Portrait von Ula Stöckl: Und Mutter trug die Bombe weg
„Neun Leben hat die Katze“ war einer der frühen feministischen Filme. Nun läuft er in den "Classics". Eine Begegnung mit der Regisseurin Ula Stöckl.
Ula Stöckl hat nie geheiratet, nie Kinder bekommen. Zu groß war ihre Angst davor, sich anpassen zu müssen, die eigenen Träume zurückzustellen. Sie wollte Filme machen, Karriere, sie wollte das haben, was die Männer haben. Heute ist sie 77 Jahre alt und noch immer nicht kampfesmüde: Mehr, viel mehr Frauen, findet sie, braucht es im Filmgeschäft.
1938 wurde Ula Stöckl geboren, kurz darauf begann der Krieg. Die Zeit habe sie geprägt, sagt die Regisseurin auf der Berlinale. Sie hat in einem Dorf, 20 Kilometer südlich von Ulm, ihre ersten Worte gesagt, krabbeln gelernt. An einen Tag erinnert sie sich noch, als sei es gestern gewesen: „Ich werde nie vergessen, wie einmal eine Bombe auf der Straße lag, die durch unser Dorf führte“, erzählt sie. „Meine Mutter nahm die Bombe und trug sie weit weg, zu einer Wiese.“ Stark sei ihre Mutter gewesen, tüchtig, und allein. Ihr Vater war ja an der Front.
Wozu nur diese Abhängigkeiten?
Mit der Zeit merkte Ula Stöckl, dass ihre Vorstellungen und die ihrer Mutter immer weiter auseinander drifteten, dass sie einander immer weniger verstanden. Ihre zehn Jahre jüngere Schwester ist verheiratet, hat Familie – und wenn sie einmal nicht früher aufstand als ihr Mann, um ihm Frühstück zu machen, sagte die Mutter: „Das hätte ich mir bei meinem Mann nicht leisten dürfen.“ In ihrem Film „Das alte Lied“ zeigt Ula Stöckl eine Frau, die ein Küchentuch fest in der Hand hält, als könnte nur sie es benutzen, als müsse sie es verteidigen. Dabei könnten Männer doch auch kochen, abwaschen, wozu nur diese Abhängigkeiten?
„Das alte Lied“ war Ula Stöckls letzter Kinofilm und lief 1992 auf der Berlinale. Im Forum, wo die Regisseurin schon „Geschichten vom Kübelkind“ (1971) und „Der Schlaf der Vernunft“ (1984) gezeigt hatte. In diesem Jahr steht „Neun Leben hat die Katze“ im Programm der Classics. Fertiggestellt im Jahr 1968, gilt das Spielfilmdebüt von Ula Stöckl als erster feministischer Film in Deutschland. Damals wurde er in Techniscope gedreht und im Technicolor-Druckverfahren kopiert. Jetzt hat ihn die Deutsche Kinemathek digital restauriert.
Viel habe sich bis heute nicht getan
Worum es in dem Film geht? Fünf Frauen sinnieren darüber, wie weibliche Emanzipation gelingen kann, wo doch alles von Männern bestimmt wird, und sie bloß hübsch anzusehen sein sollen. Da gibt es die arbeitende, noch nicht verheiratete Protagonistin, die Geschiedene, die sich um die Zukunft sorgt, die Karrierefrau, die Betrogene und die nicht-existierende Traumfrau. „Nie hatten Frauen so viele Möglichkeiten, ihr Leben einzurichten, wie sie es wollen. Jetzt müssen sie lernen, dass sie etwas wollen können.“ Das sagte Ula Stöckl 1968.
Heute sagt sie es wieder. Denn viel habe sich ja nicht getan in all den Jahren, findet sie. Es gebe zwar mehr Frauen, die studieren, arbeiten – und wie früher machen sie Filme, gute Filme. Erfolgreich seien aber nach wie vor mehr männliche Regisseure. Es gebe noch immer nicht die gleichen Löhne, noch immer werde über die Quote diskutiert. Als sei die Zeit, wenn überhaupt, in Zeitlupe vorangeschritten.
Ein Kommentar, Frau Stöckl? Nicht nötig.
Von 1982 - 2000 saß Ula Stöckl im Auswahlgremium der Berlinale und setzte sich dafür ein, Filme von Regisseurinnen in das Programm aufzunehmen. 15 Jahre lang engagierte sie sich für das europäische Frauenfilmfestival, heute ermutigt sie Film- und Regiestudentinnen an der University of Central Florida. „Erzählt Eure Geschichten, aus Eurem Blickwinkel“, sagt sie ihnen. „Seid stark, setzt Euch durch! Es macht allein schon einen Unterschied, ob der Mann im Fokus der Kamera steht und die Frau unscharf dahinter, oder andersherum.“
Eine Regisseurin, die sie seit den 60er Jahren kannte und sehr schätzte, war Katrin Seybold. Der Nationalsozialismus, der Widerstand gegen ihn, waren Seybolds wichtigsten Themen. Doch 2012 verstarb sie 68-jährig, ohne ihr letztes Werk „Die Widerständigen – also machen wir das weiter...“ vollenden zu können. Die Familie wandte sich an Ula Stöckl, die nicht zögerte und aus 63 Stunden unangetastetem Material einen Film machte, der nun im Panorama zu sehen ist. Die Dokumentation handelt von der Bewegung „Die Weiße Rose“, die nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl fortbestand. Zeitzeugen erinnern sich. „Meinen und den Film einer guten Freundin zu zeigen, da ist das Glück schon grenzenlos“, sagt Ula Stöckl ein wenig ergriffen. Mit einer Serviette tupft sie sich über die geschminkten Lippen und legt sich den blau-roten Schal zurecht.
Denkanstöße, nicht bloße Unterhaltung
Trotz ihrer Präsenz mit zwei Filmen weiß Ula Stöckl aber auch, wer den Goldenen Ehrenbären in diesem Jahr für sein Lebenswerk bekommt: Wim Wenders. Beide vertraten in den 70er Jahren den Neuen Deutschen Film, kritisierten das Establishment, machten sich unabhängig von den großen Filmstudios, schufen das Autorenkino. Denkanstöße, nicht bloße Unterhaltung, das wollten sie. Wenders gelang der internationale Durchbruch, in diesem Jahr ist er zum dritten Mal für den Oscar nominiert.
Ula Stöckl lehrt heute, möchte über manche Jahre im Filmgeschäft gar nicht sprechen. Ein Kommentar, Frau Stöckl? Nicht nötig. Der Vergleich zeige doch, was sie mit der Ungleichheit meine. Mit diesem Frauen-Männer-Ding, das so aktuell ist wie ihr erster Film, der jetzt als „Klassiker“ läuft.
Neun Leben hat die Katze, 10.2., 19 Uhr (Cinemaxx 8); Die Widerständigen – also machen wir das weiter, 11.2., 15.30 Uhr (Colosseum 1), 15.2., 14.30 Uhr (Zoo Palast 2)