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Eckenbrüller. Regisseur Julian Radlmaier spielt mit in seinem nominierten Film „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“.
© First Steps

Berliner Nachwuchsfilmpreis "First Steps": Vanilla, Tiger und die anderen

Hurra, volljährig: Zum 18. Mal werden am Montag in Berlin die Nachwuchsfilmpreise „First Steps“ verliehen. Zu den Favoriten zählen "Tiger Girl" und "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes"

Keine andere Entwicklungsstufe veranschaulicht das menschlichen Streben nach Autonomie besser als die ersten Schritte eines Kindes. Doch bis es das freihändige Gehen praktiziert, benötigt es neben Erfahrung auch ein hohes Maß an vertrauensvoller Unterstützung. Vielleicht hatten die Produzenten Bernd Eichinger und Nico Hofmann dieses Bild vor Augen, als sie 1999 beschlossen, den Nachwuchspreis für Abschlussfilme von Studenten deutschsprachiger Filmhochschulen „First Steps“ zu taufen. In diesem Jahr geht der Wettbewerb in seine 18. Auflage und erreicht somit, um im Bild zu bleiben, den Status der Volljährigkeit. Mit insgesamt 112 000 Euro wird nun die größte Summe an Preisgeldern in der „First Steps“-Geschichte ausgeschüttet.

Das liegt auch daran, dass bei den neun Kategorien, über deren Gewinner vier Jurys entscheiden, zwei neue Auszeichnungen dabei sind. Neben Preisen in den bekannten Sparten wie dem besten Spielfilm, dem besten Dokumentarfilm oder dem Michael-Ballhaus-Preis für Kameraleute wird erstmals ein Drehbuchpreis vergeben. Berücksichtigt werden unverfilmte wie verfilmte Drehbücher aller Genres, Formate und Längen.

Die zweite Innovation ist der GötzGeorge-Preis für junge Schauspieler. Nominiert sind drei vielversprechende Talente: Aussichtsreichste Kandidatin dürfte die schweizerisch-französische Ella Rumpf für ihre Rolle als toughes Streetgirl in „Tiger Girl“ sein. Das Maxim Gorki Theater kann sich unterdessen darüber freuen, dass es gleich zwei ihrer Schauspieler auf die Liste der Nominierten geschafft haben: Jonathan Kwesi Aikins für seine Rolle im Kurzfilm „Mikel“ und das neue Ensemblemitglied Jonas Dassler für seine Darstellung des 17-jährigen Bloggers Karl in „Lomo – The Language Of Many Others“. Dassler wird schon länger als einer der talentiertesten Newcomer hierzulande gehandelt. Im November wird er in Florian Henckel von Donnersmarcks neuem Film „Werk ohne Autor“ zu sehen sein.

Im vielen Spielfilmen geht es um das Gefühl der Ohnmacht und das Aufbegehren dagegen

Bei den nominierten Produktionen in der Hauptkategorie „Abendfüllende Spielfilme“ taucht ein zentrales Motiv immer wieder auf: das individuelle Aufbegehren in Zeiten des globalen, gesellschaftlichen Ohnmachtsgefühls. Herrlich verschroben geschieht dies in der diskursiven Komödie „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“, in der Regisseur Julian Radlmaier sich selbst als kommunistischen Filmemacher spielt, der sich mit den Widrigkeiten des Kapitalismus bei der Apfelernte herumschlägt.

Zwei durch dick und dünn. Vanilla (Maria Dragus, l.) und Tiger (Ella Rumpf) machen in "Tiger Girl" Berlins Straßen unsicher.
Zwei durch dick und dünn. Vanilla (Maria Dragus, l.) und Tiger (Ella Rumpf) machen in "Tiger Girl" Berlins Straßen unsicher.
© Constantin

Ungehobelter geht es in der anarchischen Tragikomödie „Tiger Girl“ von Jakob Lass zu. In schrillen Farben und Slowmotion-Bildern lässt der Berliner Regisseur die zwei jungen Frauen Vanilla (Maria Dragus) und Tiger (Ella Rumpf) durch Berlins Straßen und am Tempelhofer Feld marodieren; zum Kinostart im April löste er damit eine Debatte über Gewaltanwendung als Instrument der Selbstermächtigung aus. Bei der Uraufführung auf der Berlinale wurde „Tiger Girl“ frenetisch gefeiert. Gute Chancen darf sich auch Julia Langhof mit ihrem Drama „Lomo – The Language of Many Others“ ausrechnen. Darin verliert sich Blogger Karl mit beklemmender Stetigkeit in der digitalen Parallelwelt. Irgendwann übernehmen seine Follower die Kontrolle über seine Existenz – bis hin zur Entscheidung über Leben und Tod.

In Mia Spenglers Beitrag „Back for Good“ sieht sich das gescheiterte RealityTV-Sternchen Angie (Kim Riedle) nach einem Drogenentzug gezwungen, in seinen Heimatort zurückzuziehen und dort mit der pubertierenden Schwester Kiki und der Mutter wieder unter einem Dach zu leben. Was zunächst für alle Beteiligten als große Zumutung erscheint, entpuppt sich für die drei Frauen als Chance zur Wiederannäherung.

Der eigene Großvater, Briefe an mich selbst: Auch bei den Dokus geht es persönlich zu

Auch bei den Dokumentarfilmen ragen die persönlicheren Beiträge heraus. Julia Küllmer begleitet in „Das Ende vom Lied“ ihren Großvater in seinen letzten fünf Lebensjahren. Er wohnt alleine in einem großen Haus, seinen Platz im Altenheim hat er schon lange reserviert. Zwischen Treppenlift, Schachcomputer und Heimorgel entsteht ein zutiefst berührendes Porträt – und ein Versuch über die Möglichkeiten eines selbstbestimmten Daseins im hohen Alter. Eine Ode an verschenkte Gelegenheiten und die Zärtlichkeit der Selbstachtsamkeit hat Luise Makarov mit „Liebes Ich“ geschaffen. Sie forderte Menschen dazu auf, jenen Brief zu schreiben, den sie selber schon immer gerne bekommen wollten. Das Ergebnis sind zerbrechliche Bekenntnisse, die von den Unverfrorenheiten und Glücksmomenten in allen Phasen des Lebens berichten.

„First Steps“ ist offenbar nicht nur auf dem Papier erwachsen geworden. Die diesjährigen Kandidaten für den Nachwuchspreis zeugen von bemerkenswerter Reife und Tiefgang. Wenn die ersten Gehversuche schon von solcher Sicherheit und Präzision geprägt sind, muss man sich keine Sorgen darüber machen, dass der deutschsprachige Film im internationalen Vergleich Schritt halten kann.

Die First Steps Awards 2017 werden an diesem Montag bei der von Jerry Hoffmann und Aylin Tezel moderierten Gala im Theater des Westens verliehen. Infos: www.firststeps.de

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