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Schmerz der Einsamkeit. Thom Yorke, Sänger von Radiohead, hat die Konsonanten aus seiner Artikulation herausgewaschen.
© dpa

"A Moon Shaped Pool" von Radiohead: Und nun die Selbstzersetzung

Am Sonntag ist ein neues Studioalbum von Radiohead erschienen. "A Moon Shaped Pool" ist das stillste und sanfteste Werk der britischen Kultband.

Kurz vor Erscheinen des neuen Radiohead-Albums "A Moon Shaped Pool" ist etwas Merkwürdiges passiert. Die Band fuhr sämtliche Aktivitäten im Internet herunter. Sie meldete sich ab. Wie ein Tier, das auf seine Beute lauernd reglos im Gras verharrt, machte sich die britische Band unsichtbar und alle Welt deutete es sofort als Zeichen, als verkapptes Ankündigungssignal. Ein eigenartiger narzisstischer Mechanismus. Nur bei Radiohead funktioniert er. Wem sonst würde man eine schräge Nummer, wie dieses Schweigen, durchgehen lassen?

Radiohead, das Quintett aus Oxford, hat von jeher seine Schwierigkeiten mit öffentlichen Bekenntnissen. Als es 1996 kurz vor dem Durchbruch stand und bei den Brit-Awards auf Tricky traf, den seinerzeit größten Helden des Trip-Hop, lief das folgendermaßen ab. Trickys Bandkollege 3D kam zu ihm und berichtete, dass Radiohead ihn gerne sprechen würde. "Ok", meinte Tricky, "können gerne rüberkommen." "Naaa", sagte 3D, "das werden sie nicht tun. Die sind ein bisschen speziell." Gut, meinte Tricky daraufhin, der mit Massive Attack und als Solokünstler zu dem Zeitpunkt die wichtigsten britischen Platten der 90er Jahre aufgenommen hatte, erhob sich und ging zu dem Tisch, an dem die Band Platz genommen hatte. Es sei dann ein sehr nettes Gespräch gewesen, erzählte Tricky später in einem Berliner Café. Was ihn gewundert habe: Radiohead erzählten ihm, dass sie eines seiner Stücke im Studio immer wieder gehört hätten, bevor sie mit ihren eigenen Aufnahmesessions begannen. Der Song dürfte also einen gewissen Einfluss auf ihre Musik gehabt haben. "You know what", sagte Tricky, "als wenig später ,OK Computer' herauskam, haben sie das nie erwähnt. Es findet sich nicht der geringste Hinweis."

Tricky konnte darüber nur den Kopf schütteln. Warum leugneten diese wunderbaren Musiker, unter welchen Einflüssen sie standen? Übertrieben sie es nicht ein bisschen? An Radioheads Art, Nicht-Kommunikation als die beste Kommunikation zu betrachten, hat sich seither wenig geändert.

Das Album ist seit Sonntag auf der Bandwebsite erhältlich

Seit Sonntagabend ist das neue Werk auf der Website der Band Dead Air Space zugänglich. 2007 brachten sie mit "In Rainbows" ein Album heraus, das sie ebenfalls zunächst nur im Internet anboten - und zwar gegen eine in der Höhe selbst gewählte Spende. Das war damals ein Novum, weshalb es nach dieser Ankündigung einer PR-Kampagne gar nicht mehr bedurfte. Es sollte den Beweis antreten, dass man sehr wohl an Plattenfirmen vorbei als Musiker sein eigenes Geld verdienen könne - indem man auf Guerilla-Strategien setzte.

Niemand bezweifelte, dass Bands vom Range Radioheads das schafften. Doch was war mit weniger bekannten Künstlern, in die Plattenfirmen früher zunächst etliches Geld investierten, bevor es zu kommerziellen Erfolgen kam? Würden auch sie sich aus eigener Kraft im Internet eine Aufmerksamkeitsnische finden?

Die Frage spitzt sich in diesen Wochen abermals zu. Eine wilde Flut von Blitzveröffentlichungen, bei denen Superstars wie Rihanna, Kanye West, Beyoncé, Drake, James Blake und nun auch Radiohead auf die PR-Maschinerie und ordnende Hand von Plattenfirmen verzichten, spekuliert auf den Überraschungseffekt.

Metaphern der Düsternis und Paranoia

Das holt eine Kernkompetenz des Pop ins Pop-Business zurück: dass Musik für Aufregung sorgt und zwar aus ihrem eigenen Recht. Jedenfalls hat Beyoncé die Klatschspalten der Welt mit ihrem Musik gewordenen Ehe-Drama als viel mächtigere PR-Maschinerie für sich arbeiten lassen, als eine Plattenfirma das vermocht hätte. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Aufregung sich abnutzt bei dem unkoordinierten Chaos, in das diese Hoppla-hier-sind-wir(-jetzt-auch)-Praxis führt.

Wie sich zeigt, kann man sich in der Unübersichtlichkeit auf Radiohead wenigstens verlassen. In dem von Hollywood-Regisseur Paul Thomas Anderson gedrehten Video zu "Daydreaming", das vorab verbreitet wure, sieht man Sänger Thom Yorke auf der Suche nach der richtigen Eingangstür durch Häuser, Wohnungen, Waschsalons, Lager- und Kaufhäuser, Landschaften gehen. Hinter jeder Tür tut sich eine neue Welt auf, ein neues Abenteuer des Deplatziertseins. Und wer könnte diese Verlorenheit besser verkörpern als der auf eine brutale Art stoische Yorke, dessen hängendes Augenlid und unfreundliches Gesicht noch immer den größten Kontrast zu seiner lieblichen, alterslosen Stimme bildet. Man sieht einem in sich Eingeschlossenen bei seinem Gang ins Absurde zu. Und er singt davon, dass Träumer nie dazulernen und immer erst aufwachen, wenn die Katastrophe geschehen ist.

Yorke scheint in diesem Traumzustand noch mehr von seiner Artikulation zu verlieren als ehedem schon. Er dehnt die Vokale, Silben schenkt er sich ganz, sodass die Bedeutung wie herausgewaschen ist aus den Songs. Worum es geht, kann man nur erahnen anhand von Metaphern der Düsternis, der Paranoia und von Sätzen wie "this dread will cover us", die Furcht wird uns schützen. Wovor?

Radiohead treiben ihr wunderbares Zersetzungswerk weiter

In "Desert Island Disk", einem älteren Song, den die Band bereits bei Konzerten gespielt hat, heißt es, dass man wie nach einem Zusammenbruch aus einem tausendjährigen Schlaf erwache. "You know what I mean", singt Yorke erklärend. Aber ganz ehrlich, keine Ahnung, wie sich so ein Erwachen anfühlt.

Auch für "A Moon Shaped Pool" gilt wieder, dass Beckett sich nicht rätselhafter hätte ausdrücken können. Andererseits hat das nie eine Rolle gespielt. Seit diese Alchemisten, mit "OK Computer" vor bald zwanzig Jahren den Schritt in ein technoides Zeitalter vollzogen und Rock'n'Roll in ein Säurebad legten, haben sie mit jeder Platte ihr wundervolles Zersetzungswerk weitergetrieben. Erst gingen Drums und Gitarren in elektronisch pulsierenden Akkordwolken auf ("Kid A", 2000), dann zerstoben die Affekte in Insektenschwärmen und dem warmen Klang des Jazz ("Amnesiac", 2003), schließlich kam der Rückgriff auf tribalistische Trommeln ("Hail to the Thief", 2005), die Gitarren wurden in Quecksilber getaucht und Streicher ersetzten die Maschinen ("In Rainbows", 2007).

Was sich nun auf "A Moon Shaped Pool" ereignet, ist in den vorausgegangenen Phasen bereits angeklungen, doch ist dieses sechste Album der Post-"Ok Computer"-Periode das bei weitem stillste, zärtlichste, verletzlichste. Ein Folk-Song wie "Desert Island Disk" kommt mit nicht viel mehr als einer gezupften Gitarre und einer Pianofigur aus. Gleich darauf wähnt man sich vor der geschlossenen Tür eines Danceclubs stehen. Ein dumpf dröhnender Drumbeat prallt im Inneren an die Wand, erst allmählich wird er transparent und hypnotisch und dient der Band als Folie für ihren irisierenden Sehnsuchtsklang. In der betörenden, von Streichern getragenen Ballade "Glass Eyes" haucht Yorke die Zeilen: "Through the dark blue, I don't know where it leads / I don't really care / I feel this often / go."

Die Band sucht Sparsamkeit und Stille

Da hat er also seinen Frieden gemacht mit der Düsternis. Und seine Kumpel, die Brüder Greenwood an Gitarre und Bass, Ed O'Brien und Drummer Phil Selway haben sich wieder neue Rollen gegeben. Tatsächlich wirken Radiohead, als tasteten sie sich mit lange unbenutzt gebliebenen Instrumenten aus einer Höhle, vorsichtig, leise. Zurück ins blendende Licht. Der Schock darüber lässt sie lieber nicht so genau wissen wollen, wie es um die Erde bestellt ist ("Identikit").

Nicht gut jedenfalls. Heil kann nur durch weniger statt mehr gefunden werden. So ist "A Moon Shaped Pool" eine Übung in Selbstzersetzung. Der Radiohead-Code aus wehendem Pathos und treibendem Puls ist nur noch in Spurenelementen erkennbar. Die Band sucht Sparsamkeit und Stille. Das letzte Wort ist "lonely". Einsam.

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