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Auf dem Sofa, nicht zwischen den Stühlen. Hatice Akyün hat sich in Berlin eingerichtet.
© Marie Galinsky

Interview mit Hatice Akyün: "Viele Türken führen in Deutschland ein ganz normales Leben"

Fast zehn Jahre ist es her, dass Hatice Akyüns Bestseller "Einmal Hans mit scharfer Sauce" herauskam. Nun ist das Buch verfilmt worden. Ein Gespräch mit ihr unter anderem darüber, wie sich die Integrationsdebatte über die Jahre zugleich verfeinert und vergröbert hat.

Frau Akyün, Ihr Leben kommt auf die Leinwand. Herzlichen Glückwunsch!
Manchmal denke ich, das alles war nicht für mich bestimmt. Ich bin die Tochter eines türkischen Gastarbeiters, im Duisburger Problemviertel Marxloh aufgewachsen. Aber offenbar hatte das Schicksal, der liebe Gott, Allah oder wer auch immer andere Pläne mit mir.

In dem Film geht es um Hatice, Mitte 30, erfolgreiche Journalistin und auf der Suche nach einem Mann, am liebsten einem deutschen. Warum hat es fast zehn Jahre gedauert, bis Ihr Bestseller „Einmal Hans mit scharfer Soße“ verfilmt wurde?

Vergegenwärtigen Sie sich mal, in welcher Zeit mein Buch 2005 erschienen ist. „Gegen die Wand“ von Fatih Akın hatte kurz zuvor den Goldenen Bären bei der Berlinale gewonnen. Es gab viele Bücher über unterdrückte türkische Frauen, es wurde über den sogenannten Ehrenmord an Hatun Sürücü hier in Berlin diskutiert. Alles Leidensgeschichten. Da kam ich mit meinem leichten Stoff, den ich mir nicht ausgedacht hatte. Alle runzelten die Stirn: Das kann doch jetzt gar nicht stimmen. Es musste erst eine gewisse Entwicklung stattfinden.

Wie meinen Sie das konkret?
Ich beziehe das auf die Art und Weise, wie heute über Migranten geschrieben wird und wie sie wahrgenommen werden. Es gibt nicht mehr nur schwarz und weiß, sondern ganz viele unterschiedliche Grautöne. In meiner Anfangszeit als Journalistin wollte man von mir immer Geschichten über Ehrenmorde oder nicht integrierte türkische Familien. Dass ich die nicht liefern konnte, weil ich nur Menschen kannte, die so lebten wie ich, stieß auf Unverständnis. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir sagen: Ja, es gibt Integrationsdefizite, Kinder ohne Schulbildung, kriminelle Söhne, unterdrückte Töchter – aber wir haben eben auch viele Türken in Deutschland, die ein ganz normales Leben führen. Die Normalität ist viel sichtbarer geworden.

Woran machen Sie die Veränderung fest?
Man muss sich nur einmal erinnern. Vor zehn Jahren hat Sibel Kekilli in „Gegen die Wand“ noch die unterdrückte Türkin gespielt. Heute ist sie eine „Tatort“-Ermittlerin mit deutschem Namen. Fahri Yardım war in früheren Filmen immer der Kriminelle, heute ermittelt er als Partner von Til Schweiger. Das wäre vor zehn Jahren noch nicht denkbar gewesen.

Dafür gibt es jetzt einen regelrechten Boom von deutschen Multikulti-Komödien.
Ja. Aber mein Stoff unterscheidet sich immer noch. Wir haben hier zum ersten Mal im Film die Geschichte einer selbstbewussten türkischstämmigen Frau, die nicht unterdrückt ist, kein Kopftuch trägt, einen Beruf hat. Es gibt also keinen Leidensdruck. Sie ist nicht das Mädchen, das von zu Hause abhaut, zwangsverheiratet werden soll oder auf der Flucht vor ihrer Familie ist. Das gab es im deutschen Film bisher noch nicht.

Hatice ist eine emanzipierte Frau, die trotzdem zwischen zwei Welten hin- und hergerissen ist, weil ihre Eltern sie so schnell wie möglich verheiratet wissen wollen. Ist das Bild der gelungenen Integration also nur ein Trugschluss?
Nein, gar nicht. Meine Eltern denken ja nicht, dass ich einen Mann brauche, der auf mich aufpasst. Im Film gibt es eine Szene, da sagt der Vater: „Ich will doch nur, dass meine Tochter einen Mann findet, der ihr die Füße wärmt.“ Diese emotionale Wärme: Das assoziieren türkische Eltern mit Heiraten.

Trotzdem sind Sie heute immer noch nicht unter der Haube.
Jetzt habe ich ja ein Kind, und alles ist gut. Meine Tochter ist meine emotionale Lebensversicherung. Was meinem Vater heute Sorgen bereitet, ist mein Beruf. Ich habe ja am Amtsgericht eine Ausbildung gemacht. Das war ein sicherer Job. Lange Zeit hat er sich gewünscht, ich wäre nicht Journalistin geworden. Wenn ich ihm morgen sagen würde, ich hätte eine Festanstellung bei einer Versicherung oder etwas noch Langweiligeres: Er würde sofort eine Party schmeißen.

Gab es Frauen in Ihrem Leben, die Ihnen als Vorbild dienten?
Ich hatte eine Klassenlehrerin, Frau Kruse, die mich sehr inspiriert hat. Die war Mitte 20, nicht verheiratet und kam morgens mit ihrem kleinen roten Auto zur Schule. Aus meinem Umfeld kannte ich nur verheiratete Frauen oder Frauen, die darauf warteten, geheiratet zu werden. Frau Kruse war die erste Frau, die anders war. Ich dachte: Wow, was die für ein tolles Leben haben muss! Die kommt nach Hause, es ist niemand da. Sie kann machen, was sie will und muss sich niemandem gegenüber rechtfertigen. Das hat mich nachhaltig beeindruckt.

Charlottenburg ist mir so nah wie Neukölln.

Auf dem Sofa, nicht zwischen den Stühlen. Hatice Akyün hat sich in Berlin eingerichtet.
Auf dem Sofa, nicht zwischen den Stühlen. Hatice Akyün hat sich in Berlin eingerichtet.
© Marie Galinsky

Heute leben Sie im bürgerlichen Charlottenburg, die Filmpremiere fand in Neukölln statt. Wie verbinden Sie diese Gegensätze?
Für mich sind das keine Gegensätze, das ist mein Leben. Charlottenburg ist mir genauso nah wie Neukölln. Als ich auf dem Weg zur Premiere aus der U-Bahn gestiegen bin, haben ein paar Türken-Jungs ihre Sprüche gemacht. Ich weiß, wie sie's meinen, es ist mir nicht fremd. Gleichzeitig kann ich natürlich nachvollziehen, dass sich eine deutsche Frau mulmig gefühlt hätte. Weil sie die Situation nicht einschätzen kann. Die Öffentlichkeit hält sich ja gern an einem konstruierten Szenario fest: Neukölln – Parallelgesellschaft – oh mein Gott!

Aber es gibt unbestreitbar Probleme, gerade in Neukölln.
Natürlich. Aber ich sage Ihnen was: Neulich war ich in Zehlendorf, in einer Villengegend – das ist für mich eine Parallelgesellschaft! Da fühle ich mich fremder.

Trotzdem sind Sie vor 14 Jahren, als Sie nach Berlin kamen, nach Mitte gezogen und nicht nach Kreuzberg. Warum?
Ich fand es in Kreuzberg toll und wäre dann in meiner türkischen Welt gewesen. Aber Mitte hat mir auch gut gefallen, und das ist der deutsche Teil von mir. Als es mir irgendwann zu touristisch wurde, bin ich nach Charlottenburg gezogen. Mit Kind lebt es sich hier einfach besser. Dieses Geordnete, dieses Ruhige. Ich kann samstags über meinen Markt gehen. Es ist nicht so hektisch. Auf der anderen Seite liebe ich es auch, am Wochenende zum Mehringdamm zu fahren oder in die Oranienstraße. Beides ist mir sehr nah, beides sind Teile von mir.

Sie sind ein Musterbeispiel für das, was man gelungene Integration nennt. Spüren Sie noch Rechtfertigungsdruck?
Wenn mich jemand dazu befragt, habe ich das Bedürfnis, mich zu erklären. Wahrscheinlich liegt es an meinem Naturell. Ich möchte gerne harmonisch leben. Mit Reden kann man vieles aus der Welt schaffen. Vorurteile, Missverständnisse. Streitereien.

Strengt es an, als Erklärerin türkischer Befindlichkeiten herhalten zu müssen?
An manchen Tagen sage ich mir: Ich will unbedingt reden. An anderen stehe ich morgens auf, gucke in den Spiegel und denke: Ich bin so müde. Ganz aktuell werde ich in fast jedem Interview zu Erdoğan befragt. Ich möchte da eigentlich nichts mehr zu sagen. Ich habe den Mann nicht gewählt, ich lebe nicht in der Türkei. Ich könnte Ihnen jetzt sofort eine Stunde lang alles über deutsche Politik erzählen. Meine Bundeskanzlerin ist Angela Merkel, mein Bundespräsident ist Joachim Gauck.

Was an Ihnen ist typisch deutsch?
Wahrscheinlich die Disziplin. Vor allem beim Schreiben. Ich gehe eine Runde joggen, dusche, setze mich an den Schreibtisch und stehe nach sechs Stunden wieder auf. Feridun Zaimoğlu soll beim Schreiben Kette rauchen und Rotwein trinken. Das könnte ich gar nicht. Nach einem Glas würde ich mit dem Kopf auf die Tastatur knallen und damit war’s das.

Sehr untypisch türkisch ist in jedem Fall, wie im Film per Zeitraffer Ihre Beziehungsbiografie verhandelt wird.
Definitiv. Die eigenen Männergeschichten so komprimiert auf der Leinwand zu sehen, hat mich sehr erschreckt. Da war dann wieder das anatolische Dorf in meinem Hinterkopf, das schlechte Gewissen. Ich habe mich gefragt: Wie werde ich das meinem Vater erklären? Andererseits geht es ja um die Suche nach der großen Liebe, da bleibt etwas Verschnitt übrig.

„Einmal Hans mit scharfer Sauce“ kommt am 12. Juni in die Kinos. Die Fragen in diesem Gespräch stellte Nana Heymann.

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