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Die erste Oper der Geschichte hat einen Künstler als Helden. Dominik Köninger als Orpheus in Koskys Einstand-Inszenierung.
© dapd

Monteverdi-Marathon an der Komischen Oper: Überstunden in Arkadien

Zwölf Stunden Musiktheater nonstop: Barrie Kosky startet seine Intendanz an der Komischen Oper mit einem Monteverdi-Marathon. „Orpheus“, „Odysseus“ und „Poppea“ werden nacheinander aufgeführt.

Es ist ein strahlender Sonntagmorgen in Mitte. Von den Treppenstufen der Komischen Oper fällt der Blick auf einen riesigen Bauabgrund gegenüber, Kaffeetassen klappern, Sektgläser klirren. Man kann sich nicht daran erinnern, jemals ein derart gelöstes Publikum vor der Antrittsvorstellung eines neuen Intendanten erlebt zu haben – schon gar nicht, wenn die zwölf Stunden dauern soll. Der Neue ist längst ein alter Vertrauter. Barrie Kosky zeigte 2003 zum ersten Mal, was er an der Komischen Oper zu bewegen vermag. Seine drastische Sicht auf Ligetis „Le Grand Macabre“ schlug ein – und Kosky kam immer wieder in die Behrenstraße. Nun ist er dort Chef geworden als Nachfolger Andreas Homokis. Nicht weil er unbedingt Intendant sein wollte, sondern weil es ihm das Haus angetan hat, wie der quirlige Australier betont.

Was man zusammen schon durchgemacht hat, ist nichts im Vergleich zu dem, was kommen soll. Kosky lässt keinen Zweifel daran, dass er die Komische Oper klar positionieren will im Berliner Operndreikampf. Anknüpfen an die große Unterhaltungstradition des Hauses, weg mit der Fixierung auf deutschsprachige Aufführungen – und einen Auftakt hinlegen, so kühn, dass niemand Zweifel an der Schlagkraft seiner Truppe hegen kann. Alle drei erhaltenen Opern Claudio Monteverdis werden hintereinander gespielt, zusammengefügt zu einer überlangen Schicht im Theatergestühl. Ein Spektakel, das 3sat zeitversetzt am gleichen Tag im Fernsehen überträgt, so bunt, dass jeder tieferen Diskussion um ästhetische Richtungsentscheidungen von vornherein der Partyriegel vorgeschoben zu sein scheint.

Ab elf Uhr geht es ganz weit zurück, bis zu den Anfängen der Oper, zu Monteverdis „Orpheus“. Die gesamte DNA des Genres stecke da drin, erklärt Kosky – und muss eigentlich nichts mehr erklären: Man blickt direkt nach Arkadien, in eine üppig wuchernde Landschaft, in der sich Barbusige und Bocksbeinige lustvoll ergehen, weil hier noch nichts abgeschieden ist, der Mensch nicht von seiner Natur, die Liebe nicht vom Sex. In diesem Universum sind auch La Musica und Amor ein und dieselbe Figur: untersetzt, mit Blumen im Haar, roten Backen auf der weißen Schminke und einem Kleidchen angetan, das auch als Sportdress durchgehen würde. Dieser Amor ist der rosa Faden des Operntages, der erbarmungsloseste aller Götter, all jene schrecklich strafend, die ihn nur für einen Nebendarsteller halten auf der Bühne des Lebens.

Kosky beweist hier sogleich seine Liebe zu echten Musikdarstellern, die weder jung noch schön sein müssen. Peter Renz gelingt es, über sehr viele Stunden präsent zu sein, als mit Pfeilen piekender Spielmacher und zynischer Kommentator des Geschehens. Nicht mehr taufrisch, dieser ewig junge Gott und als stoische Diva im Pelz unerreicht. Doch das gibt’s erst viel später in der „Poppea“ zu sehen, wenn Neros Villa am Sunset Boulevard zu liegen scheint, gleich um die Ecke von einer Travestiebühne. Zuvor spielt das melancholische Heimkehrerdrama „Odysseus“ rund um ein Stück Golfrasen, auf dem es sich die Freier gemütlich machen, die darauf hoffen, dass Penelope nach 20 Jahren des Wartens bereit für einen neuen Mann ist. Einer erschießt sich, weil er den Hunger fürchtet. Und die Mägen im Zuschauerraum antworten knurrend.

Im Foyer verschmelzen die Gerüche von Kartoffelsuppe und orientalischem Linsengericht, auf Monitoren flimmert die Übertragung. Das Zeitgefühl lässt nach. Wie in der Musik. Die Komponistin Elena Kats-Chernin hat die MonteverdiTrilogie mit exotischen Klangbeigaben neu vertont. Jeder Teil erhält ein eigenes Orchester, seinen eigenen Sound, ergänzt durch Instrumente von Cimbalom über Oud bis hin zum Banjo. Das funktioniert durchweg wunderbar, ist atmosphärisch und keinesfalls zu glatt geraten, schon, weil es der Komponistin die Klangreibungen Monteverdis angetan haben.

Dass seine in wenigen Notationen überlieferte Musik nicht einfach vom Blatt aufgeführt werden kann, dass sie zunächst zum Leben erweckt werden muss, gilt für Barockmusikexperten wie die Jazzimprovisateure. André de Ridder hat sechs Monate mit Kosky an der musikalischen Ausgestaltung getüftelt, ohne Scheuklappen. Doch de Ridders Unvoreingenommenheit reicht nicht aus, um ein musikalisches Spannungsfeld zu erzeugen, das Zug in diesen Marathon bringt. Wenn die Freier der Penelope in einen schmierigen Tango abgleiten, ist das wunderbar gedacht; wenn rhythmisch keinerlei Übergänge oder gar Schärfen ins Spiel kommen, wird Fusionfood trotzdem fad.

Diese fehlende musikalische Fantasie limitiert die Sänger, die auffällig häufig die gleichen Phrasierungsfloskeln benutzen, statt aufzubrechen und zu entdecken, wie aufregend diese Musik sein kann. Die gereifteren Charakterköpfe des Hauses wie Jens Larsen, Ton Erik Lee, Brigitte Geller und Roger Smeets kommen damit besser zurecht. Dominik Köninger als Orpheus, Günter Papendell als Odysseus und Ezgi Kutlus Penelope etwa hätten von einem inspirierenden Partner am Pult deutlich profitieren können.

Es ist Nacht geworden. Nero und Poppea sind mit dem unschuldigsten, unwiderstehlichsten Liebesduett der Operngeschichte abgetaucht ins Wasserbecken, dem alles entstiegen ist. „Nie mehr Qualen, nie mehr sterben. Du, meine Liebe. Du, mein Leben.“ Zurück lassen sie ödes Steinland. Nur kurz steht dieses Bild da, dann strömen alle auf die Bühne, 200 Mitwirkende, vom neuen Chef umgehend auf offener Bühne belobigt, denn gleich soll noch gefeiert werden.

Dann stellt sie sich nicht mehr so dringend, die Frage, ob dieser Zwölf-Stunden- Marathon nun mehr ist als die Summe seiner durchaus gut gebauten Einzelteile. Bekommen diejenigen, die durchhalten, tatsächlich mehr zu fassen als konventionelle Einzelbucher? Die dramaturgischen Bande sind überaus zart geknüpft. Aus dem Verlust Arkadiens entwickelt sich bei Kosky keine atemberaubende Verfallsstudie, wie sie einst Luc Perceval mit seinen ähnlich dimensionierten „Schlachten!“ gelang. Dort degenerierten Shakespeares Königsdramen auch sprachlich bis hin zu einem „Dirty Rich Motherfucker“. Monteverdis Vokabular aber wird von seinem „Orpheus“ bis zur „Poppea“ immer komplexer, immer mehr Musikdrama denn Steinbruch des Genres. Die Wucht des Beginns ist dahin, das Raffinement blüht auf. Um es gänzlich auszuspielen, bleibt Barrie Koskys Komischer Oper noch Zeit.

Komplett am 3.10. und 4.11., außerdem diverse Einzeltermine der drei Opern.

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