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She She Pop: Und ewig lockt der Leib

Vor drei Jahren holten She She Pop ihre eigenen Väter auf die Bühne, um den Generationenvertrag zu sezieren. Jetzt widmen sie sich ihren Müttern - und tanzen zu Strawinskys „Sacre du Printemps“.

Einen symbolischen Muttermord begehen die wild gewordenen Töchter (und ein Sohn) am Ende doch nicht. Dafür schänden She She Pop in ihrer neuen Produktion mal eben Strawinskys „Sacre du printemps“. Das Werk, das seine skandalöse Uraufführung vor 100 Jahren in Paris erlebte, funktionieren sie im HAU 1 kurzerhand zu einem Psycho-Ritual um, bei dem es darum geht, sich vom überlebensgroßen Bild der Mutter zu befreien.

In der gefeierten Produktion „Testament“ hatten die Darsteller des Performancekollektiv She She Pop schon ihre Väter auf die Bühne gebeten, es ging um den Generationenvertrag, um Erben und Sterben, Pflege und Liebe. Am Ende wurden ihnen Hemd und Krone abgenommen und die Töchter saßen auf dem Thron. Nun sind also die Königinnen an der Reihe, soll der Mutter-Tochter-Konflikt bearbeitet werden. Immerhin vier Mütter haben sich bereit erklärt, mitzumachen und Privates auf der Bühne zu verhandeln – auch wenn die künstlerischen Methoden ihrer Töchter ihnen suspekt sind. Und die Furcht, sich entblößen zu müssen, stand von Anfang an im Raum. Diente beim Väterstück Shakespeares „Lear“ als Folie, so ist es diesmal das „Frühlingsopfer“-Ballett, das immer wieder neu gedeutet wurde.

Nun ist es ein großer Sprung von einem Werk wie „Sacre du printemps“, in dem pagane Opferbilder nachwirken, zum feministischen Thema der sich für ihre Familie aufopfernden Frau in der bürgerlichen Gesellschaft. Und dass die Weiblichkeitsbilder hier vorrangig unter dem Aspekt der Opferrolle untersucht werden, erinnert fatal an die Anfänge des Feminismus. Immerhin zwei der Mütter folgen der Lesart und erklären, dass sie ihren Beruf und ihre Kreativität zum Opfer gebracht haben. Eine erzählt, wie sie ihrem Ehemann in einem symbolischen Akt Pinsel und Farben aushändigte. Die Schöpferrolle kam damals allein dem Mann zu. Frau Freiburg hingegen will sich partout nicht auf die Opferrolle festlegen lassen. Und die drei Töchter – Johanna Freiburg, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf – stellen gleich klar, dass sie zu der Generation von Frauen gehören , die nicht mehr bereit ist, Opfer zu bringen. Sehr weit führt dieser eingeschlagene Pfad nicht.

Spannender ist da die Auseinandersetzung mit dem eigenen Bild der Mutter. Die vier Mütter sind hier konsequenterweise nur als riesiges Videobild zu erleben – und sie bleiben Projektionsfläche für ihre Kinder. Johanna Freiburg gesteht, sie habe es als Kind nicht ertragen, zu sehen, wie ihre Mutter auf Partys tanzt. Dieses Bild einer freien Mutter, einer Mutter, die im Kontakt mit anderen stand, musste sie unbedingt abwehren. Wenn Ilia Papatheodorou ihre Mutter inszeniert, ihr genaue Anweisungen gibt, dann folgt sie einem unbewussten Muster: Das offenbart später ein altes Schwarz-Weiß-Foto, dass die Mutter mit ihrem Baby im Arm zeigt. Überhaupt scheint man bei jeder Geste, jeder Bewegung der Mütter die Regieanweisung der Tochter aus dem Off zu hören. Die ersten Liebesobjekte machen alles geduldig mit – und tanzen sogar.

Gruppentherapie mit She She Pop.

Wie so oft bei She She Pop hat der Abend etwas von einer Gruppentherapie. Auch Peinlichkeiten bleiben nicht aus. Dass Sebastian Bark sich eine blinkende Krone, die das Wort Opfer ergibt, aufsetzt, wirkt einfach nur larmoyant. Wie auch seine Klage, dass seine Mutter ihn immer idealisiert habe. Das Publikum amüsiert sich über die absurden gegenseitigen Zuschreibungen. Und immer noch lockt der mütterliche Leib. Fantastisch ist dann, wie die Gesichter von Mutter und Tochter überblendet werden, um ihre Abhängigkeit zu veranschaulichen. Der kleine Sebastian Bark scheint strampelnd auf dem Schoss seiner Riesenmutter zu sitzen und greift nach ihrer Brust.

Nun weiß man, dass She She Pop sich allerhand trauen und auch keine Angst haben, sich bloßzustellen. Hier beginnen sie zu den wuchtigen Klängen von „Frühlingsopfer“ zu tanzen, es wirkt ein bisschen wie eine enthusiasmierte Laienspielschar oder wie ein Tanz-dich-frei-Workshop. Sie stampfen und schütteln sich und vollführen einen seltsamen Ahnenkult, während die Mütter Fratzen schneiden und sich in archaisch anmutende Idole verwandeln. Dass Mütter zu Furien mutieren, nimmt man diesen netten älteren Damen aber nicht ab.

Letztlich machen She She Pop kein Drama aus der ersten und prägenden Zweierbeziehung ihres Lebens. Der Abend mündet in heiteres Gelächter, denn gegenseitige Missverständnisse und Vereinnahmungsversuche sind treffend dargestellt. Und Schuldzuweisungen bleiben aus. Die Töchter zeigen vielmehr mit viel Selbstironie, wie sie mit aller Macht versuchen, das Bild ihrer Mutter zu kontrollieren. Und dass die Mütter sich dem Blick ihrer Töchter so bedingungslos ausliefern, ist ganz sicher auch ein Beweis ihrer Liebe.
Wieder am 12.–14. April und 10.–12. Juni

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