Berliner Ausstellung über Essen: Unsere kleine Farm
„Food Revolution 5.0“: Eine Ausstellung im Kunstgewerbemuseum gibt einen Ausblick auf das Essen der Zukunft.
Wie sehr die steinerne Piazetta des Kulturforums samt der Baustellen und Betonwüsten ringsum nach Natur dürstet, merkt man erst, wenn das Grün endlich da ist; obwohl die urbane Streuobstwiese, die der niederländische Stadtplaner und Designer Ton Matton auf der Piazetta installiert hat, gar nicht so frisch aussieht.
Die dünnen Bäumchen, die den Aufgang zum Kunstgewerbemuseum und den Vorplatz säumen, hängen am Tropf. Ein Beutel mit grüner Flüssigkeit gibt ihnen Nährstoffe. Aber jeder Baum hat eine Sitzgelegenheit bei sich, spendet etwas Schatten, sorgt für Sauerstoff und frische Luft. Balsam auf der heißen Piazetta, wo der Beton die Hitze reflektiert.
Etwas Besseres als eine Ausstellung zum Zukunftsthema Ernährung hätte dem Kunstgewerbemuseum gar nicht einfallen können, gerade in der unwirtlichen Umgebung rund ums Kulturforum. Hier gibt es weder Essen noch Natur. „Food Revolution 5.0.“ heißt die Schau, die das Haus von seinem Hamburger Pendant übernommen hat. Im Erdgeschoss und den beiden Untergeschossen zeigen 30 Designerinnen und Designer, wie unsere Nahrung in Zeiten schwindender Ressourcen produziert werden könnte, wie sie aussehen, schmecken, riechen könnte und wer wie viel davon isst. Das Kunstgewerbemuseum tut sich schwer damit, relevante Themen auf die Agenda zu bekommen. Mit „Food Revolution 5.0.“ gelingt das endlich wieder.
In Hochbeeten wachsen Minze, Erbsen, Salat und Kräuter heran
Schon Hans Scharoun, Architekt der Philharmonie, hatte das Kulturforum in den 1960er Jahren als Stadtlandschaft geplant, mit asymmetrischen Gebäuden und vielfältigen Freiräumen. Aus dem Traum von der urbanen Landschaft ist eine Betonwüste geworden, ein niemals vollendetes Ensemble ohne Grün und Erholungswert. Selbst jetzt, im Zuge des Neubaus für das Museum der Moderne, sind die Stadtplaner ratlos. „Food Revolution 5.0.“ präsentiert gleich mehrere Ideen, die das Kulturforum zu einem Ernährungs- und Erholungsraum für alle machen könnten.
Auf der West- Terrasse des Kunstgewerbemuseums hat die Landschaftsarchitektin Katrin Bohn einen essbarer Garten installiert. In Hochbeeten wachsen Minze, Erbsen, Salat und Kräuter heran. Das reicht für eine Mahlzeit pro Woche für jeden der 20 Mitarbeiter des Kunstgewerbemuseums. Selbst gezupft, ohne Kochen zubereitet, gesund. Alternative Formen des „farmings“, auf dem Land, in der Stadt und der eigenen Wohnung, sind ein zentrales Thema der Schau. Das niederländische „becollective“-Team, bestehend aus Designern, Architekten und Marketingexperten, präsentiert eine Bienenstation für die Stadt. „Sky Hive“ besteht aus zwei Bienenstöcken, die an einem Gestänge in die Luft befördert werden können, so dass Passanten sich vor den fliegenden Blütenbestäubern nicht fürchten müssen. Das mobile Bienenhaus könnte von Anwohnern betreut werden, die Pflanzen ringsum würden bestäubt, man könnte Honig ernten. Die Konstruktion sieht ein bisschen aus wie eine Maschine.
Kleinbäuerliche Strukturen in neuem Gewand
Würde man zukünftige Technologien mit altem Handwerkswissen verbinden, könnte mitten in der Stadt, auf Brachen, Grünstreifen, Balkonen und Dächern, Nahrung produziert werden. Kleinbäuerliche Strukturen müssen wieder her, heißt es in der Ausstellung. Allerdings in neuem Gewand. Die „Indoor Farm“, von einem Team des Fraunhofer Instituts entwickelt, ermöglicht Landwirtschaft auf kleinstem Raum. In einem gläsernen mit Infrarotlicht beleuchteten Gewächshaus sprießen Salatpflanzen in einer Nährlösung und auf mehreren Ebenen. Das spart Anbaufläche und Wasser. Optimal für Wüstengegenden – oder auch für dicht besiedelte Städte, wo jeder Quadratmeter kostbar ist. Das Gemüse, das in so einer Indoor-Farm angebaut wird, hat sogar Bioqualität, es muss nicht gespritzt werden, Schädlinge kommen in dem künstlichen Environment nicht vor. Die Bio-Salatköpfe könnten sogar direkt im Supermarkt gedeihen. Großstadtbewohner haben mit der Herstellung ihrer Lebensmittel kaum noch etwas zu tun. Daran haben wir uns gewöhnt. Lebensmittelerzeugung ist eine globale Industrie, ein Milliardengeschäft für Konzerne, das lokale Erzeugerstrukturen vernichtet. Ein System, das auf Dauer seine eigene Grundlage zerstört.
„Klimawandel, Ressourcenknappheit und Hunger machen neue Ideen für die Nahrungsmittelproduktion dringend notwendig“, sagt die Hamburger Kuratorin der Ausstellung Claudia Banz. Lebensmittel werden produziert und in riesigen Mengen weggeschmissen, im Westen wird zu viel gegessen, anderswo herrscht Mangel. Die industrielle Landwirtschaft benötigt zu viel Wasser, produziert mehr Treibhausemissionen als der Autoverkehr, killt die Biodiversität. 75 Prozent aller Lebensmittel der Welt stammen von nur 12 Pflanzen und fünf Tierarten, so erklärt es die Ausstellung. Vor allem der weltweit zunehmende Fleischkonsum hat dramatische Auswirkungen auf das Ökosystem.
Auf einer Schlachtbank im Kunstgewerbemuseum präsentiert die kuwaitische Designerin Hanan Alkouh eine Keule, tiefrot mit weißen Sehnen und Knochen. Was aussieht wie Schinken, ist in Wahrheit aus der roten Dulsen-Alge gepresst. Ein Superfood mit zahlreichen Vitaminen und Antioxidantien, das an den Küsten des atlantischen und pazifischen Meeres gedeiht. Gebraten schmeckt es ähnlich wie Speck. Alkouh schlägt vor, die reiche Kultur rund ums Fleisch samt Schlachterwissen und Metzgerhandwerk aufrechtzuerhalten. Die Alge wird in eine speckfarbene, die Anatomie eines Schweins nachformende Haut gepresst. Sie wird im Ganzen über den Grill gehängt oder „geschlachtet“, in Scheiben geschnitten, als Steaks in der Pfanne gebraten und zu Salami verarbeitet. Fleischkultur ohne Fleisch.
Essen ist in Form gebrachtes Material
Alkouhs Idee mag an das Konzept des veganen Würstchens erinnern – und geht doch weit darüber hinaus. Schon weil ihr „Fleisch“ um Längen besser aussieht als der blasse Wurstersatz. Einige Designer der Ausstellung versuchen Geschmack neu zu konditionieren. Insekten gelten als gute Alternative zum Fleisch. Sie sind fettarm, vitamin- und eiweißreich. Leider ekeln sich viele davor. Die Designerin Carolin Schulze fragt, wie man Insektenlarven appetitlich in Form bringen kann. Ihr Vorschlag sieht aus wie ein Häschen und kommt aus dem 3D-Drucker. „Falscher Hase or Bugs’ Bunny“ nennt sie ihre Kreation aus Larvenbrei.
Essen ist in Form gebrachtes Material, eine Gestaltungsaufgabe. Deshalb ist es so ergiebig, den Designern der Schau zuzuhören. Unsere Esskultur kann für die Zukunft optimiert werden, wie es Paul Gong aus Taiwan vorschlägt. Er hat ein neues Essgerät entwickelt, unter anderem einen „Geruchstransformator“, der es ermöglichen soll, verdorbene Lebensmittel zu konsumieren. Vom Fleisch im Spannungsfeld von Entstehen und Vergehen berichtet ab Juni auch das Alte Museum in der Ausstellung „Fleisch“. Dabei geht es nicht nur um Körperkult und antike Statuen, sondern tatsächlich auch um Codes der Ernährung. Der Blick zurück kann helfen, die Ideen für die Zukunft einzuordnen.
„Food Revolution 5.0“, bis 30. September, Kunstgewerbemuseum, Matthäikirchplatz, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa und So 11-18 Uhr
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität