci als Vater Germont mit knarzender Inbrunst und Autorität; und auch den Dirigenten Roberto Rizzi Brignoli, der sich nicht immer verständlich machen kann, aber zweifellos das Richtige will. Stehende Ovationen.

Wieder am 21. Januar. Außerdem stellt Vittorio Grigolo am 2. März in der Philharmonie sein aktuelles CD-Programm vor.

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