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Auch der längste Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Ai Weiwei im Kunsthaus Bregenz, am Fuße der Treppe in dem von Peter Zumthor entworfenen Bau. Foto: Sagmeister
© Sagmeister

Ai Weiwei in Bregenz: Villen für die Mongolei

Das Kunsthaus Bregenz erforscht die architektonischen Aspekte im Werk von Ai Weiwei

Von Weitem schon sind die roten Buchstaben zu sehen: „Free Ai Weiwei“ steht auf dem Dach des Kunsthauses Bregenz. Als der Chinese im April verhaftet wurde, war den Kuratoren am österreichischen Bodenseeufer sofort klar: Wir wollen eine Solidaritätsaktion starten! Schließlich sollte Mitte Juli in dem von Peter Zumthor errichteten Museum eine Ausstellung zum architektonischen Oeuvre Ai Weiweis starten. Als die riesigen Lettern dann schließlich montiert waren, hatten die chinesischen Behörden den Künstler aus der Untersuchungshaft entlassen.

Dass Ai Weiwei anschließend in seinem Pekinger Atelier unter Hausarrest gestellt wurde, stellt dann aber doch noch einen aktuellen Bezug zu Bregenz her. Bei dem Arbeits- und Wohn-Domizil in der chinesischen Hauptstadt war Ai nämlich sein eigener Architekt, im Jahr 1999 – und er löste damals sogar einen kleinen urbanistischen Boom aus. Den Vorort Caochangdi hatte er sich für sein Vorhaben gewählt, weil er verkehrsgünstig zwischen Zentrum und Flughafen liegt. Außerdem konnte er hier, in einer noch relativ ländlich geprägten Umgebung, drauflos planen, ohne sofort von der städtischen Bürokratie ausgebremst zu werden.

Einfach und billig sollte das Studio werden. Also wurde ein Rahmen aus Betonstützen errichtet, die Flächen mit vor Ort gebrannten Ziegeln aufgefüllt. Innen blieben die meisten Wände unverputzt, für die Böden musste nackter Beton genügen. Bis 2008 wuchs dann rund um Ais Atelier ein ganzes Künstler- und Galerienviertel heran, teils geplant von Ai Weiwei selber, teils in Nachahmung seines Vorbilds. Während er selber den anspruchslosen, schnell hochgezogenen Gebäuden keinerlei ästhetischen Wert beimisst, müht sich der Kunsthistoriker Andreas Lepik in einem Aufsatz für die Ausstellung, das Desinteresse Ais an der konkreten Umsetzung seiner Pläne zu nobilitieren. Dass er sich selten auf den Baustellen blicken ließ, wertet Lepik gar als künstlerischen Akt: „Er hielt sich zurück, um gewisse Entscheidungen den Handwerkern zu überlassen und sie damit in den kreativen Prozess einzubinden.“

Von der bescheidenen Blüte Caochangdis ist im Kunsthaus Bregenz allerdings nicht die Rede. Das urbanistische Hauptwerk des Künstlers fehlt also. Überhaupt entpuppt sich die ganze Ausstellung schnell als Mogelpackung: In drei Etagen findet sich ein einziges genuines Werk Ai Weiweis – und das hat mit Architektur herzlich wenig zu tun.

Acht Holzkisten mit je zwei Löchern stehen da, inspiriert von traditionellen chinesischen Schränken mit rundem Messingblech, wie man sie in jedem gehobenen Interieur-Shop sieht. Die Maserung der Huanghuali-Hölzer ist apart, die handwerkliche Verarbeitung ohne Nägel oder Schrauben perfekt. Einen politischen Bezug allerdings, wie man ihn bei Ai Weiwei erwartet, sucht man bei „Moon Chest“ vergebens. Der Blick durch die Löcher soll an- und abschwellende Mondphasen evozieren.

Bei allen realen Bauten, die in Bregenz mit Ai Weiwei in Verbindung gebracht werden, bleibt der jeweilige Anteil des Chinesen durchweg im Vagen. Da sind beispielsweise diese beiden Projekte außerhalb von New York, ein Wochenendhaus für zwei Galeristen, ein Anbau für die Villa eines anderen Galeristen. Hier scheint Ai lediglich der Katalysator zwischen dem Büro HHF und den Auftraggebern gewesen zu sein. Ähnlich seine Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron: Als der Künstler gebeten wird, für ein Retortenquartier in Jinhua, der Geburtsstadt seines Vaters, einen Park zu gestalten, vermittelt er den Kontakt zwischen der Stadtverwaltung und den Architekten, die er über seinen Schweizer Galeristen kennt. Herzog & de Meuron werden Generalplaner für das gesamte Viertel – und holen Ai Weiwei als „künstlerischen Berater“ beim Nationalstadion Peking ins Boot. Das fertige Stadion allerdings hat Ai aus Gründen des politischen Protests allerdings nie betreten.

Ambivalent wirkt auch seine Funktion als „Kurator“ bei einem Workshop, zu dem Herzog & de Meuron 2008 100 Architekten eingeladen haben. Es ging darum, für die boomende Industriestadt Ordos im chinesischen Teil der Mongolei Villen mit jeweils 1000 Quadratmetern zu entwerfen. „Im Westen wird viel mehr über Architektur nachgedacht als gebaut. In China ist es umgekehrt“, sagt Ai Weiwei. Darum sei es doch sinnvoll, „die ausländischen Wissensressourcen effizient zu nutzen“, um in seiner Heimat den Trend zu stoppen, die Städte oberflächlich optisch aufzudonnern, „als wären sie auf dem Weg zu einem Maskenball“. Aber müssen es denn ausgerechnet Luxusbauten für Neureiche inklusive Pool, Bibliothek und Doppelgarage sein? Zielen Ais urbanistischen Überlegungen sonst nicht stets darauf ab, wie auch die einfachen Leute in den Boomstädten vom neuen Wohlstand profitieren können?

Den Besucher beschleicht das ungute Gefühl, dass hier gerissene Westler versuchen, den Namen des aufrechten Künstlers zum eigenen Vorteil als Marketingtool zu missbrauchen – die Architekturbüros ebenso wie jetzt auch das Bregenzer Kunsthaus. Bei der Biennale in Venedig haben die Ausstellungsmacher vor dem österreichischen Pavillon 5000 Umhängetaschen mit dem Schriftzug „Free Ai Weiwei“ verteilen lassen. Und weil die roten Beutel so ein hübsches Mitbringsel sind, kann man sie jetzt auch im Kunsthaus kaufen. Ticketbesitzer zahlen dafür zwei, alle anderen vier Euro. Es ist so verdammt einfach mutig zu sein – wenn man in einer Demokratie lebt.

Kunsthaus Bregenz, bis 16. Oktober.

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