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Oper: Ufo am Bodensee

Dampfendes Blau, schreiendes Rot: Detlev Glanerts „Solaris“-Oper nach Stanislaw Lem, uraufgeführt bei den Bregenzer Festspielen.

Es beginnt mit nur vier Tönen, aufsteigend, immer wieder, wie Dampf, wie Gase, wie züngelnde Flammen: e-g-a-h, ein simples Motiv und gerade deshalb markant, leicht wiederzuerkennen, strukturbildend. Der erste Ton ändert sich, das Gebilde wird instabil, verfließt. Auf diesem Planeten bleibt nichts lange so, wie es ist. Dann sehen wir die Station: ein langer Schlauch, ovale Fenster, in der Mitte eine Kugel – das Laboratorium. Alles ist in blaues Licht getaucht. Der Vorhang senkt sich, geht wieder nach oben: Jetzt ist die Station von schreiendem Rot übergossen.

Der Planet, der hinter den Fenstern versteckt liegt, heißt Solaris. Stanislaw Lem hat ihn 1961 in seinem gleichnamigen, legendären Science-Fiction-Roman erschaffen. Als die Romanhandlung einsetzt, haben die Menschen die Solaris bereits seit 100 Jahren erforscht – und sind doch keinen Schritt weitergekommen in ihrer Erkenntnis.

Ein gigantischer, offenbar intelligenter Ozean aus Plasma bedeckt die Oberfläche fast vollständig. Er scheint dafür verantwortlich zu sein, dass die Umlaufbahn stabil bleibt, obwohl der Planet gleichzeitig um eine blaue und eine rote Sonne kreist. Eine Forschungsstation schwebt über den Wellen, und als der Protagonist, der Wissenschaftler Chris Kelvin, von der Erde ankommt, wird schnell klar: Hier ist etwas fürchterlich schiefgelaufen. Andrei Tarkowski hat den Roman 1972, noch deutlich unter dem Eindruck von Stanley Kubricks „2001“, verfilmt, Steven Soderbergh noch einmal 2002 mit George Clooney als Chris Kelvin. Lem aber soll sein Werk in beiden Filmen nicht wiedererkannt haben.

Neue Runde – anderes Medium: 2006, im Todesjahr von Lem, beauftragten die Bregenzer Festspiele den Berliner Komponisten Detlev Glanert, eine Oper auf „Solaris“ zu schreiben. Am Mittwoch fand die Uraufführung im Festspielhaus am Bodensee statt, die Inszenierung des Regieduos Moshe Leiser und Patrice Caurier wird im Mai 2013 von der Komischen Oper übernommen.

Eine Wissenschaftsoper also. Ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt das. Science-Fiction? War da mal was? Ja klar, in den technik- und fortschrittsgläubigen Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber heute? Eine neue „Star Trek“-Staffel ist nicht in Sicht, und auch die Nasa hat 2011 ihr Space-Shuttle-Programm beerdigt. Im Moment, so scheint es, lebt sich’s gut mit der Vorstellung, dass wir allein im Weltall sind. Deshalb erinnert Glanerts Oper an ein UFO, das am Ufer des Bodensees gelandet ist.

Glanert ist ein eifriger Opernschreiber, 14 Bühnenstücke verzeichnet seine Werkliste. Zuletzt hat er in Nürnberg „Das Holzschiff“ nach Hans Henny Jahnn vertont. Die wichtigsten Motive aus „Solaris“ hat er vorab in dem Orchesterstück „Insomnium“ verarbeitet – im Januar vom Bundesjugendorchester in Berlin aufgeführt, mit Markus Stenz am Pult, der jetzt in Bregenz die Wiener Symphoniker leitet.

Die neue Partitur ist stellenweise radikal ausgedünnt, in solchen Momenten begleitet nur eine kaum hörbare Basslinie die Sänger. Andererseits gibt es auch Strauss’sche Süffigkeit. Vor allem aber ist die Partitur auf die Erregungszustände, die Knotenpunkte, die musikalischen Schockmomente hin komponiert, in denen sich das Geschehen gleichsam zusammenzieht. Das wird deutlich an Harey, Kelvins verstorbener Frau – eine Untote, die der Solaris-Ozean als Antwort auf ein fehlgeschlagenes Experiment aus Kelvins hintersten Erinnerungswinkeln neu zusammensetzt. Lieblich ist ihre musikalische Signatur, streicherumflort, aber als Kelvin sie in eine Rakete steckt, um sie loszuwerden, schwillt ihr Gesang grässlich an, weitet sich aus zu einem schrillen Chor-Tutti.

Und später, als Harey bewusst wird, dass sie nur eine Projektion von Kelvins Erinnerungen ist, und sie sich deshalb mit flüssigem Stickstoff umbringen will, endet dieser Versuch in einem entsetzlichen Pauken- und Bläsergewitter, das nur langsam abebbt.

Marie Arnet singt diese Harey mit subtil fokussiertem, im hohen Register allerdings unschön flimmerndem Sopran, Dietrich Henschels immer leicht mürrischer Bariton passt gut zu der Rolle des ergrauten, schon gebrochenen Forschers. Martin Koch gibt den zerfaserten Kollegen Snaut mit etwas quäckendem Tenor, Martin Winkler den zu allem entschlossenen Sartorius, das dritte Besatzungsmitglied, mit herrischer Bassgeste.

Jeder von ihnen hat seinen eigenen „Gast“, der ihn terrorisiert, und gerade in diesen Nebenrollen, bei Christiane Oertel, Mirka Wagner und Bonita Hyman, finden sich die sängerisch überzeugendsten Momente des Abends.

Der Planet Solaris ist bei Lem das schlechthin Unverständliche, das Aufscheinen einer Grenze menschlichen Verstehens, der Möglichkeit einer überlegenen Intelligenz. Von all dem ist in der Oper wenig zu spüren – obwohl Glanert und sein Librettist Reinhard Palm sich eng an die Vorlage halten. Sie suchen ihr Heil in Dialogen und verfehlen doch den Kern. Das Atmosphärische nämlich, die Ahnung von etwas völlig Fremden, das dieser Planet darstellt. Selbst wenn Glanert die Szenen immer wieder durch Zwischenspiele unterbricht, in denen der vorzügliche Prager Philharmonische Chor die Solaris „singt“, tastend erst, dann immer selbstbewusster Worte und Sprache lernend. Das nagende Gefühl, man hätte mehr aus dieser Vorlage machen können, bleibt trotzdem. Und dann der Schluss: Kelvin reist auf die Oberfläche der Solaris, Henschel hängt wie ein toter Fisch am Haken, hinter ihm ein funkelnder Sternenhimmel, und monologisiert über die Einsamkeit des Menschen: „Ich glaube an den unvollkommenen Gott.“ An einen Gott, der nicht die Kraft hat, irgendjemanden zu erlösen. Diese religionskritische Komponente ist neu, bei Lem findet sie sich nicht. Glanert und Palm erzählen auf Basis des Romans ihre eigene Geschichte. Das ist natürlich grundsätzlich legitim. Trotzdem hätte Stanislaw Lem, würde er noch leben, erneut einen Grund, schlecht gelaunt zu sein. Udo Badelt

Infos zum Festival unter www.bregenzerfestspiele.com

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