Kultur: Und der Himmel so blau
Wie die DDR gesehen werden wollte: Die Ausstellung: „Farbe für die Republik“ im Deutschen Historischen Museum.
Siegreicher Sozialismus, glückliche Menschen. Ein Liebespaar hat offenbar seinen Sonntagsausflug vor einer besonderen Attraktion unterbrochen. Sie sitzt auf dem Fahrersitz des Motorrollers, die Landkarte in den Händen. Er steht hinter ihr, sie halb umarmend. Sie tauschen ein verliebtes Lächeln aus. Im Hintergrund dampft es aus dem Schornstein einer gewaltigen Industrieanlage. Das Farbfoto von Kurt Schwarzer, das die DDR-Frauenzeitschrift „Für Dich“ 1963 auf ihrer Titelseite druckte, könnte Lenins berühmte Formel „Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung“ illustrieren.
Das Bild des Motorroller-Pärchens, entstanden in Vockerode, gehört zur Ausstellung „Farbe für die Republik“, mit der das Deutsche Historische Museum die DDR in einer neuen Sicht präsentiert: irritierend bunt. In Erinnerung geblieben ist der vor einem Vierteljahrhundert untergegangene Staat als so graue wie triste Diktatur, doch hier zeigt er sich als strahlend der Zukunft zugewandtes Gemeinwesen, bevölkert von fröhlichen Menschen, über denen sich stets ein blauer Himmel wölbt.
Die Bilder, die auf 400 Quadratmetern zu sehen sind, stammen von den Fotografen Kurt Schwarzer (1927–2012) und Martin Schmidt (geb. 1925), deren Nachlässe mit jeweils mehreren zehntausend Negativen das Museum nach der Wende erworben hatte. Ihre Arbeit wurde für die Selbstdarstellung des Regimes in Dienst genommen, und dabei war die Farbe „ein Mittel, um zu überwältigen, noch stärker zu überzeugen“, sagt die Kuratorin Carola Jüllig. Bilder lügen nicht, behauptet ein Sprichwort. Aber sie können täuschen.
"Held der Arbeit? Ach was, Durchhalten, durchkommen, darum ging es", sagt Wolfgang Thierse
Propaganda und Wirklichkeit werden in der Ausstellung einander gegenübergestellt, das Ergebnis ist Erkenntnisgewinn. An den Wänden hängen großformatige Abzüge der im Auftrag von Zeitschriften, Verlagen oder Verbänden entstandenen Fotos, in Vitrinen liegen die Artikel zu den Fotos, Manuskripte mit Bildunterschriften und Kameras. Und von der Decke baumeln rote Schilder mit Parolen wie „Der Bildreporter wirbt mit der Kamera für die Stärkung der DDR“ oder „Auch der Bildreporter muss seine Arbeit als Funktionär der Partei betrachten“. Doch auf den Kommentartafeln und in den Hörstationen ordnen Historiker die Aufnahmen in ihren Zusammenhang ein und berichten Zeitzeugen von persönlichen Erfahrungen. So bemerkt Wolfgang Thierse zum Bild des Arbeiters: „Held der Arbeit – ach was. Durchhalten, durchkommen, darum ging es. Unter widrigen Umständen mit Anstand seiner Arbeit nachgehen, sein Leben anständig leben. Und das nicht ganz ohne das Vergnügen des Miteinanders, der Gemeinschaft.“
Selbstverständlich wollte die „Diktatur der Arbeiterklasse“ vor allem ihre Erfolge auf dem Feld der Industrialisierung präsentieren. So feiert die „FDGB-Rundschau“ 1965 den Volkseigenen Betrieb (VEB) Baumwollspinnerei Leinefelde als Beispiel für „Tradition und Fortschritt im Eichsfeld“. Die Bilder zu Reportage zeigen eine neonlichtdurchflutete Produktionshalle mit einer endlosen Flucht von Spinnmaschinen und Arbeiterinnen mit Doris-Day-artigen Hochfrisuren, die zwischen Textilrollen miteinander tuscheln. Und im VEB Puppenfabrik Waltershausen fährt das lange handgefertigte Spielzeug 1966 schon vom Fließband. An heroische Genreszenen aus der Malerei des 19. Jahrhunderts erinnern die Aufnahmen, die Kurt Schwarzer um 1970 im VEB Edelstahlwerk „8. Mai 1945“ in Freital im Moment des Abstiches gemacht hat. Wie bei Adolph Menzel sind die Schattenrisse der Arbeiter um den rötlich erleuchteten Hochofen versammelt, aus dem das glühende Metall schießt.
Die Betriebe waren dringend auf weibliche Beschäftigte angewiesen
Auffallend viele Frauen tauchen in diesen Bildgeschichten aus der Arbeitswelt auf, nicht nur in traditionellen Rollen als Sekretärin oder Verkäuferin, sondern auch als Ingenieurin, Chemikerin oder „Hilfsmeisterin“. In der DDR war die Quote der berufstätigen Frauen weit höher als in der Bundesrepublik, was einerseits für Aufstiegschancen sorgte, andererseits aus der Not geboren war. Denn die Betriebe waren dringend auf weibliche Beschäftigte angewiesen. Weil das VEB Halbleiterwerk in Frankfurt (Oder), bei dem bereits sechzig Prozent der Mitarbeiter Frauen waren, 1967 um weitere Arbeitskräfte werben wollte, erhielt Kurt Schwarzer den Auftrag, nicht die Produktionsanlagen, sondern die sozialen Einrichtungen abzulichten. So zeigte er Frauen im Speisesaal der Kantine, in der Lebensmittelverkaufsstelle, beim Betriebsarzt oder werkseigenen Friseur.
Bilder von Traktoristinnen oder Kranführerinnen sollten die im Sozialismus verwirklichte Gleichberechtigung beweisen, gleichzeitig rekelten sich knapp bekleidete Pin-up-Schönheiten auf den Titelbildern von Zeitschriften. Ein Widerspruch, den der „Für Dich“-Chefredakteur Gerhard Pfab aufzulösen versuchte: „Die sozialistische Illustrierte sieht in der Frau nicht das Lustobjekt des Mannes, sondern eine ebenbürtige, gleichberechtigte Partnerin im Kampf um die sozialistische Zukunft. Haben wir deshalb weniger Freude an der Schönheit? Zeigen wir also unseren Lesern, dass die schöne Frau klug und die kluge Frau schön sein kann.“ Trotzdem verströmen die Badenixen am Strand von Binz, die ausgerechnet einen Micky-Maus-Badereifen vom Klassenfeind präsentieren, und die Himmelbett- und Badewannen-Verführerinnen, die Schwarzer aufnahm, exakt die muffige Erotik, die gleichzeitig auch in West-Magazinen zu finden war.
„Das Negative will doch keiner sehen“, lautete das Credo von Martin Schmidt, der es als gefragter freier Fotograf zu einer Fünf-Raum-Wohnung am Kollwitzplatz brachte. Seit 1947 war er Mitglied der SED, in den späten sechziger Jahren arbeitete er als Informant für die Staatssicherheit, bis er nach drei Jahren wegen „Unzuverlässlichkeit“ herausflog. Kurt Schwarzer verstand sich hingegen als „unpolitischer Handwerker“ und verweigerte den Eintritt in die Partei. Er stieg zum Werbespezialisten in einem Land auf, das eigentlich keine Werbung brauchte, weil viele Waren oft gar nicht zu haben waren. Schwarzer rückte einen Tischgrill der Marke „Elgen“ ins beste Licht, arrangierte übervolle Festmahl-Teller für das Rezeptheft „Neue Fischtips“ und ließ den nagelneuen Wartburg „Tourist 353“ durch die Plattenbauviertel von Halle an der Saale kreuzen. Er kostete 17 700 Mark, aber auf die Lieferung – das zeigen die Bilder nicht – musste der Kunde jahrelang warten.
Deutsches Historisches Museum, täglich 10–18 Uhr. Ein Magazin zur Ausstellung (60 S.) kostet 7 €, der im Quadriga Verlag erschienene Bildband (304 S.) 29,99 €.