"The Ghost Writer": Verschlossene Gesellschaft
Roman Polanskis leiser Politthriller "The Ghost Writer" erzählt von Machtverlust, Klaustrophobie und Einsamkeit.
Dies ist ein Film, an dem die Realität herumzerrt bis zuletzt. Einer, der herausgeschält sein will aus all den spektakulären Nachrichten der letzten Monate, einer, dessen Bilder sorgsam befreit sein wollen aus den vermischten Fotos, und dann legen sie sich doch wieder übereinander – Schlieren über Schlieren, die die Wahrnehmung trüben.
Zum Beispiel die Hubschrauber-Szene. Eigentlich will Adam Lang im bunkerartigen Ferienhaus seines US-Verlegers seine Memoiren fertigstellen. Aber weil der britische Ex-Premier terrorismusverdächtige Landsleute zwecks Folter der CIA zugeschoben hat und ihm nun der Kriegsverbrecherprozess in Den Haag droht, ist draußen der Teufel los: Protestierer rotten sich zusammen, und ein Hubschrauber, aus dem ein Fernsehteam geradewegs ins Wohnzimmer filmt, hängt ohrenbetäubend knatternd mitten im Bild.
Wer denkt da nicht an Roman Polanski in seinem Blockhaus im Promi-Ferienort Gstaad – unter Hausarrest und dauerbelagert durch Medien, die anfangs sogar Hubschrauber gemietet hatten zur besonders investigativen Erkundung des Geländes? Mehr noch: Ist Filmheld Adam Lang, der wenigstens auf der Ferieninsel Martha’s Vineyard, Massachusetts, sicher sein kann vorm Internationalen Gerichtshof, nicht das perfekte Alter Ego des Regisseurs, der nur in Frankreich sicher ist vor der Vollstreckung eines 32 Jahre alten US-Haftbefehls? Kurzum: Schreit im „Ghost Writer“ ein Filmkünstler die Qual seines Lebens heraus?
Die Parallelen verblüffen, doch schneiden sie sich bloß im Unendlichen. Denn „The Ghost Writer“, die werkgetreue Verfilmung von Richard Harris’ Polit-Thriller „The Ghost“ (2007), ist ein klassisches Auftragsprojekt. Gedreht von Februar bis Mai 2009 in Deutschland – Monate vor Polanskis überraschender Verhaftung im September in Zürich. Und sogar über den Schnitt hatte der Regisseur volle Kontrolle, wenn auch unter dann widrigen Gefangenschaftsumständen.
Fremdstoff also – und einer, der eine viel griffigere Alter-Ego-Geschichte erzählt. Wobei die Parallelen zwischen dem amerikahörigen Adam Lang und Tony Blair bereits deutlich im Buch stehen: Der einstige Politjournalist Harris war ein früherer Vertrauter des Popstar-Premiers. Die Enttäuschung kam mit dem Irak-Krieg und führte zur kaum verhüllten literarischen Abrechnung. Übrigens: Der US-Verlag Random House hat dem echten Blair 2007 neun Millionen Dollar Vorschuss auf seine Memoiren geboten – kurz nach Erscheinen von Harris’ „Ghost“, in dem Lang zehn Millionen versprochen werden. Schon wieder scheint die Realität die Erfindung zu kopieren: Schlüsselbuch! Schlüsselfilm!
Auf der Leinwand sortiert sich das schnell. Kein dröhnender Hubschrauber zunächst, sondern bloß ein geparktes Auto auf der Fähre nach Vineyard Haven, dem plötzlich der Fahrer fehlt. Er ist wohl über Bord gegangen – nur warum? Und wieso hat niemand was bemerkt? So fängt das an, beiläufig bedrohlich, und schon sind die Zuschauer im luzide unheimlichen Universum Polanskis gefangen. Ghostwriter Nummer eins also ist tot, ein weiterer, der bislang für Zweitliga-Rockstars schrieb, wird angeheuert. Während er das offenbar belanglose Konvolut seines Vorgängers sichtet, findet er eine politisch hoch brisante Spur. Halb aus Neugier, halb ferngesteuert (ein Navi) wird der Auftragsschreiber zum Privatdetektiv ohne Auftrag. Natürlich geht so was nicht gut.
Ewan McGregor spielt, mit staunendem Allerweltsblick, diesen namenlosen Fremdling. Pierce Brosnan als Adam Lang ist sein eher aalglattes als charismatisches Beobachtungsobjekt. Langs Ehefrau Ruth (Olivia Williams) und Langs Geliebte Amelia (Kim Cattrall), eisige Rivalinnen, treiben den Ghostwriter bedächtig ins Unbedachte. Und bald wirkt jeder Bodyguard in dem aschgrauen Haus – Harris: „Es ähnelte einem von Albert Speer entworfenen Feriendomizil“ – wie ein Geheimnisträger. Der Film: eine Parabel darauf, wie Macht fortwirkt, ferngesteuert auch sie. Ein Kammerspiel unter immergrauen Wolken, immernassem Wind. Inselkoller. Paranoia.
„Der Roman ist das Drehbuch“: Mit diesem Satz zitiert Harris den Regisseur gern. Der Film aber ist, in seinem bedächtigen Rhythmus, seiner ironisch-kühlen Figurenzeichnung und dem leise spannenden Drive, ganz Polanski. Das Boot in „Messer im Wasser“, die Wohnungen in „Ekel“, „Rosemary’s Baby“ und „Der Mieter“, ja, sogar die Produzentenvilla in „Was?“: Immer wieder hat Polanski abgeschottete Systeme entworfen und lässt den Zuschauer, wie etwa in „Chinatown“, in die Haut von Klaustrophobikern schlüpfen, die sich in derlei Systemen verfangen. In „The Ghost Writer“ funktioniert das während der aufregend zwischen Tempo und Scheinstillstand oszillierenden Exposition wie ein schön altmodischer Verschwörungsthriller.
Mit genrebedingt wachsender Hektik aber gibt der Plot seine Schwächen preis. Der Ghostwriter googelt mit wenigen Klicks Sensationelles über die Vita des Ex-Premiers – und sein geschasster Widersacher, der einstige Oberchef des Geheimdienstes, ist darüber auch noch höchst verblüfft? Gleichzeitig treibt den selbsternannten Investigativrechercheur eine kommunikative Naivität, die wohl selbst Sydne Rome in „Was?“ die Fremdschamröte ins Gesicht getrieben hätte.
Schade, dass man Roman Polanski nicht zu „The Ghost Writer“ befragen kann. Zu mancher Überoffensichtlichkeit etwa oder nach dem seltsam lapidaren, vom Buch abweichenden Schluss. Aber er gibt keine Interviews, und im üblich geschwätzigen Presseheft ist er mit einem einzigen läppischen Satz zitiert. Polanski ist der „Ghost“, das Wesen und Unwesen dieses Films, das sich vor unseren Augen in eine Erscheinung verwandelt; festgesetzt im Leben und so flüchtig doch.
Heute 12 Uhr (Friedrichstadtpalast), 17. 30 Uhr (Urania) und 22.30 Uhr (International