Interview: „Unsere Zeit hat die Kunst gefressen“
Ein Gespräch mit Dieter Brusberg, der als Berliner Galerist mit einer letzten Ausstellung schließt – und trotzdem weitermacht.
Sie eröffnen heute Ihre Jubiläumsausstellung „Bilderbogen. 25 Jahre Brusberg Berlin“. Was haben Sie dafür ausgewählt?
Ich habe Künstler ausgesucht, von denen ich glaube, dass es wichtig ist, sie heute noch einmal zu zeigen: Werke von 16 Künstlern, die für meine Berliner Zeit prägend waren. Es geht nicht so sehr um große Namen, sondern um eine Art Glaubensbekenntnis. Die „Altmeister“, die ich schon in Hannover vertreten und mit denen ich meine erfolgreiche Arbeit begründet habe, werde ich im Dezember zeigen.
Sie haben die Hälfte Ihrer Zeit als Kunsthändler in Hannover, die andere Hälfte in Berlin verbracht. Womit sind Sie vor 25 Jahren in Berlin angetreten?
Als ich von Hannover nach Berlin kam, stand mein Programm schon. Meine erste Ausstellung im September 1982 hieß „Zwischen irdischer und himmlischer Liebe“ und war Programm. Doch hier, in der geteilten Stadt, stellten sich die existenziellen Fragen der Kunst viel radikaler. Das war einer der Gründe, weshalb ich nach Berlin gekommen bin. Im Osten der Stadt und des Landes war so unendlich viel von der Notwendigkeit der Kunst zu erfahren. Und so habe ich mich schon damals gewundert, dass die grundsätzlich so engagierten Freunde der Nationalgalerie nach New York fuhren oder Los Angeles, aber nicht, wenn’s drauf ankam, nach Ost-Berlin.
DDR-Künstler wie Bernhard Heisig, Harald Metzkes und Werner Tübke, die Sie schon damals in Ihr Programm aufgenommen hatten, waren Vertreter der figurativen Malerei. Warum diese Vorliebe?
In der Kunst geht es um den Menschen. Bilder sind nicht nur für die Wände da, nicht nur zur Erbauung. Die zentralen Themen, die Quelle aller wahrhaften Kunst, sind Liebe und Tod. Und alles, was dazwischen passiert.
Auch bei Ihrer Jubiläumsausstellung fällt auf, dass Sie zwischen extremen Polen operieren: Stille und Dramatik, Liebe und Tod, das Irdische und das Himmlische.
Im Kern liegt es vielleicht an meiner Herkunft. Ich komme aus Trier, einer römisch-katholischen Stadt. Ich wurde katholisch getauft und wuchs in einer Stadt auf, die wie kaum eine andere geprägt war von Baukunst und Geschichte. Mit Kirchen voller Erhabenheit, Mystik und barocker Fülle. All das war ziemlich überwältigend. Häufig habe ich aber auch den Gottesdienst in der gewaltigen protestantischen Konstantinbasilika besucht: karg und großartig, kein Weihrauch, nur das reine Wort, das einfache, von der Gemeinde gesungene Lied. Beide in der Form so verschiedenen Kirchenwelten haben mich geprägt und Offenheit für vermeintlich gegensätzliche Positionen mit sich gebracht. Nicht zuletzt auch im ästhetischen Bereich.
Berlin ist eher protestantisch. Was haben Sie hier gesucht?
Es war die Lebendigkeit, die Aggressivität der Stadt, die mich lockten. Hier ist das Leben direkt erfahrbar, auch in seinem Irrsinn. Doch es sind just diese zerstörerischen Elemente, die im Verborgenen, aber auch ganz offen aufbrechende Gewalt, welcher sich die Kunst stellen muss. Ebenso wie unser aller Sehnsucht nach dem Paradies. Dieser Zwiespalt ist in Berlin bis heute eindringlich spürbar. Auf andere Weise, aber nicht weniger intensiv als vor 25 Jahren. Darum kommen die Künstler aus aller Welt so gerne hierher.
Sie gelten als Kritiker der Gegenwartskunst, die Sie als Zeitgeistkunst bezeichnen. Was stört Sie daran?
Alle Kunst muss sich dem Zeitgeist stellen, ihn sichtbar machen. Aber nicht ungebrochen als platte Spiegelung von Schrecken oder Schönheit unseres Lebens. Vielmehr gilt es, unsere Einsicht zu vertiefen, unsere Wahrnehmung zu steigern. Viel zu vieles von dem, was sich heute als Kunst ausgibt, begnügt sich mit dem guten Willen oder gefällt sich im Spiel mit der leeren Form. Es gilt aber doch, Sinn und Form untrennbar zu verknüpfen, Zeitloses zu schaffen und dabei unsere Zeit erfahrbar zu machen. Das ist schwer, verlangt vom Künstler Seele, Passion und Meisterschaft. Und vom Betrachter Anstrengung. Kunst ist Widerstand. Die erste Documenta war eine Art Wallfahrtsort für Eingeweihte. Und für solche, die neugierig waren. Es waren vergleichsweise wenige. Doch heute? Menschen in großer Zahl drängen, weitgehend verständnislos, aber ehrfürchtig, durch die Hallen. Keiner regt sich auf, kaum einer stellt Fragen. Man glaubt dem Großereignis, dem „Event“.
Kann Kunst heute überhaupt noch Widerstand leisten? Oder ist Affirmation der Wesenszug unserer Zeit?
Unsere Zeit hat die Kunst gefressen. So scheint es jedenfalls. Was uns beschäftigen sollte, wird nicht wahrgenommen. Oder doch zu wenig. Ich war vor ein paar Tagen bei Bernhard Heisig. Dort hing ein Bild seiner Frau Gudrun Brüne: „Der Tanz ums Goldene Kalb“. Wahrhaftig ein Menetekel. Wir alle tanzen um das Goldene Kalb. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan. Auch der Kunsthandel, dominiert von den beiden großen internationalen Auktionsfirmen, ist im Wesentlichen nur noch ein globales Monopoly-Spiel. Die Kunst dient als Vehikel.
Gerade die DDR-Kunst, der Ihre besondere Neigung gilt, lebt von der Doppelbödigkeit. Was bleibt davon, nachdem das politische System, gegen das sie angemalt hat, verschwunden ist?
Hintergründigkeit ist keine Erfindung der Künstler aus der DDR: Alle Kunst aus allen Zeiten, die wir heute als große Kunst wahrnehmen, ist doppelbödig, voller Geheimnisse. Doch zurück zur Gegenwart: Nehmen wir Mattheuer, der sich wahrscheinlich von allen wichtigen Künstlern der DDR am meisten mit dem System auseinandergesetzt hat. Diese „politischen“ Bilder sind vielleicht in ganzem Umfang nur denen verständlich, die dabei waren oder sich der Geschichte vergewissern. Dennoch bleibt sein „Jahrhundertschritt“ ein Jahrhundertwerk.
Trotzdem wird DDR-Kunst lange nicht so beachtet wie zeitgleich entstandene West-Kunst. Glauben Sie, das wird sich jemals ändern?
Es ist nicht so sehr ein Problem des Marktes als vielmehr der Institutionen. Eine faire und weitgreifende Gegenüberstellung von Ost und West steht immer noch aus. Die Ausstellung von Kunst aus der DDR in der Nationalgalerie war überfällig. Und dass sie, ungeachtet ihrer Weitläufigkeit und ihres Verzichts auf Zuspitzung, so erfolgreich war, zeigt doch, wie groß das Bedürfnis nach Information ist.
Sie haben Ihre Jubiläumsausstellung als „großes Finale“ angekündigt. Schon vor zwei Jahren hieß es, Sie hören auf. Können Sie überhaupt aufhören?
Eins ist sicher: Meine Galeriearbeit werde ich mit dem zweiten „Bilderbogen“ abschließen. Künftig will ich mich mit einem kleinen Team dem Kunsthandel und der Beratung widmen. Ganz altmodisch. Aber vielleicht gibt es einen Neuanfang: Mit der ersten Einzelausstellung des jungen Malers Vincent Wenzel eröffnen wir unsere kleine „HofGalerie“ im Remisengebäude. Das könnte eine neue Perspektive öffnen, denn mein jüngster Sohn möchte den Stab mit einem erfahrenen Partner seiner Generation gern übernehmen und ein junges Programm entwickeln, aber die Ressourcen des Vaters nutzen. Spruchreif ist es noch nicht. Aber es wäre schön.
Einen Rentner Dieter Brusberg kann man sich auch kaum vorstellen.
Nur weil ich die Galerie aufgebe, höre ich nicht auf, mich mit Kunst zu beschäftigen. Mein Herz nehme ich mit. Und meine Erfahrung. Ich werde bewährte Grundsätze beibehalten und meinen Künstlern nahe bleiben. Es wäre verlockend, es so zu halten wie ein Bratschist der Berliner Philharmoniker, von dem erzählt wird, er habe seine Bratsche in den Spind gehängt, den Schlüssel abgezogen und einem Kollegen übergeben mit den Worten „Das war’s“. Eine schöne Geschichte. Ich würde auch gerne abschließen. Aber meine „Bratsche“ weiterspielen.
Das Gespräch führten Christina Tilmann und Michael Zajonz.
Dieter Brusberg, 72, eröffnete vor 25 Jahren seine Galerie am Kurfürstendamm, Ecke Uhlandstraße. Der in Trier geborene Innenarchitekt machte sich 1958 in Hannover als Kunsthändler selbstständig, das Startkapital lieh ihm sein Schwiegervater. Neben Altmeistern der Klassischen Moderne wie Max Ernst und Henri Matisse hat er sich immer auch für DDR-Künstler wie Bernhard Heisig oder Gerhard Altenbourg eingesetzt.
Zum Jubiläum der Berliner Galerie zeigt Brusberg ab heute die Ausstellung „Bilderbogen“ mit Werken von Balthus, Blumenfeld, René Magritte, George Segal, Jim Lawrence, Heike Ruschmeyer, Hubertus Giebe, Wolfgang Petrick und Dieter Goltzsche
(bis 20. Oktober, Di–Fr 10–18.30 Uhr, Sa 10 –14 Uhr). Ab 8. Dezember folgt mit „Bilderbogen 2“ der zweite Teil der Jubiläumsausstellung.
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