Türkei-Doku „Dil Leyla“: Unsere Freude währte viel zu kurz
Repression unter Erdogan: Asli Özarslan porträtiert in ihrem Diplomfilm „Dil Leyla“ die junge Bürgermeisterin einer kurdischen Stadt.
Ein Saal mit schweren Lederfauteuils und dunkler Holztäfelung, rechts und links neben dem erhöhten Amtstisch zwei Flaggen, von denen eine den türkischen Halbmond zeigt. Wir sind im Rathaus der Stadt Cizre, die im Südosten Anatoliens direkt an der Grenze zu Syrien und nahe dem Irak liegt. Für kurze Zeit amtierte hier als Bürgermeisterin eine junge Frau, die zwar in der Stadt geboren war, doch den größten Teil ihres Lebens im norddeutschen Bremen verbracht hatte.
Der Anfang Leyla Imrets Regentschaft im Jahr 2014 fiel in den kurzen hoffnungsvollen Frühling der Erdoganschen Kurdenpolitik. Doch die neue Eiszeit folgte schnell, markiert ausgerechnet durch den von der mehrheitlich kurdischen Bevölkerung Cizres noch mit Jubel und Feuerwerk begrüßten Erfolg bei den Wahlen im Juni 2015, als mit der HDP eine neue pro-kurdische Partei erstmals ins Parlament kam. Doch am Wahlabend saß Leyla Imret schon wegen einer Ausgangssperre mit Mutter und Brüdern zu Hause fest statt mit politischen Freunden zu feiern. Im Herbst – also lange vor dem Putsch – wurde sie ihres Amtes enthoben.
„Dil Leyla“, der Diplomfilm der mit Imret etwa gleichaltrigen Ludwigsburger Filmstudentin Asli Özarslan, erzählt von dieser Zeit, beginnt aber mit eindrücklichen Videoaufnahmen aus einer früheren Periode der Repression Anfang der neunziger Jahre. Die zeigen, wie die Polizei mit Panzerwagen brutal Menschen jagt, die gerade noch mit patriotischen Gesängen und Fahnenschwenken das kurdische Neujahr begrüßten. Szenen der Gewalt, wie sie auch die Kindheitserinnerungen von Imret prägen, jedenfalls ganz frühe. Denn schon bald wurde das kleine Mädchen zu seiner Sicherheit zu Verwandten ins ferne Deutschland gegeben, nachdem ihr Vater, ein lokaler Guerilla-Kommandant, 1991 bei einem Gefecht erschossen worden war.
Verzweifelte Suche nach Identität
Das erzählt Imret aus dem Off, nachdem sie etwa zwanzig Jahre später in ihre Heimat und zu ihrem Volk – so nennt sie es – in Cizre zurückgekehrt war. Und dort bald auch, wie ein Zwischentitel sehr knapp (ohne Angabe von Gründen, Partei oder näheren Umständen) berichtet, mit großer Mehrheit zur Bürgermeisterin der Stadt gewählt wurde. 2015 ist sie in dieser Funktion beim Newroz-Fest präsent und lässt sich nach einer kleinen Mutmach-Ansprache sanft lächelnd für Selfies fotografieren. Später beratschlagt sie bei einer Ortsbesichtigung mit ihrem Team Spielplatz-Pläne für eine Siedlung oder Hygienebedingungen am Bazar.
Sie wolle „etwas Schönes machen für diese Menschen“, sagt sie etwas vage über ihr Programm. Viel konkreter wird das auch im Film nicht. So bleiben Leyla Imrets politische Absichten bis zum Ende ebenso unklar wie die Machtverhältnisse der regionalen Politikzirkel, in denen sie agiert.
Deutlich wird dafür, dass Imret eine fast verzweifelte Suche nach Identität antreibt, und töchterliche Loyalität gegenüber dem verehrten Vater, der seine Älteste einst mit dem Kosenamen „Dil – Mein Herz“ bedacht hatte.
Schon bald drängt sich Erdogans neue Repressionswelle massiv vor die zivilen Verschönerungsaktionen. Auch das Filmteam muss mehrfach ausreisen. Dann bricht der Kontakt nach Cizre ab, selbst Leylas engagierte Bremer Verwandtschaft kann die junge Frau in der von der Außenwelt abgeschnittenen Stadt über Monate nicht erreichen. Als sie sich endlich wieder melden kann, berichtet sie Erschütterndes von Massakern, Zerstörung und Verfolgung. Sie selbst bekam aufgrund eines aus dem Zusammenhang gerissenen Interview- Satzes und einer bösartigen Medienkampagne die derzeitigen Standard-Anklagen wegen „Unterstützung des Terrorismus“ und „Anstiftung zum Aufruhr“.
Wesentliche Fragen bleiben unausgesprochen
Angesichts der dramatischen Ereignisse ist es löblich, dass Regisseurin Özarslan auf Zusatzmittel wie Musik und auch auf einen Kommentar jenseits der Texttafeln verzichtet. Doch man spürt, dass der jungen Filmemacherin und ihrem Team noch die dokumentarischen Erfahrung fehlt, um der anrührenden Geschichte über die Emotionalität hinaus ausreichend Gehalt und Komplexität zu geben. So bleiben am Ende viele wesentliche Fragen unausgesprochen, was sicherlich auch den schwierigen Drehbedingungen geschuldet ist.
Aber Offenheit ist ja nicht das Schlechteste für einen Film. Derzeit, so der letzte Stand, sitzt Leyla Imret in Hausarrest und wartet auf ihren Prozess. Wünschen wir ihr – und vielen anderen in ähnlicher Lage – dass sie durchhalten und sich eines Tages wieder in die Gesellschaft einbringen können.
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