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Smashing Pumpkins in der Columbiahalle: Traurig war gestern

Wildes Rauf und Runter: Die Smashing Pumpkins feiern in der Berliner Columbiahalle sich selbst und den Zeitgeist.

Was Billy Corgan von den Smashing Pumpkins unbedingt sympathisch macht: Er kennt überhaupt kein Maß. Das war schon so, als er mit seiner Band Mitte der neunziger Jahre Alben wie „Mellon Collie & The Infinite Sadness“, „Adore“ oder „Machina/The Machines Of God“ herausbrachte, die allesamt mindestens fünfzehn, sechzehn Songs enthielten. Diese mitunter unnötige Songfülle vermittelte den Eindruck, als wüsste hier ein Bandleader und Songschreiber gar nicht wohin mit all seiner Kreativität, als lebe hier einer einen Rausch nach dem anderen im Studio aus, und nicht im Club oder auf dem Sofa zu Hause.

Und das ist so, als die Smashing Pumkins am Mittwochabend nach zwei Auftritten bei „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ erstmals seit sieben Jahren wieder in Berlin auftreten: mit Billy Corgan vorne an der Rampe, die Gitarre umgehängt und in wehender weißer Robe mit schwarzen Streifen, mit dem langjährigen Mitstreiter Jimmy Chamberlain am Schlagzeug und ansonsten in neuer, ebenfalls ganz in Weiß gewandeter Besetzung an Bass, Gitarre und Keyboards. Über zwei Stunden kennt Corgan kein Pardon. Er spielt und spielt, er holt aus seiner Quäkstimme raus, was rauszuholen ist, und er entschuldigt sich, als er einmal ganz, ganz tief Atem holen muss. Und er stellt sein Publikum in der mehr als ausverkauften Columbiahalle trotzdem auf manche Geduldsprobe, und das nicht nur, weil die Band „1979“, einen der Smashing-Pumpkins-Evergreens, erst zum Schluss spielt.

Denn besonders in der ersten Stunde gefallen sich die Smashing Pumpkins in der Pose ernsthaft bemühter Rocker. Lange und zum Teil völlig unsinnig gniedeln sie vor sich hin und verbeugen sich dann tatsächlich vor einem der schrecklichsten Gniedler des Genres: Uli Jon Roth, einstiges Scorpions-Mitglied, wird von Corgan für zwei Songs auf die Bühne gebeten, um auf seiner siebensaitigen Himmelsgitarre den Joe Satriani in Reinkultur zu geben. Ein Tribut Corgans dafür, dass er zuletzt auf dem neuen Scorpions-Album „Humanity“ ein Ständchen mit Klaus Meine geben durfte und dabei vermutlich Ulrich Roth kennenlernte.

Höchst sparsam streuen die Smashing Pumpkins in ihren Set die Songs, die sie bekannt gemacht und den Alternative-Rock der neunziger Jahre entscheidend mitgeprägt haben, und auch jene ihres neuen, am 6. Juli erscheinenden Albums „Zeitgeist“, mit denen sie jetzt ein Comeback feiern. Dieses ist natürlich nicht wirklich ein Comeback: Aufgelöst haben sich die Smashing Pumpkins zwar im Jahr 2000, doch Billy Corgan machte danach weiter durchaus ähnliche Musik. Er formierte eine Band namens Zwan, mit der er ein bemerkenswertes Album einspielte, das wie ein besonders gutes Smashing-Pumpkins-Album klang, und er veröffentlichte ein Soloalbum, das nicht weiter bemerkenswert war und wie ein schlechtes Smashing-Pumpkins-Album klang.

Die Auflösung seiner Band genauso wie das unverdrossene Weitermachen Corgans hatten was sehr Konsequentes. Zum einen war die hohe Zeit von Grunge und Alternative Rock zum Ende des Jahrtausends vorbei, Bands wie Korn, Limp Bizkit, Linkin Park, Pennywise und andere übten sich auf einmal im Schneller, Härter und Brutaler und trafen damit den Nerv einer jüngeren Generation.

Andererseits verstand Corgan sich mit seiner Musik gar nicht in erster Linie als Teil einer Jugendbewegung, sondern als Dichter und Großkünstler. Hochkultur statt Pop, Kunst statt Wegwerfware, Zeitlosigkeit statt Nirvana. Nur wollte das nie jemand richtig anerkennen. Corgans Problem bestand darin, so charakterisierte ihn Kim Gordon von Sonic Youth einmal, „dass seine Arbeit nicht als kulturell wichtiger Beitrag angesehen wird“.

So ist es dann auch gekommen: Die Songs von Nirvana sind schon lange in die Rockgeschichte eingegangen, natürlich begünstigt durch den Tod von Kurt Cobain. Die Songs der Smashing Pumpkins aber, allen voran die von „Mellon Collie & The Infinite Sadness“, Songs wie „1979“, „Zero“, „Bullet With Butterfly Wings“ und vor allem der Schmachtfetzen „Tonight, Tonight“ wurden ganz sicher nicht weniger gehört und gekauft, fallen aber gern in die Rubrik „peinliche Lieblingslieder“.

Billy Corgan ist nämlich ein Musiker, der genauso gern kompromisslos rockt wie er nichts gegen viel Schmalz und viel Schmelz hat, gegen Streicher und Keyboards. Der sich lieber mit der Sonne, dem Mond, den Sternen und Gott verbündet als explizite politische Botschaften zu verkünden. Und der lieber so slackerhafte Unsinnszeilen singt wie „Emptiness is loneliness, loneliness is cleanliness, cleanliness is godliness, and god is empty just like me“ als ein irgendwie zielgerichtetes Rebellentum zu verkörpern.

Die Worte „Revolution, Revolution“, die Corgan im allerersten Stück in der Columbiahalle herausstößt, wirken insofern einigermaßen befremdlich, zumal vor dem Hintergrund einer schwarzweißen Stars&Stripes&Smashing-Pumpkins-Flagge, die sofort nach Abschluss dieses zehn Minuten dauernden, vor allem dem Einspielen dienenden Stückes verschwindet. Auch für das Cover des neuen Albums hat Corgan gewohnt verschwiemelt und undurchsichtig ein Wort wie eben „Zeitgeist“ mit der Abbildung einer im Meer versinkenden Freiheitsstatue verschränkt, und dazu befinden sich auf dem Album zwei Songs, die „United States“ und „For God and Country“ heißen und ganz bestimmt und ganz zeitgeistig und ganz folgenlos sehr Anti-Bush sind. Vielleicht meint Corgan jetzt ja wirklich, politische Sensibilität demonstrieren zu müssen. Wohler fühlt er sich, das spürt man in der Columbiahalle, als bloßer, vor sich hin rockender Großmusiker, der inzwischen auch die Kunst beherrscht, sich allein mit einer Akustikgitarre vor ein Publikum zu stellen.

Die Songs, die Corgan allein performt, sind einer der Höhepunkte des Konzertes. Sehr betörend klampft er besagtes „For God and Country“, hingebungsvoll spielt er einen Song, in dem er die Sterne besingt, „We are stars“, und auch zwei Liebeslieder von dem lange unterschätzten Smashing-Pumpkins-Album „Adore“ sind dabei. Schließlich geht dieser Set langsam über in die ersten Pianoklänge von „Tonight, Tonight“, und nach und nach kommt die Band (ohne Roth, pu!) wieder auf die Bühne, um mit Corgan die vielleicht ultimativste Hymne des Alternativ-Rocks der neunziger Jahre anzustimmen und dann auch gleich den toll-strammen Rocker „Tarantula“ folgen zu lassen, der ersten Singleauskopplung von „Zeitgeist“

Es ist dies ein Konzert, das gut das Schaffen der Smashing Pumpkins im vergangenen Jahrzehnt abbildet: ein wildes Rauf und Runter, mit der einen oder anderen Tiefe, wie eben der merkwürdige Auftritt von Roth. Mit so manchem soliden Leerlauf, mit nicht wenig Rocktheater, mit Songs selbst von den ganz frühen Alben der Band. Und dann wieder mit vielen magischen Momenten, wie der zuletzt stramm und straight vorgetragene Hit „1979“. Darüberhinaus demonstriert dieses Konzert aufs Beste, gerade weil die neuen Smashing-Pumpkins-Songs so gut funktionieren, gerade weil an diesem Abend kaum ein Mensch auf der Suche nach einer verlorenen Zeit ist: Die Jetztzeit muss weiß Gott und Billy Corgan noch lange nicht den Löffel abgeben. Ein Pseudocomeback wie dieses ist doch allemal mehr wert als all die Comebacks von vermeintlich ewigen Supergroups wie Who, Genesis oder The Police. Gosh!

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