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Spuren der Zeit. Das Porträt der Schauspielerin Elaine Dunn aus den fünfziger Jahren im repräsentativen Großformat von über zwei Metern. "PRESS++32.50" von Thomas Ruff (2016).
© Thomas Ruff / VG Bild-Kunst, Bonn, 2017

Thomas Ruff bei Sprüth Magers: Verletzte Schönheit

Bezaubernde Bellezza. Der Fotokünstler Thomas Ruff gibt mit der Serie „press“ bei Sprüth Magers seinen Einstand.

Fast hat es etwas von einem Déjà-vu: Thomas Ruff zeigt wieder riesengroße Porträts. Das kennt man doch von ihm. Damals, Ende der 70er Jahre, fotografierte er in der Düsseldorfer Kunstakademie tiefernst Kommilitonen und Freunde mit tiefernstem Blick. Anschließend zog der junge Fotokünstler die Passbild-Aufnahmen metergroß ab, als wolle er eine feudale Galerie präsentieren. Der Effekt war phänomenal. Zwischen den abgelichteten Persönlichkeiten, von denen nur der Vorname überliefert wurde und die allein persönliche Kenner des damaligen Kreises zu identifizieren vermochten, und der Serienfotografie eröffnete sich eine erstaunliche Spannung: Individuum versus Konzeptkunst. Sie besteht bis heute weiter, wie sich feststellen lässt, stößt man mal auf den ein oder anderen Abkömmling der Reihe in einer Museumssammlung.

Auf seiner erstaunlichen Reise durch die Welt fotografischer Möglichkeiten ist Ruff zwar nicht am Ausgangspunkt wieder angelangt, aber 30 Jahre später steht er erneut inmitten einer bemerkenswerten Porträtgalerie, ebenfalls geadelt und abstrahiert durch die schiere Größe. Die Galerie Sprüth Magers zeigt unter dem Titel „New Works“ die neueste Serie des Künstlers, die sich der Pressefotografie widmet, schlicht „press“ genannt.

Eine Premiere ist die Ausstellung noch in anderer Hinsicht, denn Ruff stellt zum ersten Mal bei Sprüth Magers aus, nachdem sich sein Berliner Galerist Jörg Johnen aus dem Geschäfte zurückgezogen hat. Er verstehe, dass Johnen vom Betrieb die Nase voll habe, so Ruff und fühlt sich bei Monika Sprüth, die er noch aus dem Rheinland kennt, doch am richtigen Ort. Schließlich gehören langjährige Wegbegleiter wie Reinhard Mucha, Andreas Gursky oder Fischli/Weiss zum Stamm der Galerie. Ruffs monumentale Porträtserie passt perfekt in den ehemaligen Ballsaal an der Oranienburger Straße, den großen Ausstellungssaal der Galerie. Der 59-Jährige zeigt diesmal jedoch nicht Gleichaltrige wie zu Studentenzeiten, sondern Stars und Sternchen der amerikanischen Filmindustrie der 20er bis 70er. Ihre standardisierte Makellosigkeit wurde optischen Störmanövern ausgesetzt: Auf die Vorderseite schlägt durch, was sich auf der Rückseite der Fotografien befindet - Kritzeleien, Vermerke zur Spaltigkeit, Datumsstempel, aufgeklebte Zettel, Angaben zu Uhrzeit und Absender. Die um die Schultern drapierten Tücher und Dekolletees wurden – in der Vergrößerung deutlich sichtbar – in ihren Konturen nachbearbeitet, wenn der Kontrast zum Hintergrund zu schwach ausfiel.

Das dümmste Foto als Quelle für das schönste Kunstwerk

Zu schwach wofür? Was ist passiert? Die Schönheiten bezaubern immer noch. Doch Ruff zeigt sie unsentimental als Teil eines Arbeitsprozesses im Zeitungsbusiness. Die Abbildungen gehen zurück auf Set-Karten von Schauspielagenturen, die an Zeitungsredaktionen gedrahtet wurden. Dort angekommen, schlugen sich die Schlieren der gekabelten Übermittlung häufig in der Struktur des Papiers nieder. Die Fotoredakteure nahmen es ohnehin pragmatisch, retuschierten auf der Vorderseite, machten sich hinten die Notizen für das Format. Am Ende landeten die bearbeiteten Abzüge stapelweise im Archiv. Von dort sind sie Jahrzehnte später wieder aufgetaucht, um online verscherbelt zu werden, nachdem die Baltimore Sun und die Chicago Tribune in ihren Kellern offensichtlich Platz schaffen wollten. Thomas Ruff griff zu und schuf damit seine neueste Serie (15 000 € bis 85 000 €).

Der große Fischer im Teich der Fotografie hat nach den Nachtaufnahmen, der Polizeibildern, den Sternen, den Nackten aus dem Netz und schließlich den am Jülicher Forschungszentrum entwickelten Fotogrammen ein weiteres Thema für sich entdeckt: die Pressefotografie. Wieder geht es ihm dabei um die Geschichte der Fotografie, die Konstanten des Mediums – was zwischen Platte und Linse möglich ist. Diese Neugier und eine große Portion Glück bescheren ihm immer wieder andere Sujets, an denen er sich mit der Hartnäckigkeit eines Forschers abarbeitet. Für ihn gebe es kein hoch oder niedrig, so Ruff. Das dümmste Foto könne die Quelle für eines der schönsten Kunstwerke sein.

Die Schönheit wird ihm diesmal frei Haus geliefert. Die abgelichteten Damen der Serie besitzen alle eine Bellezza, die zwar inszeniert und doch natürlich ist. Selbst die von der Rückseite nach vorne geholten Grobheiten stören ihre Ausstrahlung letztlich nicht. Beinahe steigern sie die Magie des Augenblicks, die Unsterblichkeit des Glamours, den einst Rosemary Clooney umgab, die Tante George Clooneys, ebenso Carolyn Jones, die später die Mutter der Addams’ Family spielte, oder Hildegard Knef, die sich im US–Filmbusiness Neff nannte, was sich im Englischen leichter aussprechen ließ.

Ruff weckt im Betrachter seiner Werke den Detektiv

Die Kombination aus Fotografie und Schrift setzt eine Zeitreise in Gang. Mit den gleichen Mitteln arbeiteten die Dadaisten, als sie in den 20ern die Fotomontage erfanden. Ruff gefällt dieser Bezug, mehr noch die Nähe zum Bauhaus, das die Verbindung zwischen Schrift und Bild kultivierte. In Zeiten zunehmender Provenienzforschung stellt sich eine weitere Assoziation ein: Auf der Suche nach ursprünglichen Besitzern, Mittlern, Handelswegen sind die Rückseiten von Gemälden mit Inventarnummern und Galerie-Aufklebern in den letzten Jahren immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.

Mit seiner künstlerischen Exegese ist Ruff von solchen historiografischen Untersuchungen zwar weit entfernt, und doch weckt er auch im Betrachter seiner Bilder den Detektiv, der die Schriften zu entschlüsseln sucht. In einer weiteren Gruppe der „press“-Serie zu Werken aus Museumssammlungen, die ebenfalls an Zeitungsredaktionen übermittelt wurden, können Spürnasen fündig werden: Zu sehen ist ein Bild eindeutig von Chuck Close, das Porträt seines Freundes Keith aus dem Baltimore Art Museum. Doch angegeben ist als Künstler Jasper Johns. Ob die falsche Information ihren Abdruck tatsächlich in der Zeitung fand oder ob sie nur im Archiv schlummerte, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Thomas Ruff aber hat diesem Kunstfehler einen Auftritt verschafft, dazu ein Denkstück über die Wege der Fotografie.

Galerie Sprüth Magers, Oranienburger Str. 18, bis 2. 9.; Di bis Sa 11– 18 Uhr.

Nicola Kuhn

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