Klassiker: Traumreisen mit Fellini
Fantasie ohne Grenzen: Federico Fellini war nicht nur einer der großen Regisseure des 20. Jahrhunderts – er versuchte sich auch als Comic-Autor. Jetzt kann man seine von Milo Manara gezeichneten Geschichten neu entdecken.
Dieser Vogel fliegt nirgendwo mehr hin. Verrottet und von Wasserpflanzen überwuchert liegt ein Flugzeugwrack am Boden eines Sees, in den eine junge Frau versehentlich fällt. Doch als sie ihren Schreck überwunden hat und an das Wrack heranschwimmt, geschehen zauberhafte Dinge.
In dem Flugzeug begegnet sie dem Regisseur Federico Fellini, der vorher noch am Ufer des Wassers gesessen hatte. Fellini und ein paar Wegbegleiter schicken sich an, in dem Wrack eine Reise zu unternehmen – und schon erhebt sich das marode Flugzeug dank der Kraft der Fantasie aus dem Wasser in die Wolken, und ab geht’s quer über den Atlantik zu einer Reise nach Mexiko, die nicht weniger traumhaft und mysteriös ist als der Auftakt dieses surrealistischen Abenteuers.
„Die Reise nach Tulum“ heißt die Erzählung, die auf einem autobiographischen Reisebericht des 1993 gestorbenen Regisseurs Federico Fellini basiert und in den 80er Jahren von dem vor allem für seine erotischen Frauenbilder bekannten Italiener Milo Manara in Zusammenarbeit mit dem Autor als Comic umgesetzt wurde.
Jetzt ist das fantastische Werk in einer opulenten Neuauflage bei Panini auf Deutsch erschienen, zusammen mit der zweiten Kooperation Manaras und Fellinis, „Die Reise des G. Mastorna, genannt Fernet“ sowie umfangreichen Skizzen und Hintergrundinformationen zur Entstehung der beiden Erzählungen.
Giftige Fische, archaische Rituale, aztekische Mythen
Angesichts der überbordenden, farbenfrohen Opulenz von Fellinis Filmen sind diese farblich zurückhaltend gestalteten grafischen Erzählungen dank des hyperrealistischen Zeichenstils von Manara bemerkenswert klar und konzentriert geraten,
wenngleich nicht weniger fantastisch und alle Grenzen der Realität sprengend.
In der Hauptgeschichte, die in perfekt ausgeführten Schwarz-Weiß-Bildern erzählt wird, geht es um eine bewusstseinserweiternde Reise Fellinis und seiner Entourage nach Mittelamerika, inspiriert von den Lehren des US-Anthropologen Carlos Castaneda, den Fellini bewunderte.
Basierend auf einer von Manara illustrierten Fortsetzungsreisereportage in der Mailänder Tageszeitung „Il Corriere della Sera“, erzählt der Comic mit einer heutzutage fast etwas antiquiert anmutenden Begeisterung für diese Art von bewusstseinserweiternde Erfahrungen von den mysteriösen Begegnungen und magischen Verwicklungen der Fellini-Truppe bei ihrer Reise, die sich von einer Erkundungstour immer mehr zu einem Drogen- und Fantasietrip entwickelt, bei dem giftige Fische und archaische Rituale, aztekische Mythen und diabolische Herausforderungen eine wichtige Rolle spielen – und natürlich immer wieder auch die Schönheit des weiblichen Körpers, der Manara aus fast jeder denkbaren Perspektive huldigt.
Diese offenherzigen Frauenbilder mögen einst bei ihrer Erstveröffentlichung eine dramatische Wirkung gehabt haben - frivol und gewagt oder provokant sexistisch, je nach Perspektive. Heute, in Zeiten virtueller Körperbilderfluten im Internet, wirken Manaras Nackte eher rührend altmodisch, wie Pin-Ups aus vergangenen Zeiten.
Der Auftakt einer umfangreichen Werkausgabe
Die zweite Geschichte beginnt ebenfalls in einem Flugzeug. Nach einer Notlandung gelangt der Erzähler – auch hier wieder unschwer als Comic-Alter-Ego Fellinis zu erkennen – auf einer Traumreise in ein verschneites Hotel in den Bergen und wird Zeuge eines Bauchtanzes, an dessen Ende ein Kind geboren wird – erneut eine Geschichte, bei der Fantasie und Realität kaum auseinanderzuhalten sind.
Die prallen, lebensfrohen Episoden werden in der Neuauflage begleitet von umfangreichen Faksimiles der Storyboards und Vorzeichnungen Manaras, die einen tiefen Einblick in die Arbeitsweise des inzwischen 64-jährigen Meisters erlauben.
Das Buch ist der erste Teil einer mehrbändigen Manara-Werkausgabe bei Panini, am 18. November erscheint ein weiteres Ergebnis einer Zusammenarbeit des Zeichners mit einem anderen Meister seines Faches: Die Erzählung „Ein indianischer Sommer“, die Manara zusammen mit dem Comic-Altmeister Hugo Pratt erarbeitet hat.
Manara-Werkausgabe bei Panini, Band 1: "Die Reise nach Tulum" und "Die Reise des G. Mastorna, genannt Fernet", 180 Seiten, Einführungspreis 19,95 Euro, ab 2010: 24,95 Euro.
(Leicht gekürzt veröffentlicht im gedruckten Tagesspiegel vom 18. November 2009.)
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