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Triumph der Farbe. Paul Gauguins „L’invocation“ von 1903 ist derzeit im Wallraf-Richartz-Museum zu sehen.
© Museum

Malerei der Moderne: Über viele Brücken muss es gehen

Zwei Ausstellungen in Köln und Essen zeigen, wie Anfang des 20. Jahrhunderts die Moderne klassisch wurde.

Man kann sich kaum vorstellen, mit welcher Wucht die heute „klassisch“ genannte internationale Moderne in den letzten Jahren des Kaiserreichs über Deutschland hereinbrach. 1911 „Der Blaue Reiter“ in München, 1912 die „Sonderbund-Ausstellung“ in Köln, 1913 „Erster Deutscher Herbstsalon“ in Berlin – die Moderne war im wilhelminischen Deutschland angekommen.

Nur welche Moderne, das lässt sich aus heutiger Perspektive nicht mehr ganz so klar erkennen. Denn zahllose spätere Ausstellungen, beginnend mit der ersten Kasseler Documenta von 1955, haben einen Kanon der Moderne geformt, der mit den damaligen Ausstellungssensationen nur noch teilweise übereinstimmt.

So hat die Kunstwissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten das Genre der Ausstellungsforschung etabliert: die Erforschung dessen, was tatsächlich einmal gezeigt wurde und worauf sich die damalige Zustimmung wie Ablehnung richtete. Nach den eher kleinen, bahnbrechenden Veranstaltungen der Avantgarde wie der ersten Ausstellung der „Künstlergemeinschaft Brücke“ im Verkaufsraum einer Dresdner Lampenfabrik 1906 sind so auch die Großausstellungen in den Blick gekommen. Die aber warteten mit sehr heterogenem Material auf, von dem ein Gutteil heutzutage vergessen ist.

Geradeso verhält es sich mit der Ausstellung des „Sonderbundes Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler“, der 1909 gegründet wurde. Die in Düsseldorf ansässige Vereinigung musste für ihr Vorhaben von 1912 nach Köln überwechseln, in die Städtische Ausstellungshalle, und so ist es jetzt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum, das sich das ehrgeizige Ziel einer Rekonstruktion der damaligen Unternehmung gestellt hat. Dabei sei der Titel „1912 – Mission Moderne“ eher dem Marketing geschuldet.

Die jetzt gezeigten Werke können nur einen Teil der damaligen Riesenmenge ausmachen – 120 statt damals 634 Werke plus etliche „außer Katalog“, aber von immerhin 120 der damals 170 vertretenen Künstler. Das quantitative Manko gleicht der Katalog aus, der mit 646 Seiten ein mehrpfündiges Großformat darstellt, doch die heutige Forschung mustergültig zusammenfasst. Besonders verdienstvoll: die Wiedergabe aller damaligen Kunstwerke in Abbildungen, sofern sie noch zu ermitteln waren. Rund ein Fünftel der Arbeiten dürfte verloren gegangen sein.

Dass die damals gezeigten Werke „zum allergrößten Teil noch nicht mit musealen Weihen versehen“ waren, wie Kuratorin Barbara Schaefer im Katalog schreibt, klingt nach Plattitüde, ebenso wie der Satz, dass „die 1912 ausgestellte Kunst vielfach auf Ablehnung“ stieß. Doch Vorsicht! Wenn man erfährt, dass allein die ersten fünf der 25 Säle dem 1890 gestorbenen van Gogh gewidmet waren, der sechste dem 1906 verstorbenen Paul Cézanne und der siebte dem 1903 gestorbenen Paul Gauguin, wird deutlich, welch langjährig angestauter Nachholbedarf hier befriedigt werden sollte. Überhaupt war die Mehrzahl der gezeigten Werke, künstlerisch gesehen, französischer Herkunft. Das konnte als Provokation gelten, denkt man an die kulturpolitischen Spannungen mit Frankreich, die erst im Jahr zuvor im „Protest deutscher Künstler“ gegen den Bremer Ankauf eines Van- Gogh-Gemäldes aufgebrochen waren. 136 Gemälde und Papierarbeiten waren allein von dem gebürtigen Holländer ausgestellt. Damals kam alles aus Privatbesitz.

Jetzt kommt das gezeigte Dutzend Ölgemälde van Goghs aus Museen. Von heute aus betrachtet ist es bemerkenswert, wie selbstverständlich sich diese Bilder in die allgemeine Vorstellung von moderner Kunst eingeprägt haben. Wer kennt demgegenüber den Düsseldorfer Maler August Deusser, einen der Initiatoren des „Sonderbunds“ und selbst mit 24 Werken vertreten? Das ist ruhiger Akademie-Impressionismus, der 1912 nicht mehr aufregen musste und bei dem die Kritik anerkennend festhält, hier „sei der Einfluss Cézannes ganz selbstverständlich verarbeitet“. Ein interessantes Urteil, denn es zeigt, dass es bereits kennerschaftliche Beurteilung gibt, während gleichzeitig noch grundsätzliche Ablehnung vorherrscht. So in einer Besprechung, die „Keime, Werdendes, selbst Fachleuten noch nicht ganz Klares“ für eine Ausstellung ablehnt, „in der das Publikum Ehrfurcht vor dem Können gewinnen soll“.

Edvard Munch als Vorbild

Ungewohnt war nicht zuletzt, dass die noch jungen „Brücke“-Künstler Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner zwar nur mit wenigen Arbeiten zugelassen worden waren, aber die Kapelle – einen Sakralraum innerhalb des Ausstellungsrundgangs – mit temporären Malereien auf billigsten Materialien ausschmücken durften. Solche „arme“ Kunst stellte die Anforderungen, die im wohlhabenden Kaiserreich an Kunst als etwas Wertvolles gestellt wurden, radikal infrage. Die Stoffbahnen haben sich leider nicht erhalten.

Der deutsche Expressionismus, der damals seiner kurzen Glanzzeit entgegenging, hatte ein besonderes Vorbild: den Norweger Edvard Munch. Auch ihm war bei der „Sonderbund-Ausstellung“ ein eigener Saal mit knapp drei Dutzend Werken gewidmet. Die jetzt in Köln gezeigten Arbeiten – darunter die „Vier Mädchen auf der Brücke“ von 1905 aus eigenem Bestand des Wallraf-Richartz-Museums – machen diesen Einfluss deutlicher, als es die damaligen Werke getan haben können. Die Kunstgeschichte legt Entwicklungslinien gerne auch rückwärtig aus und behauptet einen logischen Gang der Dinge. So verwundert es nicht, dass die derzeit im Essener Museum Folkwang gezeigte Ausstellung „Im Farbenrausch. Munch, Matisse und die Expressionisten“ eben die heutige Sicht auf die Kunstentwicklung so inszeniert, als ob sie damals schon in aller Öffentlichkeit sichtbar gewesen wäre.

Beispiel Wassily Kandinsky: Er ist in Essen mit herrlich leuchtenden Bildern vertreten. Aber 1912 in Köln fanden nur zwei Einreichungen Gnade vor den Augen der Jury, darunter mit der „Improvisation Nr.21a“ von 1911 ein wesentlich radikaleres abstraktes Bild als diejenigen, die jetzt in Essen gezeigt werden. Sie sollen den beherrschenden Einfluss von Munch und Matisse unterstreichen.

Allerdings hat das Museum Folkwang alles Recht der Welt, eine solche, durchaus als Publikumsrenner angelegte Ausstellung zu zeigen. Denn Karl Erst Osthaus (1874–1921), der Mäzen und Begründer des anfangs im westfälischen Hagen beheimateten Museums, ist eine der Schlüsselfiguren, ohne die die Moderne in Deutschland nicht derart heimisch hätte werden können. Osthaus war der erste Vorsitzende des „Sonderbunds“, und sein Privatmuseum feierte im Jahr der Kölner „Sonderbund-Ausstellung“ zehnjähriges Bestehen. Er schätzte seit jeher die Künstler, die in Köln dominieren sollten. Gauguins „Bretonische Tangsammlerinnen“ gab er 1912 zum „Sonderbund“, dessen internationale Bestrebungen den seinen naturgemäß glichen. Jetzt sind die „Tangsammlerinnen“, trotz der eigenen Unternehmung des Folkwang, erneut nach Köln gereist – eine schöne Geste, die das Beziehungsgeflecht von 1912 beleuchtet.

Die „Sonderbund-Ausstellung“ allerdings, das lässt die jetzige Rekonstruktion erkennen, war nicht die einzige und entscheidende Veranstaltung, mit der sich die moderne Kunst in Deutschland durchsetzte. Herwarth Walden veranstaltete 1913 in seiner Berliner Galerie „Der Sturm“ den „Ersten Deutschen Herbstsalon“ mit der unmittelbaren Avantgarde von Kubismus, Futurismus und Abstraktion. Aber das ist bereits ein weiteres Kapitel in der so schnelllebigen Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.

Köln, Wallraf-Richartz-Museum, bis 30. Dezember. Katalog im Wienand-Verlag, 39,90 €. – Essen, Museum Folkwang, bis 13. Januar, Katalog bei Folkwang/Steidl, 35 €.

Bernhard Schulz

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