Vertikale Gärten: Tropen an der Wand
Patrick Blanc hat ein Stück Regenwald nach Berlin gebracht – sein botanisches Kunstwerk bei Dussmann ist das größte Pflanzenkunstwerk in einem Gebäude in Europa.
Es plätschert beruhigend und das Auge bekommt etwas zu sehen. 6.672 Pflanzen wachsen senkrecht an einer 15 Meter breiten und 18 Meter hohen Wand, ein mit Pflanzen gemalter Dschungel, eine faszinierende Komposition. Diagonal ziehen sich ganze Pflanzenkohorten über das lebendige Gemälde. Patrick Blanc, der Schöpfer dieser „Mur Végétal“, klettert vom Gerüst, nachdem er einem französischen Fernsehteam alles erzählt hat, die Haare grün gefärbt und ein Glas Champagner in der Hand. Patrick Blanc kam vor Weihnachten nach Berlin, um im Kulturkaufhaus Dussmann die letzten Arbeiten an der großen Wand im Veranstaltungsraum zu überprüfen, dort, wo die Sphinx steht. Die bekommt jetzt einen tropischen Hintergrund. Patrick Blanc malt mit Blumen ein lebendiges Gemälde, das hier bei Dussmann erstmals auch mit fünf dezenten Wasserfällen und Fischen arbeitet. Es ist – nebenbei bemerkt – die größte Gartenwand, die er in Europa je in einem Gebäude gestaltet hat.
„Mittlerweile werde ich eingeladen, um ein Projekt zu realisieren. Ich reise an, schau mir den Ort und die Bedingungen an und dann entscheide ich und schlage vor, was zu tun ist. So etwa in Bahrain. Dort habe ich mir die Stadt angeschaut und auf der Grenze zwischen Alt- und Neustadt ein ,Grünes Tor‘ entworfen, das an die Tradition der Oasen erinnert. In Berlin wollten sie die Wand erst niedriger haben, aber das geht gar nicht. Man muss einfach in diesem Fall die ganze Wand bespielen. Beim Hotel Athenaeum in London am St. James Park wollten sie die ganze Fassade begrünt haben, doch dort habe ich gesagt, nur die Ecke, das hebt das Ganze besser hervor und setzt einen Akzent. Manchmal ist weniger mehr und umgekehrt. In Berlin ist es eben mehr geworden.“
Patrick Blanc kennt sich mit Pflanzen aus. Alexander von Humboldt hätte seine Freude daran gehabt, ihn kennenzulernen. „Als ich fünf, sechs Jahre alt war, faszinierten mich Pflanzen und Fische. Tropische Fische sind in der Regel klein, also kann man in einem kleinen Aquarium eine ganze große Welt erschaffen. Man braucht dazu noch Pflanzen und Licht.“ Später hat er auf dem Gymnasium in der „Deutschen Aquarien- und Terrarienzeitschrift“ (DATZ), die er noch immer liest, erfahren, dass Pflanzen das Wasser von Nitraten reinigen können. „Das hat mich fasziniert. Man sollte Philodendron mit den Wurzeln ins Wasser setzen, um es zu reinigen. Ich habe ein paar Philodendren bei meiner Mutter im Wohnzimmer abgeschnitten und ins Wasser gesetzt. Und siehe da, die Pflanze ist von selbst gewachsen, wurde immer größer, ich hatte nichts damit zu tun, keine Arbeit, nichts. Und die Pflanze war schön anzuschauen. Heute reinigen viele die Wasserbecken mit Pflanzen. Anfang der sechziger Jahre war das neu.“
So kommen die Tropen an die Wand
Später musste er die Pflanze an der Wand befestigen, da sie immer größer wurde. „Dann habe ich weitere Pflanzen hinzugefügt, die ohne mich weiterwuchsen, später auch an der Wand, so entstand allmählich die ,Mur végétal‘, die ohne alles wächst. Damit war die Idee des vertikalen Gartens geboren. Und ein Jugendtraum war Wirklichkeit geworden.“
Nun kehrt der promovierte Botaniker und Spezialist für tropische Pflanzen in Berlin zu seinen Anfängen zurück, denn erstmals fügt er ein 16.200 Liter fassendes Becken mit Fischen am Fuß der grünen Wand hinzu. „Jetzt ist es hier ein wenig so wie bei mir zu Hause“, sagt er freudestrahlend. Fische, Wasser und Pflanzen, das erinnert an Asien. „Ich bin durch Asien inspiriert, ganz klar. Ich bin mit 19 nach Thailand und Malaysia gereist, um die tropischen Wälder zu studieren.“
Aber wie kommen die Tropen an die Wand? In Berlin kommen 6672 tropische Pflanzen zum Einsatz, insgesamt 157 Arten, darunter Philodendron, Clivie, Begonie und Rachenrebe. Er zeigt einen Ordner mit filigranen Zeichnungen, dünne Formen, die von links unten nach rechts oben ansteigen, und in dem auf jeder neuen Seite neue Formen hinzukommen. In diese Formen sind mit Bleistift jede Menge Pflanzennamen geschrieben. „Die Wasserfallpflanzen sind gesetzt, die müssen unten hinkommen, sie brauchen das Wasser direkt.“ Ganz oben kommen die Pflanzen hin, die nach oben noch wachsen müssen, da ist auch noch Raum zur Ausdehnung. Dann kommen die floralen Formen, Gruppen von Pflanzen, die zusammenpassen, die sich vertragen, die ein reizvolles Ornament abgeben.
Die Geschwindigkeit des Wachstums und das potenzielle Volumen der Pflanzen müssen bei der Planung bedacht werden. Die letzte Seite im Ordner ist voller Formen und Pflanzennamen, für den Außenstehenden ein verwirrendes Bleistiftkrickelkrakel, für Blanc eine perfekte Blaupause für ein Bild. „Ich sehe meine Zeichnung dreidimensional und in Farbe, ich kenne ja meine Pflanzen“, sagt er mit einem wissenden Lächeln. Er genießt das Unvermögen seines Gesprächspartners, aus diesem schriftlichen Konzept ein farbiges Bild zu sehen. Doch das wächst an der Wand. Noch kann man sehen, wie die Pflanzen gesteckt werden, noch muss er einige platzieren und dann wächst das Ganze an.
Vertikale Gärten auf allen Kontinenten
Die Wand besteht aus einem zweilagigen Gitter, das jeweils mit Filz verkleidet ist. In den Filz werden Schlitze geschnitten und darin werden die Pflanzen gesteckt. Ein subtiles Bewässerungssystem oben an der Wand hält den Filz feucht, an fünf Stellen bildet sich wirklich ein kleiner Wasserfall, der nicht nur für Feuchtigkeit sorgt, sondern das beruhigende Plätschern erzeugt. „Der feuchte Filz schluckt den Staub und säubert die Luft. Mikroorganismen werden sich ansiedeln und die Wand beleben. Und ich sage Ihnen, es werden auch Schmetterlinge, Bienen und Vögel kommen. Das war bei anderen Projekten auch so. Ich schaffe mit solch einem vertikalen Garten eine große Biodiversität.“
Pflegeleicht ist solch eine Wand auch, im Prinzip wachsen die Pflanzen vor sich hin, vielleicht muss man in dem konkreten Fall alle drei Jahre einmal schauen und einige Pflanzen beschneiden.
Für Patrick Blanc ist diese Wand bei Dussmann nach dem quadratischen Fenster in der Fassade von Galeries Lafayette in der Friedrichstraße das zweite Projekt in Berlin. Die Wand wächst dort, wo einst eine Wasserwand war, die nicht mehr funktionierte. Frau Dussmann – eine große Naturliebhaberin – hatte sich entschlossen, mit einem Vertikalen Garten die Natur ins Haus zu holen. Die Wasserfälle sind eine Reminiszenz an das alte Wasserspiel.
Blanc kann inzwischen auf ein breites Oeuvre auf allen Kontinenten zurückschauen. Entscheidend war eine Einladung der Pariser Fondation Cartier, eine Außenwand des Museums zu begrünen. Das gefiel dem Architekten Jean Nouvel, der den Künstler für die Fassadenbegrünung des Verwaltungstraktes des Musée Quai Branly in Paris gewann. Der Designer Andrée Putman engagierte ihn 2001 für die Lobby des Pariser Hotels „Pershing Hall“. Von da an bekam er Nachfragen auf allen Kontinenten, von Privatleuten, Institutionen und Firmen. „Vertikale Gärten gibt es jetzt viele“, sagt Blanc, „allein in Rio gibt es zig Boutiquen, die auf zwei mal drei Metern eine Wand begrünen. Aber das ist nicht vergleichbar mit meiner Arbeit. Das ist pure Vegetation.“
Weitere Projekte im Internet: http://www.verticalgardenpatrickblanc.com/
Patrick Blanc: Vertikale Gärten. Aus dem Französischen von Sabine Hesemann. Eugen Ulmer KG, Stuttgart 2009. 192 Seiten. 59,90 Euro.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität