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Kultur: Und jetzt alle zusammen!

Ein

von Christiane Peitz

Kanon singen, das wäre doch was. Während in schöner Regelmäßigkeit über den deutschen Bildungskanon räsonniert wird, wirbt CDUKanzlerkandidatin Angela Merkel im Gespräch mit der „FAZ“ für die Kunst, „mit meiner Gruppe im fünften Einsatz gegen die anderen klarzukommen und die anderen dabei auch noch zu hören“. Merkels gleichsam nachgeliefertes CDU-Wahlkulturprogramm macht deutlich, wofür das Herz der Konservativen schlägt: Während Schröder der zeitgenössischen Kunst und der Literatur zuneigt, ist es bei Merkel die Hochkultur, die Oper, die Klassik – und das gute alte Kanonsingen inklusive der Kenntnis vierter und fünfter Liedstrophen. Rot-Grün liest sie die Leviten: Bei der Hauptstadt-Kulturpolitik wäre es sinnvoller gewesen, statt der Akademie der Künste die Staatsoper in die Verantwortung des Bundes zu übernehmen. So sieht Merkel die Zukunft der Opernstiftung mit Skepsis – und macht einen Rückzieher. Umbauen, gar rückbauen will sie mit Blick auf Berlin nicht. Die Stadt möge ihre kulturellen Schlachtschiffe bitte schön selbst in den Griff kriegen.

Ob Bayreuth oder Popquote, Baden-Baden oder Avantgarde: Wie viel Kultur will der Bund, wie viel Bund braucht die Kultur? Inzwischen hat sich fast jede Partei dazu geäußert. Den Anfang machte Monika Griefahn (SPD), folgten die parteilose Amtsinhaberin Christina Weiss, Antje Vollmer (Grüne), Monika Grütters (CDU) und nun für die FDP Guido Westerwelle: Alle befürworten die Aufwertung des im Kanzleramt angesiedelten Staatsministers zum echten Minister mit eigenem Portefeuille. Nur die CSU schießt wieder mal quer und beharrt ganz im Sinne Edmund Stoibers auf den im Grundgesetz verankerten Kultur-Föderalismus.

Die Kulturnation, eine große Koalition? Angela Merkel hält sich bedeckt: Laut „FAZ“ hat sie sich noch „keine abschließende Meinung“ zum Staatsziel Kultur gebildet. Mit den Ländern und ihrer so genannten Hoheit möchte sie sich im Falle ihrer Wahl offenbar ebenso wenig anlegen wie Schröder. Dass es bei dessen Amtsantritt „nur“ ein Kulturstaatsminister wurde, lag ausschließlich an der Scheu vor dem Konflikt mit den Föderalisten. Verfassungsrechtlich, das wurde schon 1998 geprüft, gibt es keine Bedenken; ein Bundesbildungsministerium exisitiert ja längst. Dennoch wird ein eigentständiges Kulturministerium wohl bis zur Föderalismus-Reform warten müssen. In Brüssel fragt übrigens keiner, ob der oberste deutsche Kulturpolitiker nun Kabinettsrang hat oder nicht.

Was macht eigentlich den Unterschied, jenseits der symbolischen Aufwertung des Amts – und des höheren Salärs für den Inhaber? Dazu äußert sich niemand. Dabei verhandeln Theaterstücke, Romane, Operninszenierungen und Songtexte derzeit gerade die Werte- und Sinnfragen, unser Verhältnis zu Tradition und Zukunft, zu Nation, Gewalt oder Religion. Lauter hochpolitische Themen in einer Zeit, in der die Politik auf Visionen weitgehend verzichtet. Ob Staatsziel oder nicht, Bund oder Land: Es kommt darauf an, welche Lieder wir singen wollen. Egal, wie viele Strophen unsereins auswendig kann.

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