Rundgang: Traumschiff im Häusermeer
Die Schaubühne war einst ein Kino. Jetzt zeigt eine Ausstellung die Geschichte des Baus von Erich Mendelsohn.
Der berühmte Architekturkritiker Julius Posener schäumte vor Wut. Vorher, als der Abriss drohte. Und nachher, als für 81 Millionen D-Mark eines der schönsten Gebäude aus der Weimarer Republik, Erich Mendelsohns Kinobau am Kurfürstendamm, gerettet worden war. Gerettet, das hieß: erst zu zwei Dritteln abgetragen, dann unterkellert, mit der neuesten Theatertechnik versehen und schließlich mit einer Replik der Originalfassade wiederaufgebaut, um als „Schaubühne am Lehniner Platz“ 1981 seine Glastüren zu öffnen.
In einer Talkshow wetterte Posener, die Theatermacher hätten mit dem Innenausbau gegen die „dynamische Form“ des Hauses gearbeitet, das mit seinem aufragenden Turm über der geschwungenen Fassade noch wie ein vorwärtsdrängender Ozeandampfer wirkt. Die Entkernung komme, so Posener, einer „Vergewaltigung“ gleich. Denn Mendelsohn, das zeigen Fotos aus der Zeit, hatte nicht nur bei der Form des Baukörpers, sondern vor allem bei der Gestaltung des Foyers und des Zuschauerraums auf großartige Weise mit U- und Hufeisenformen gespielt. Sie sogen den Besucher förmlich in eine bauchige Tiefe und schleuderten ihn danach an den gebogenen Seiten entlang wieder pfeilartig nach draußen. „Das ganze Haus ist Schwung, Rhythmus, Schwingung“, schrieb eine Zeitung 1928 nach der Eröffnung. Und nun öffnete sich innen ein mit Beton ausgekleideter Hallenschlund, der durch Rolltore unterteilt und dessen Bodenhöhe durch spektakuläre Hubpodien verändert werden kann. Multifunktional. Und überaus praktisch fürs Theaterspiel.
Allerdings war im Inneren schon vor dem Umbau kaum etwas vom Original mehr erhalten, weshalb Posener auch kleinmütig einräumte, dass der Bau wohl ganz verloren gewesen wäre, wenn Peter Stein und Jürgen Schitthelm von der Schaubühne am Halleschen Ufer sich seiner nicht angenommen hätten.
In einer Ausstellung im Foyer, die zum 125. Geburtstag des Kurfürstendamms die Geschichte des Gebäudes dokumentiert, kann man jetzt begutachten, wie es aussah, als die Truppe der Schaubühne das Gebäude 1975 erstmals besichtigte. „Wie in einer Ruine“, sagt Jürgen Schitthelm, der als dienstältester Theaterleiter Deutschlands der Bühne als Direktor noch immer vorsteht. Alle Kino- und Tanzlokal-Betreiber, die nach dem Krieg ihr Glück versucht hatten, waren gescheitert. Zuletzt Rolf Eden, der Ende der Sechziger große Pläne mit einem Musical-Theater hatte, die er bald begraben musste. Zur Premiere einer Dracula- Sex-Show kamen acht Besucher. Drei Jahre stand das Haus daraufhin leer. „Tauben, Schutt, manchmal haben sogar Obdachlose hier geschlafen“, sagt Schitthelm.
Mit dem schon geplanten Abriss wäre nicht nur der „schönste Kinobau, den Berlin je besessen hatte“ (Posener) verschwunden, ein ganzes städtebauliches Ensemble wäre ruiniert gewesen. Denn Mendelsohn, den sein expressionistischer Einstein-Turm in Potsdam 1921 schlagartig berühmt gemacht hatte, war Mitte der zwanziger Jahre mit der Gestaltung eines ganzen Areals beauftragt worden, dem letzten freien Gelände am oberen Kurfürstendamm, das dem Verleger Hans Lachmann-Mosse gehörte. Dessen Frau besaß die Wohnungsbaugesellschaft Woga und wünschte sich von Mendelsohn eine kleine Stadt in der Stadt, einen Komplex mit Kulturstätten, Einkaufsmöglichkeiten und Wohnhäusern.
Mendelsohns Entwurf umfasste zwei Kopfbauten zum Kurfürstendamm, zwischen denen eine Ladenstraße auf ein Quergebäude zuläuft. Dahinter schließt sich eine Wohnanlage an, die zur Cicerostraße mit einem Geschossbau abschließt, dessen geklinkerte wellenförmige Balkone die Fassade horizontal unterteilen und damit das See- und Schiffsmotiv des rechten Kopfbaus – die heutige Schaubühne – aufnimmt, in dem das Premierentheater der Ufa untergebracht war. Was Mendelsohn vorschwebte, beschrieb er so: „Kino? Filmspiel, Theater der Bewegung! Bewegung ist Leben. Wirkliches Leben ist echt, einfach und wahr. Deshalb keine Pose, keine Rührmätzchen.“ Mit dem Rausch der „neuen Sachlichkeit“ war es bald vorbei – schon 1931 verlor die Ufa das Interesse an dem Kino. 1937 fand der erste Umbau statt, zur Eröffnung des neuen Kinos „Luxor Palast“ prangte auf dem Dach ein Aufbau aus Holz!
Als die Schaubühnencrew mit dem Architekten Jürgen Sawade ihren Umbau plante, unterwarfen sie den Innenraum zwar ganz ihren multifunktionalen Theaterbedürfnissen, gingen bei der Restaurierung der Fassade und dem einsehbaren Bereich sehr akribisch vor. Geländer und Säulen im Kassenraum und im lang gestreckten Foyer schimmern messingfarben wie Schiffsgeländer. Für den Boden nahm man Solnhofer Platten, die Mendelsohn in anderen Gebäuden verwendet hatte. „Der Entwurf Mendelsohns war kühn, aber bei der Ausführung wurde gespart. Die Ziegel an der Außenwand zum Beispiel waren Ausschuss“, sagt Jürgen Schitthelm. Aus Unterlagen ging hervor, dass die Original-Ziegel aus einem Ort in Schleswig Holstein stammten. Sawade fuhr hin und fand tatsächlich Herren im Rentenalter, die in den Zwanzigern in der längst geschlossenen Brennerei gearbeitet hatten und sich bereit erklärten, die nötigen Ziegel nach dem alten Verfahren herzustellen. Der Effekt: jeder Stein sieht anders aus, was spektakuläre Farbeffekte bei Sonnenschein zur Folge hat. Allerdings waren die deutschen Maurer nicht in der Lage, die Steine angemessen zu verbauen. „Hochtief musste erst türkische Maurer aus Istanbul einfliegen lassen. Die sprachen kein Deutsch, verstanden aber sofort, worum es ging.“
Das wiederentdeckte Gebäudes wurde, nachdem die Schaubühne 1981 ihren Betrieb aufnahm, bald vom Ruhm der Schauspieltruppe um Peter Stein in den Schatten gestellt. Dennoch: „Täglich hält ein Bus vor dem Haus“, sagt Jürgen Schitthelm. „Menschen strömen auf den Vorplatz, um das Ensemble zu fotografieren. Da wird mir jedes Mal bewusst, in was für einem Gebäude wir eigentlich arbeiten dürfen.“
„Der Mendelsohnbau am Lehniner Platz“: Foyer der Schaubühne, geöffnet eine Stunde vor Beginn der Vorstellungen