Britische Schriftsteller in Berlin: Verantwortung ist Horror
Politik, nein danke: Das British Council präsentiert sechs prominente Schriftsteller in Berlin. Die halten sich zunächst mit Aussagen zu David Camerons Referendumplänen zurück - bis ein Schotte den weißen Elefanten schließlich aus dem Raum schafft
Am Donnerstagabend, als der britische Botschafter Simon McDonald im Berliner Auditorium Friedrichstraße das 28. Literaturseminar des British Council eröffnete, lächelte man sich noch tapfer über den gesammelten Trotz hinweg, den David Cameron tags zuvor Resteuropa entgegengeschleudert hatte. Die Grundsatzrede, in der Großbritanniens Premier ein Referendum über den Verbleib seines Landes in der EU ankündigte, war dem Commander of the Order of St. Michael and St. George keine Bemerkung wert.
Auch Alan Hollinghurst, der erste von sechs hochmögenden Autoren und Autorinnen, die der Literatur von der Insel bis zum Sonntag ein Gesicht gaben, stieg lieber in die Jahrhunderttiefe seines jüngsten Romans „Des Fremden Kind“ (Blessing-Verlag) hinab, als sich vom Veranstaltungsthema „Writing in Public“ zu einer aktuellen Reaktion hinreißen zu lassen.
Am Freitagmorgen aber, der Schlaf steckte noch allen in den Gliedern, gab es kein Halten mehr. Let’s get the white elephant out of the room, hieß es. Und der gebürtige Schotte Andrew O’Hagan zog einmal so vom Leder, dass sich danach keiner mehr verpflichtet fühlen musste. Camerons sezessionistische Äußerungen seien „monströs, gefährlich und typisch“, sagte er. Sie stünden in einer langen Tradition des Euroskeptizismus, innerhalb derer sich Cameron zum „Anführer einer nationalen Idiotie“ aufgeschwungen habe. Man könne am Beispiel von Irland doch im eigenen Königreich verfolgen, wohin Abspaltungssehnsüchte führten. Und überhaupt sei die Sache mit dem Referendum reine Taktik: Egal, wie sich das Volk entscheide – hinterher werde man es dafür verantwortlich machen. Die Politiker seien aus dem Schneider.
In welcher Eigenschaft sprach er? Als Intellektueller und Professor für Creative Writing am Londoner King’s College? Als hinreißender Erzähler, von dem man, nachdem er aus tierischer Perspektive den Roman „Leben und Ansichten von Maf dem Hund und seiner Freundin Marilyn Monroe“ (S. Fischer) verfasste, auch erwarten können sollte, dass er sich in nationale Souveränitätsansprüche einfühlt? Oder schlicht als Bürger, dem der Glasgower Schnabel so scharf gewachsen ist, dass er in einer brenzligen Situation seine Meinung öffentlich kundtut?
Es sind dies die alten, die uralten Fragen nach der politischen Verantwortung des Schriftstellers. Wenngleich sie O’Hagan nicht beantworten mochte, weil er, erinnert an die Debatte über die soziale Nützlichkeit des Romans zwischen H.G. Wells und Henry James, beide Seiten verstehen kann, stellen sie sich immer wieder neu. Die Auseinandersetzung, in der Wells 1915 das Gewicht eines Romans allein an seinem Gegenstand messen wollte, während der Satzdrechsler James darauf bestand, dass erst die Kunst mit all ihren stilistischen Strategien der Wirklichkeit Bedeutung verleiht, beendete die Freundschaft der beiden abrupt.
Wie neu sie sich stellen lassen, das hätten die Lesungen und Gespräche beweisen können – wenn ihnen in Gestalt des Schriftstellers Philip Hensher nicht in letzter Minute der Moderator in Richtung Krankenhaus abhandengekommen wäre, der dem Ganzen eine konzeptionelle Einheit geben wollte. So blieb es bei einer amüsanten, von Bernhard Robben und anderen ersatzweise klug in Gang gehaltenen Revue mit Buchvorstellungen von Esther Freud bis Sarah Hall. Es blieb aber auch bei einem Problembewusstsein, das die Begriffe des Privaten und des Öffentlichen nur wie gewohnt gegeneinander in Stellung brachte und sie zwischen den Polen von Kunstautonomie und Engagement verhandelte.
Wenn Öffentlichkeit diffus wird
Dabei ist die bürgerliche Öffentlichkeit, wie sie Jürgen Habermas in seiner Formulierung von der „Sphäre der zum Publikum versammelten Privatlute“ definierte, diffus geworden. Sowohl die Preisgabe vormals privater Details im Netz, ja das Bedürfnis, eine Epoche der Post Privacy auszurufen, wie der aktive mediale Zutritt für jeden, schreien nach einer Neubestimmung von Intimität, Autorität, Expertise – oder dem Fetisch Demokratie. Zu Recht hat Jay Rosen, Professor an der New York University und Anwalt eines netzbasierten Bürgerjournalismus, mit seiner Formulierung von „The People Formerly Known as the Audience“ Karriere gemacht.
Literatur in einem emphatischen Sinn hat mit Journalismus zwar nichts zu tun. Die Herausforderungen, die sich durch Selfpublishing und Entprofessionalisierung von Kritik durch bloße Meinungssysteme von Bewertung und Empfehlung ergeben, sind indes auch auf dem Buchmarkt spürbar. All das hätte Andrew O’Hagans Behauptung, die Spannung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen interessiere ohnehin mehr die Gesellschaft als den Autor, in ein frisches Licht gerückt. Vielleicht verwirren sich auch längst alte und neue Kanäle. Nirgends hat man sich über das israelkritische Gedicht, zu dem sich Günter Grass berufen fühlte, das Maul stärker zerrissen als im Netz – fast ein Jahrzehnt, nachdem der britische Poet Laureate Andrew Motion mit einem ebenso schwachen Vierzeiler unter dem Titel „Causa Belli“ gegen den Irakkrieg protestierte.
Zumindest die Unlust, offen politische Literatur zu schreiben, war den englischen Gästen ein Bekenntnis wert. Es sei, so Joe Dunthorne („Ich, Oliver Tate“, Rowohlt), die Aufgabe des Romanciers, die Dinge komplizierter zu machen, statt sie wie in der binären Weltsicht des Journalisten zu vereinfachen. John Lanchester malte seinen „primitiven Horror vor Verantwortung“ aus und sagte, dass sein Roman „Kapital“ (Klett-Cotta) über die Londoner Finanzkrise einfach entstanden sei, indem er aus dem Fenster gestarrt und dabei seine Geschichte entdeckt habe.
Der gelehrte Alan Hollinghurst erklärte: „Ich eigne mich einfach nicht zum Intellektuellen.“ Er hatte offenbar das abschreckende Beispiel von Arundhati Roy vor Augen, die nach einem einzigen Roman für ihre politischen Sachbücher zumindest in England nur noch Verachtung genießt.
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