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Strikte Geschlechtertrennung. Auch das Märchen-Format „Once upon a time“ setzt auf traditionelle Figuren wie Schneewittchen und Prinz Charming.
© promo

Brave neue Welt: US-Fernsehserien werden immer konservativer

Nie waren US-Serien so klischeebehaftet, noch nie war der Mainstream feiger, apolitischer häuslicher: Über die verbissene Geschlechtertrennung in Film und Fernsehen und die seltenen Ausnahmen von der Regel.

Freund F. – Bankberater, Familienvater, Bruce-Willis-Fan – wurde diesen Sommer 30. Auf Empfehlung seiner Frau las er „Die Tribute von Panem“, das klügste und brutalste Jugendbuch der letzten Jahre. In dem Ort Panem müssen sich zehn- bis 17-Jährige in einer Arena gegenseitig töten, damit ihre Eltern nicht verhungern. Auch Heldin Katniss, ein pragmatisches Mädchen mit Pfeil und Bogen, wird im Lauf der 400 Seiten zur Mörderin. „Gar nicht schlecht“, freute sich der Freund. „Nur total ungewohnt: Ich habe mir noch nie beim Lesen vorstellen müssen, ich wäre ein Mädchen.“

In 25 Jahren als Fernsehzuschauer hat F. kaum 25 Filme mit weiblicher Hauptfigur gesehen. Nur Serien wie „Grey’s Anatomy“, „Desperate Housewives“ und „The Closer“ nimmt er manchmal mit – seiner Frau zuliebe. Zwar gibt es seit Jahrzehnten eine Handvoll toller Fernseh-Heldinnen, von Emma Peel bis Buffy, von Angela Chase bis Liz Lemon. Doch seit Jahrzehnten gibt es auch: schrille Schwiegermütter, patzige Latinas, sexsüchtige Nachbarinnen, verlogene Cheerleader, naive Sekretärinnen, hinterhältige Lesben, aufbrausende Schwarze und Heerscharen von „Ludern“, „Biestern“, „Zicken“, „Drachen“, „Hexen“ und „Schlampen“.

Rassismus, Ressentiments, Prüderie und Klischees, die sich in die Frauen-Sitcoms eingeschrieben haben: Jede konventionelle Frauenfigur darin hat ein freches Dummchen oder Miststück als dramatischen Kontrast, um jede kreist ein Geschwader von Schreckgespenstern. So ist Frauen-TV heute, im Jahr 33 nach „Dallas“ und im Jahr 13 seit „Sex and the City“, zur altbackenen Formel erstarrt, mit eigener Bildsprache und starrer Ästhetik, mit Klischees und Konventionen. Es sind Erzählwelten, so klebrig und gekünstelt wie die Cupcakes von „Desperate Housewive“-Heldin Bree Van de Kamp. Stoff für die konservativen Amerikaner, für die oft schweigende weiße Mehrheit.

Sind andere Erzählarten noch denkbar? In Hollywood nicht: Judd Apatow, Regisseur von brachialen Erfolgskomödien über Männerfreundschaften, produzierte nach einem Dutzend filmischer Steaks die Komödie „Brautalarm“. Die Zukunft des gesamten Frauenfilms hängt von dieser Premiere ab, schrieb Feministin Rebecca Fraser. Zwei Jahre zuvor hatte Warner Bros. entschieden, nie wieder Filme über Superheldinnen zu wagen, als sich die „Wonder Woman“-DVD nicht schnell genug verkaufte. Auch „Mars braucht Mütter“ wollte niemand sehen – wegen des Worts „Mütter“ , wie der „Hollywood Reporter“ analysierte. Die Vulgär-Comedy „Brautalarm“ dagegen spielte wider Erwarten 250 Millionen Dollar ein und lockte besonders viele Paare und Frauen ab 30 ins Kino.

Und im Fernsehen stehen reiche, hübsch frisierte Girls in schicken Wohnungen und Häusern herum – weiß, gepflegt, manikürt. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Romane werden fast ausschließlich von Frauen gekauft, die großen Filme eher für junge Männer produziert. Und im Fernsehen stehen reiche, hübsch frisierte Girls in schicken Wohnungen und Häusern herum – weiß, gepflegt, manikürt. Mütter sehen aus wie Models, die Handlung erinnert an Werbung, Celebrities dominieren die Nachrichten, die Zuschauer rücken nach rechts, und seit dem Ende von „24“ und „Lost“ wird jede TV-Serie mit Politik oder komplexen Handlungsbögen vom breiten Publikum gemieden.

Pro Jahr verlieren die vier großen US-Networks fünf bis zehn Prozent ihres Publikums. Keine Serie hat mehr als 25 Millionen Zuschauer. Naive Sing- und Tanzsendungen wie „Dancing with the Stars“ und Pathologen-Einerlei wie „C.S.I.“ feiern letzte Erfolge. Auch aus dem „Brautalarm“-Erfolg zog man nur platte Schlüsse. Frauen-Fäkalkomödien locken Frauen ins Kino“, seufzte der Kritikerpapst Owen Gleiberman und fragte verzweifelt: Lag es nicht auch am smarten Drehbuch? Den erwachsenen Themen?

Noch nie war Mainstream feiger, apolitischer, häuslicher. Noch nie gab es so viele Cupcake-Serien mit einer derart verbissenen Geschlechtertrennung wie in diesem Herbst. Mit Geld-und-Intrigen-Soaps wie „Good Christian Bitches“, „Suburbatory“ und „Revenge“ kocht ABC das Erfolgsrezept von „Desperate Housewives“ nach, die Konkurrenz steuert müde Tussi-Sitcoms („I hate my Teenage Daughter“, „Best Friends Forever“, „Two Broke Girls“) oder die Ich-werde-Mutti-Serie „Up all Night“ bei: knapp 30 Serien über harmlose, angepasste Frauen. „Heute ist bei ABC alles billiger“, klagt auch der Stand-up-Comedian Tim Allen. „Es gibt weniger Werbeeinnahmen, weniger Zuschauer, weniger Budget… viel weniger Spielraum.“

Allens neue Serie heißt „Last Man Standing“ und gehört, zusammen mit „Man Up“, „Work it!“ und „How to be a Gentleman“ zum männlichen Gegenprogramm: breitbeinige Steak-Sitcoms, in denen Männer von hysterischen Frauen schikaniert werden. Der Tonfall erinnert an Kosmetik-Werbekampagnen: Bei Dove jubeln mollige Hippies, „natürliche Schönheit“ hätte viele Gesichter. Axe dagegen verspricht Pickeljungs lüsterne Bikini-Luder. Beide Marken gehören übrigens demselben Konzern, Unilever.

Mainstreamserien bieten den Frauen hundert rosarote Nischen während sie die dümmsten Vorurteile der Männer zementieren. Lesen Sie weiter auf Seite 3.

Kein männlicher Zuschauer muss sich künftig bei ABC (farbenfroh, Disney), CBS (bieder, Warner), NBC (altklug, Universal) oder Fox (populistisch, Rupert Murdoch) vorstellen, er wäre ein Mädchen. Den neuen Serien ist deutlich anzusehen, ob Frauen erwünscht sind oder nicht. Zwischentöne und überhaupt alles, was den Massenerfolg behindern könnte, wurde gestrichen. So war es schon immer: Sobald die Quoten einer amerikanischen Seifenoper fallen, werden zuerst die Farbigen und die Schwulen aus der Story beseitigt. Schwarze Familien sind im Hauptprogramm nur noch als Trickfiguren zu sehen. Und obwohl komplizierte, finstere Helden in Serien wie „Dexter“, „Breaking Bad“ und „Dr. House“ weibliche Fans begeistern, haben Männer selten Lust auf deren feministische Pendants, auf Protagonistinnen wie „The Big C“ oder „Nurse Jackie“, eine krebskranke, wütende Mutter und eine kriminelle, tablettensüchtige Krankenschwester.

Kompetente Frauen, Minderheiten, Politik und alles irgendwie Anstößige sind in die billigeren Nischenproduktionen abgewandert: Vor allem Fantasy-Formate sprechen Frauen und Männer an, wenn auch in eher geringerer Zahl. Auch die subtil erzählte Büroserie „Mad Men“, Liebling der Kritiker, erreichte nur zwei Millionen Zuschauer.

All das erklärt, warum die beiden neuen, teuren 60er-Jahre-Serien auf NBC und ABC, „The Playboy Club“ und „Pan-Am“, zwar aussehen wie „Mad Men“, aber Drehbüchern folgen, die eher an „Desperate Housewives“ erinnern. Es besteht eben Bedarf an Glamour-Serien, nicht aber an Zeitgeschichte mit Tiefgang. „Pan-Am“ spielt in einer sauberen, rauch- und zigarettenfreien Welt. Als sich rechtskonservative Christen über „The Playboy Club“ beschwerten, beteuerte die NBC-Spitze, es handele sich nur um eine „wirklich witzige Seifenoper mit einem Krimi-Element“. Die Serie sei nicht progressiv.

Wenn Frauen hundert rosarote Nischen finden, braucht sich der Mainstream nicht weiter um sie zu kümmern. Wenn Männern nur die Wahl bleibt zwischen Steak- und Cupcake-Serien, verfestigen sich auch bei ihnen die dümmsten Vorurteile. „Gleichberechtigung ist wie Schwerkraft“, sagt immerhin Joss Whedon, Erfinder der Comedy-Horrorserie „Buffy“: „Wir brauchen sie, um als Frauen und Männer auf der Erde Fuß zu fassen.“ Gelungenes Fernsehen bemisst sich an der Qualität komplexer Frauen-, Männer- und Familienbilder.

Gut also, dass es in letzter Zeit auch Serien wie „Community“, „Modern Family“, „Happy Endings“ oder „Raising Hope“ gab: Gute-Laune-Formate mit klugen Frauen, sensiblen Männern und großer Freude daran, Klischees zu überwinden. Und für diesen Herbst kann man auf „Awake“ von NBC hoffen, ein leises Drama über das Familienleben eines Polizisten. Erzählt wie eine richtig gute Frauenserie.

Stefan Mesch

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