Ausstellung über Carola Neher: Tödliches Exil
Sie brillierte als Schauspielerin in Brechts Inszenierungen, doch ihre Flucht in die Sowjetunion wurde für Carola Neher zum verhängnisvoller Fehler. Eine Ausstellung im Literaturhaus zeigt ihre Geschichte.
In seinen Erinnerungen „Das Augenspiel“ berichtet Elias Canetti vom dramatischen Abschied der Schauspielerin Carola Neher aus Berlin 1933 und der Trennung von ihrem damaligen Freund, dem Dirigenten und Komponisten Hermann Scherchen. Sie hatte sich in den rumänischstämmigen Studenten Anatol Becker verliebt und war entschlossen, ihm ins Exil in die Sowjetunion zu folgen. Scherchen habe sie beschworen zu bleiben, „sie renne in den sicheren Tod“.
So war es, auch wenn sich das nicht als Vorahnung, sondern als Ausbruch übersteigerter Eifersucht erwies. Scherchen war schließlich selbst, wie der mit beiden befreundete Brecht, kommunistischer Sympathisant und Freund der Sowjetunion. Noch 1951 leitete er in Ostberlin die Uraufführung von Brecht/Dessaus „Verhör des Lukullus“. Brecht hatte 1929 Carola Neher auf ihren Wunsch die Rolle der Polly in seiner Dreigroschenoper anvertraut; es wurde ihre Glanzrolle auf der Bühne und im Film. Und noch in einem nach der Verhaftung 1937 verfassten Widmungsgedicht nennt er ihre Rollenauffassung „vorbildlich“ und klagt: „Ich kann nichts für dich tun“. Seine Briefe in die Sowjetunion seien unbeantwortet geblieben. Brecht und Scherchen wählten in Hitlers Jahren das Exil im Westen und entgingen so dem Schicksal Nehers, die mit ihrem Ehemann Anatol Becker in – so der Titel von Reinhard Müllers Standardwerk über Stalins Großen Terror – der „Menschenfalle Moskau“ saß. Sie starb 1942 im Lager Sol-Iletzk an Typhus.
Ihr Mann wurde erschossen, sie deportiert
Als Brecht auf dem Weg ins amerikanische Exil 1941 die Sowjetunion durchquerte, war Becker bereits als vermeintlicher Trotzkist erschossen, Carola Neher zu zehn Jahren Haft verurteilt und deportiert, ihr Sohn Georg in ein Waisenhaus verschleppt und jahrzehntelang über Namen und Schicksal seiner Eltern im Unklaren gelassen worden. Es bedurfte einer von Willy Brandt unterstützten Petition an Breschnew, um ihm 1974 die Ausreise in die Bundesrepublik zu ermöglichen; eine seltene Ausnahme, wenn kommunistische Opfer Stalins allenfalls in die DDR entlassen und dort zum Schweigen verpflichtet wurden wie Nehers Leidensgefährtin Zenzl Mühsam, die Witwe des im KZ ermordeten Dichters Erich Mühsam.
Im Gedenkbuch für Carola Neher von Memorial Deutschland schildert Reinhard Müller in zwei Beiträgen aus bisher unveröffentlichten Akten das Schicksal der beiden Frauen und – so wörtlich – das „gesammelte Schweigen Bertolt Brechts“ zu Stalins Terror. Den bezeichnete der Dichter nur im privaten Gespräch als „Diktatur über das Proletariat“. Es sei aber „so lange zu vermeiden, sich von ihr loszusagen, als diese Diktatur noch praktische Arbeit leistet.“ Wie diese Arbeit „praktisch“ aussah, muss er schon gewusst haben, als er in einem Gedicht auf seinen 1937 hingerichteten Dichterfreund Tretjakov schrieb: „Gesetzt, er ist unschuldig / Wie mag er zum Tod gehen.“ Dass Neher unschuldig war, wusste Brecht genau, wenn er ihre Verhaftung einen Fehlgriff nannte und seinen Freund Feuchtwanger vorschicken wollte, sich beim sowjetischen Staatsanwalt Wyschinski für sie zu verwenden. Doch der hielt sie, blind und gutgläubig wie er selbst die Moskauer Prozesse beschönigte, für eine „ausgesprochene Trotzkistin“ und unternahm: nichts. Und Brecht, in einer trotzkistischen Zeitung wegen seines Schweigens zum Fall Neher zur Rede gestellt, erwiderte trotz besseren Wissens: nichts.
Ihre Rückkehr zum Theater erwies sich als vergebliche Hoffnung
So war es! Wie der Terror der Diktatur für seine Opfer aussah, kann man in der Ausstellung „Carola Neher, Schauspielerin (1900 -1942)“ im Literaturhaus in Bild und Ton nachvollziehen. Der Gedenkband dagegen beleuchtet nicht nur die „Kontexte eines Jahrhundertschicksals“, sondern dokumentiert auch in seinem ersten Teil die glänzende Theaterlaufbahn der Schauspielerin. Dafür zeichnet Klaus Völker als berufener Autor. Die anrührende Geschichte ihrer ersten Ehe mit dem 1928 verstorbenen Dichter Klabund schreibt Karin Wieland, weitere Beiträge deutscher und russischer Autorinnen und Autoren behandeln das sowjetische Theater und das deutsche Filmexil.
Der Theaterwissenschaftler Peter Diezel steuert ein Porträt und Gespräch mit Carola Nehers Zellengefährtin Hilda Duty und sechs Aufsätze Nehers über deutsche Theaterleute und Kollegen im Exil aus der sowjetischen Zeitschrift „Ogonjok“ bei, darunter Ernst Busch, Erwin Piscator und Alexander Granach, der sich mit einem Beitrag über sie revanchierte: Er kenne „keine ausdrucksvollere Schauspielerin" als Carola Neher: „Ich verstehe Brecht, der extra für sie ’Die heilige Johanna der Schlachthöfe’ geschrieben hat. Wir hoffen, eines schönen Tages zu zweit dieses Stück im – vom Faschismus befreiten – Berlin zu spielen." Vergebliche Hoffnung.
Bettina Nir-Vered u.a. (Hg.): Carola Neher – gefeiert auf der Bühne, gestorben im Gulag. Kontakte eines Jahrhundertschicksals. Lukas Verlag, Berlin 2016. 348 S., 24, 90. Die Ausstellung läuft im Berliner Literaturhaus, Fasanenstraße 23, Mi - Fr, 14 - 19 Uhr, Sa/So 11 - 19 Uhr, bis 11. 12.
Hannes Schwenger
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