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Unbekannter Fotograf: Schuhhaus Leiser, 1928
© Michael Setzpfandt/ Stadtmuseum Berlin

Ausstellung "Tanz auf dem Vulkan": Übermut in prekärer Lage

Als Berlin wirklich Weltstadt war: Die Ausstellung „Tanz auf dem Vulkan“ feiert Kunst und Kultur der Weimarer Republik.

Die Nacht war nicht allein zum Schlafen da. Damals, als der Erste Weltkrieg verloren und die noch junge Republik von Unruhen erschüttert wurde. Not und Hunger herrschten in Berlin. Aber ebenso groß war das Bedürfnis nach Amüsement. Die Tanzlokale und Varietés boomten. „Berlin, halt ein! Besinn Dich. Dein Tänzer ist der Tod“, steht auf einem Plakat aus dem Jahr 1919, mit dem die Regierung vor den Folgen des zügellosen Genusslebens warnen wollte. Es zeigt eine dralle Frau im Engtanz mit Gevatter Tod. Eine gefährlich Liaison.

Das makabre Doppelporträt ist in einer Ausstellung im Ephraim-Palais zu sehen, mit der das Berliner Stadtmuseum den Versuch unternimmt, ein ganzes Zeitalter zu besichtigen: die Zwanziger Jahre. Der Titel lautet, ziemlich abgedroschen, „Tanz auf dem Vulkan“. Der Vulkan ist dann 1933 ausgebrochen, als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen. Interessanterweise geht das Zitat aber nicht, so hat Kurator Dominik Bartmann recherchiert, auf das Ende, sondern den Beginn der Weimarer Republik zurück.

Der Hang zum Exzess

Am 9. Februar 1919 notierte der Diplomat und Schriftsteller Harry Graf Kessler in seinem Tagebuch: „Abends, von Bekannten verschleppt, in einem Lokal, wie es jetzt Hunderte in Berlin gibt, wo bis morgens getanzt wird. Für die zweite Periode der Revolution von den Dezemberputschen und dem Austritt der Unabhängigen aus der Regierung bis jetzt wäre als Bezeichnung die treffendste: ,Der Tanz auf dem Vulkan’.“ Bedroht war die Republik von Anfang an, und der Hedonismus, der Hang zum Exzess in prekärer Lage, gehörte bis zuletzt zu ihren Markenzeichen.

Für Silvesterabend 1918 wurde das Tanzverbot der Kriegsjahre aufgehoben. „Wie ein Rudel hungriger Wölfe“, berichtete das „Berliner Tageblatt“, stürzte sich das Volk ins Vergnügen. Modetänze wie Shimmy, Charleston oder Cakewalk erobern die Reichshauptstadt, in der damals vier Millionen Menschen leben. Die Jazztänzerin Josephine Baker wird bei einem Besuch als „schwarze Venus“ gefeiert. Die Ausstellung präsentiert Gemälde von der elegant geschwungenen Femina Bar und dem Presseball in den Marmorsälen am Zoo, bei dem Bubikopfdamen mit dem Opernglas aufs dicht gefüllte Tanzparkett blicken. Auf einem Plakat des Weidenhof-Casinos sind expressionistisch ausgemergelte Gestalten abgebildet, und das Resi-Casino wirbt damit, dass es die „erste und größte Tisch-Rohrpost der Welt“ besitzt. Dazu laufen im Ephraim- Palais Schellack-Schlager wie „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh’n“ in der Endlosschleife.

Business und Tempo

Berlin, obgleich Kapitale eines Landes in der Dauerkrise, steigt zur Weltstadt auf. Weltformat besitzt es vor allem in Sachen Nachtleben. Ausdruck der Verschwendungslust sind die verschwenderischen Ausstattungsrevuen, die im Großen Schauspielhaus, im Theater am Admiralspalast und in der Komischen Oper inszeniert werden. Allein die Revuen von Erik Charell im Schauspielhaus des Architekten Hans Poelzig, das einer Tropfsteinhöhle gleicht, werden jährlich von mehr als einer Million Zuschauern besucht.

Tausendfüßler. Die Alfred Jackson Girls, 1928.
Tausendfüßler. Die Alfred Jackson Girls, 1928.
© Michael Setzpfandt/ Stadtmuseum Berlin

Hauptattraktion sind die Tiller Girls aus England, 16 nahezu identisch aussehende Tänzerinnen, die sich auf der Bühne zum Riesenkörper zu vereinigen scheinen. „Wenn sie im Geschwindtempo steppten, klang es wie ,Business, Business, wenn sie die Beine mathematisch genau in die Höhe schmetterten, bejahten sie freudig die Fortschritte der Rationalisierung“, schrieb Siegfried Kracauer, der im Gleichschritt der Girlreihen später eine Vorwegnahme des faschistischen Militärdrills erkennen sollte.

Zum Lieblingswort der Weimarer Republik wird „Tempo“, ein Begriff, der vor 1914 nur in der Musik und bei der Rekruten-Schindung auf dem Kasernenhof gebräuchlich war, wie Bodo-Michael Baumuk im Katalog schreibt. Man will vorankommen, Berlin gefällt sich als „Stadt der harten und unerbittlichen Arbeit“, die Straßenverkehrsordnung von 1929 schreibt vor: „Das Stehenbleiben auf der Gehbahn ist nur gestattet, wenn Fußgänger hierdurch nicht gestört werden.“ Zu den schönsten Exponaten zählt eine Wand mit marktschreierischen Zirkusplakaten: „Krassner. Der erste Zauberer, der einen Elefanten verschwinden lässt“, „Varieté Vandredi. Der Spuk am Stammtisch“, „Auto-Doppel-Salto mit dem Kopf voraus – Der Sieg über die Naturgesetze“. Ihren finalen Salto mortale sollte die Republik nicht überleben.

Die Narration zum Untergang ist lückenhaft

Rund 500 Ausstellungsstücke bietet „Tanz auf dem Vulkan“ auf, nahezu alle aus Beständen des Stadtmuseums. Das Problem ist, dass gleichzeitig zu viel und zu wenig gezeigt wird. Zu viel, weil auf zwei Geschossen und in den kleinteiligen Räumen des Rokoko-Gebäudes gleich 18 Themen mit Überschriften wie „Licht aus, Messer raus!“, „Bubikopf ist Mode“ oder „Bühne frei!“ abgearbeitet werden, ein Epochenüberblick, der von der Sozialpolitik bis zum Schuhdesign nichts auslässt. Zu wenig, weil manche Themen eben doch nur angerissen werden.

So steht in der Abteilung, die dem Neuen Bauen gewidmet ist, zwar ein wunderbarer, vorbildlich platzsparender Küchenschrank aus der von Bruno Taut entworfenen Siedlung „Onkel Toms Hütte“. Fotos vom Shell-Haus und dem Columbushaus stehen für die architektonische Avantgarde. Das Bauhaus, das ab 1932 in Berlin residierte, kommt nicht vor. Lückenhaft ist auch die Narration vom Untergang. Der Aufstieg von NSDAP und KPD, die Gewalt auf den Straßen bleiben unterbelichtet. Stattdessen wird das Staatsbegräbnis für Außenminister Gustav Stresemann ausführlich dokumentiert.

Sehenswert ist „Tanz auf dem Vulkan“ trotzdem. Denn selten gab es auf so engem Raum so viele großartige Werke von Künstlern zu sehen, von denen einige heute berühmt sind und andere vergessene. Wilhelm Lehmbrucks Alien-artiger „Kopf eines Denkers“. Karl Hofers hinreißendes Mädchen-Porträt „Nach dem Bad“. Oder das fortschrittsoptimistische Breitwandgemälde „Straßen der Arbeit“ von Oskar Nerlinger. Spitzenleistungen.

Ephraim-Palais, bis 31. Januar, Di, Do–So 10–18, Mi 12–20 Uhr. Katalog (Verlag M) 29,90 €.

Christian Schröder

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