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Nicht gerade unbekannt: Die Skulptur "Looping" von Ursula Sax.
© dpa

Berlinische Galerie: Ursula Sax -die große Unbekannte

Nach 50-jährigem Schaffen endlich am Ziel angekommen: Die Berlinische Galerie stellt eine Sammlung der Bildhauerin Ursula Sax aus.

Zu verstehen ist das kaum. Da präsentiert die Berlinische Galerie das Lebenswerk einer Berliner Bildhauerin – vielfältig, eindrucksvoll, selbst im fünfzigsten Jahr ihres Schaffens frisch und überzeugend. Und doch hat man von ihr noch nie gehört oder höchstens zufällig Arbeiten gesehen. Die dynamisch geschwungene Stahlskulptur „Looping“ in der Nordkurve der Avus, gleich hinter dem Messegelände, kennt in Berlin wohl jeder motorisierte Ankömmling aus dem Westen, hat sie aber eher als Stadtmobiliar abgetan, als gefällige Kunst im öffentlichen Raum.

Ein Vierteljahrhundert später tritt die Schöpferin dieses knallgelben Lindwurms, der sich über 120 Meter dreht und windet, mit einer Überraschungsausstellung aus der Anonymität hervor. Dabei ist Ursula Sax alles andere als eine Spätzünderin. Nur ist ihr Werk so divers, ähnlich in alle Richtungen ausgreifend wie ihre „Looping“-Schlange, dass sie nie zur Marke wurde. Ein Schicksal, das sie mit Hannah Höch teilt, der großen Dadaistin und Collage-Künstlerin, die ebenfalls erst spät gewürdigt wurde und in der Berlinischen Galerie ihren Platz gefunden hat.

Dem späten Erkenntnisschub hat Ursula Sax nun selbst nachgeholfen, indem sie dem Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur eine Schenkung machte, die 80 Werke umfasst. Nach jahrelanger Lehrtätigkeit an der Dresdner Kunstakademie plant die heute 75-Jährige, nach Berlin zurückzukehren, wo sie einst bei Hans Uhlmann lernte. Die Kuratoren der Berlinischen Galerie konnten bei ihr im Atelier in Radebeul auswählen, bevor es nun aufgelöst wird.

Die Künstlerin ist im Rückblick erstaunt, welche Volten ihr Werk schlägt: mal abstrakt, mal gegenständlich, Holz wechselt mit Metall, dann wieder arbeitet die Bildhauerin in Stein, schließlich in Ton, auf Strickmasken folgen stählerne Zeichnungen im Raum. Und doch ist alles von der gleichen Neugier und ungestümen Erprobungslust geprägt, die sie bei ihren Anfängen an der Stuttgarter Akademie mitbekam, dort, wo der Bauhaus– Geist Oskar Schlemmers gepflegt wird.

Ihre hölzerne Stele aus den fünfziger Jahren, das früheste Werk der Ausstellung, besitzt genau jenes rundlich-geometrische Formenvokabular, das typisch auch für die abstrakten Figurinen des Bauhaus-Lehrers ist. Ihre aufblasbaren Performancekleider in Rot, Blau, Weiß und Grün, mit denen Tänzer Anfang der neunziger Jahre einen komplett schwarzen Bühnenraum bespielten, sind ebenfalls vom abstrakten Theater Schlemmers inspiriert, das Ursula Sax auf diese Weise in die Gegenwart holt.

Die zweite prägende Kraft im Werk stellt Hans Uhlmann dar. Die Einkreisung des Raums, die Bändigung auseinanderstrebender Kräfte, die der Berliner Bildhauer machtvoll in Stahl zwang, erprobte die junge Künstlerin im ihr gewohnten Material. Statt mit Metall arbeitete sie mit Holz, statt mit dem Schweißgerät mit Fugen und Zapfen. Das Archaische stählerner Skulpturen verflüchtigt sich bei ihr, ein spielerisches Moment, ja Bewegung kommt hinein. Plötzlich ist das fliegende Haar von Sambatänzerinnen in einer Figurengruppe zu erkennen, die fortschreitende Silhouette des Duchamp’schen „Aktes, eine Treppe hinabsteigend“ oder der kollektive Flügelschlag von Zugvögeln. Die Reihenfotografie eines Eward Muybridge erscheint umgesetzt in die dritte Dimension. Der Besucher soll selbst die Skulptur in Bewegung versetzen, einen Drehmechanismus betätigen, sodass er das Auf und Ab der Flügel real vor sich hat.

Womit sich eine weitere Facette im Werk der Künstlerin eröffnet: die Aufforderung zum Mitmachen. Nur schade, dass der Besucher nicht die Seiten des „Öffentlichen Buches“ umblättern darf. Quittegelbe Markisestoffe sind dafür in Holzrahmen gespannt, als wären es Strandliegen en miniature. Auch die gestrickten Masken laden zum Überstülpen, zu Fantasiespielen ein. Allein der Besucher muss es bei der Vorstellung belassen, was für Charaktere sich hinter den Gehörnten, Bärtigen, Elefantenköpfen wohl verbergen könnten. Was bei Rosemarie Trockels Strickmasken später Bedrohlichkeit ausstrahlt, ist bei Ursula Sax noch harmloser Mummenschanz.

Abgründigkeiten sind der Bildhauerin fern; stattdessen springt sie weiter zum nächsten Projekt, der nächsten Fragestellung an Form und Material, Raum und Figur. Im nun vom scheidenden Direktor der Berlinischen Galerie Jörn Merkert vorgelegten Werkverzeichnis klagt die Künstlerin darüber, dass sie am Ende immer mit „leeren Händen“ dagestanden habe. Der Betrachter teilt den Jammer kaum. Er staunt vielmehr über die Fülle eines Lebenswerks, das dem Publikum erst jetzt ins Bewusstsein gerät.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124 - 128, bis 26. 9.; Mi-Mo 10-18 Uhr.

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