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Einöde
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Berlinale Forum 2016: Und die Welt ward wüst und leer

Endzeitstimmung im Forum der Berlinale 2016: In Nikolaus Geyrhalters "Homo Sapiens" bekommt der Zuschauer einen ersten Eindruck, wie die Welt ohne Menschen aussehen könnte.

Letztes Jahr erst hatte Nikolaus Geyrhalters opus magnum „Über die Jahre“ beim Forum Premiere. Fast ein Jahrzehnt hatte der Regisseur daran gearbeitet und dabei auch viele persönliche Beziehungen zu seinen Protagonisten geknüpft. Immer wieder hat der Dokumentarfilmer darauf hingewiesen, wie schwer es für ihn (und andere Filmemacher) ist, eigene Wertvorstellungen und Maßstäbe von einem verantwortlichen und verbindlichen Umgang mit seinen Heldinnen und Helden mit den Sachzwängen des Geschäfts zusammenzubringen. Zur Befreiung von den daraus entstehenden Gewissenskonflikten, wollte er erst einmal einen Film ganz ohne Menschen drehen.

Der ist nun da. Und er erinnert mit seinen streng kadrierten Totalen und der sorgfältig gestalteten Tonspur an die vielen parallel zu „Über die Jahre“ entstandenen Filme wie „Unser täglich Brot heute“ oder „Elsewhere“. Es stimmt, Menschen kommen dabei nicht direkt ins Bild. Dafür aber Orte, die menschlicher Einfallsreichtum und Tatkraft geschaffen haben: Konzerthallen, Wohnsiedlungen, Bibliotheken, Supermärkte. Die waren einmal für menschliche Bedürfnisse schön und nützlich. Jetzt dienen sie (außer zur Ansicht des Filmemachers) nur noch Vögeln, die sich in einer ehemaligen Diskothek angesiedelt haben. Oder dem Farn, der eine schicke Rundtheke samt Barhockern überwuchert. Dazu pfeift der Wind durch ehemalige Krankenzimmer. Und wir ahnen beeindruckt, wie die Zeit nach dem titelgebenden „Homo Sapiens“ aussehen könnte.

Reise durch Mexikos Abgründe

Auch die in El Salvador geborene, in Mexiko lebende und für ihr Debüt „El lugar mas pequeno“ weltweit preisgekrönte Regisseurin Tatiana Huezo beginnt ihren neuen Film „Tempestad“ mit einer langen Fahrt entlang entvölkerter Häuserzeilen. Die stehen im mexikanischen Matamoros, wo Huezos Heldin ein Jahr lang unter Mitwirken der Polizei zu Unrecht in einem sogenannten selbstverwalteten Gefängnis der Drogenkartelle gefangen gehalten und schwer misshandelt wurde.

Während sie selbst nie im Bild zu sehen ist, wird ihre im Rückblick erzählte und von starken Bildern einer Reise quer durch ein waffenstarrendes Mexiko unterlegte Geschichte gekreuzt von der einer Zirkusartistin, die durch massiven Druck daran gehindert wurde, dem Schicksal ihrer im Teenageralter entführten Tochter hinterher zu forschen. „Tempestad“ ist ein in seiner Erzählstrategie nach üblichen dokumentarischen Kriterien höchst gewagter und mit Ansichten vieler (Straßen-)Landschaften und namenloser Mitreisender auch visuell fast explodierender Film, der dennoch gerade durch seine Auslassungen wirkt.

Ähnlich elliptisch das Orts-Porträt „Eldorado XXI“ der forumserfahrenen Regisseurin Salomé Lamas („Terra de ninguém“, 2013). Zentrum ist eine Agglomeration schiefer selbstgebauter Häuser, die sich in spektakulärer Lage an eine schneeverwehte Bergflanke schmiegen. Hier in den peruanischen Anden liegt eine der höchsten Goldminen der Erde. Doch nachdem wir einige Sekunden in einer Totale die weite Landschaft bestaunen dürfen, setzt sich die Kamera schnell in der Vogelperspektive fest und zeigt uns fast eine Stunde lang die Karawane von Männern und Frauen, die auf einem durch Mülltüten gesäumten Weg den Berg hinauf und hinunter ziehen. Dazu Wahlwerbespots aus dem Radio und Berichte von Menschen, die hier meist vergeblich versuchen, ihr Glück zu machen. Der zweite Teil zeigt einige dieser „Pallaqueras“ näher in der ähnlich erbärmlichen Freizeit und endet nach viel, viel Dunkel im Sonnenglitzern eines christlichen Festes.

Suche nach dem Jade-Glück

Von der Goldsuche ist der Weg nicht weit in die „City of Jade“, von der der gleichnamige taiwanesische Film aus einer familiär aufgeladenen Perspektive erzählt. Nur, dass diese Hüttenstadt eine halbe Weltreise entfernt liegt in der zwischen Regierung und Rebellen umkämpften Kachin-Region im Grenzgebiet zwischen China und Myanmar. Ein Gebiet, das in den letzten Jahren immer wieder wegen vieler bei Erdrutschen Getöteten in die Schlagzeilen kam. Meist waren es Glückssucher in inoffiziellen Jade-Minen, die durch den Export nach China einen großen Teil zum burmesischen Bruttosozialprodukt beitragen.

Auch in „City of Jade“ geschieht so ein Unglück, es ist aber nur ein kleiner Aspekt der Gefahren für die Männer, die hier auf eigene Faust und unter erbärmlichsten Bedingungen ihr Glück suchen und an den kargen Berghängen in schwindelnder Höhe mit der Hand oder dem Presslufthammer graben. Immer wieder gibt es auch Razzien durch das Militär. Regisseur Midi Z, selbst geborener Burmese, besucht die Jade-Stadt in Begleitung seines Bruders, der dort nach einem mehrjährigen Gefängnisaufenthalt ein zweites Mal sein Glück versuchen will. So ist „City of Jade“ bewegendes Familiendrama und Öko-Schocker zugleich, angesiedelt in einer apokalyptisch verwüsteten Landschaft, hinter deren erodierten Berghängen sich die ehemalige Schönheit der tropischen Dschungellandschaft kaum noch erahnen lässt.

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