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© Illustration: Pedrosa/Reprodukt

Graphic Novel: Tod und Tabu

Cyril Pedrosas "Drei Schatten" erzählt von einem aussichtslosen Kampf gegen das Schicksal, mischt Märchen, Fantasy und Abenteuergeschichte - in einem der schönsten und traurigsten Comics seit langem.

Seine Herkunft als Animationszeichner bei Disney ist Pedrosas jüngstem Werk durchaus anzumerken. Dies betrifft sowohl die expressive Stilisierung der Figuren als auch die Bereitschaft, an den richtigen Stellen mit Pathos aufzuwarten. Es handelt sich jedoch weniger, wie der Hinweis auf Disney vielleicht vermuten lässt, um eine dramaturgische Dehnung des Gefühls, um von der Konstruktion des Plots abzulenken. In seiner Allegorie auf den Kindstod spürt Pedrosa jenen Momenten der Trauer nach, die aus der Hoffnungslosigkeit geboren sind. Sie ist es nämlich, die Louis' und Joachims Flucht vor den titelgebenden drei Schatten beständig wie bedrückend begleitet.

Drei Schatten: Das sind die Boten des Todes, die unvermittelt vor dem Hügel des beschaulich im Wald liegenden Häuschens des kleinen Joachim und seiner Eltern auftauchen und offensichtlich nach seinem Leben trachten. Also tritt sein Vater mittels eines Handelsschiffs eine aussichtslose Odyssee an, um das Schicksal von seinem Sohn abzuwenden.

Pedrosas Finesse besteht nicht nur in seinem prägnanten, expressiv-ausfransenden Pinselstrich, der gelegentlich mit Kreide angereichert wird, um dem Setting eine regelrecht ornamentale Bedrohung anzuverleiben. Dies allein ist bereits eine pure Augenweide, die stets zur Intensivierung des Emotionshaushalts der Figuren eingesetzt wird. Aber er verwebt zudem die Strukturmerkmale verschiedener Genres und Gattungen, sodass eine eindeutige Zuordnung der Geschichte erschwert wird. Elemente von Märchen, Fantasy und Abenteuergeschichte streuen die Ahnung eines vorhersehbaren Handlungsverlaufs, der immer wieder unterlaufen wird, mitunter sogar Irritationen hervorzurufen weiß.

In letzter Not verkauft der Vater sein Herz

Das Resultat offenbart sich dann und wann vorerst als Dynamik ohne Ziel, etwa wenn Figuren eine zunehmende Gewichtigkeit beigemessen wird und sie plötzlich sang- und klanglos abtreten. Es erfasst aber zugleich die Ausweglosigkeit des Vater/Sohn-Gespanns, verlagert sozusagen den internen Unwillen des Vaters, seinen Sohn loszulassen, ins Externe, befällt die Umwelt mit jenem Chaos, vor dem er sie eigentlich schützen sollte. Die unentschlossen erscheinende Erzählungszuordnung konstituiert regelrecht die Empfindungen der Charaktere.

Das Märchen offenbart sich als rabenschwarz: Die Abenteuerfahrt zu Schiff ist Teil der Quest des Fantasy-Rahmens, die damit endet, dass der Vater in letzter Not und doch ohne Rettung sein Herz verkauft.

Was sich da vorgeblich als Pathos offenbart, zeugt nicht nur von Genreeigenschaften, sondern auch von der dichotomen Entscheidungsflucht des Vaters: den Sohn aufgeben oder sein Überleben sichern? Eine Entscheidung, die freilich keine ist, und so verpuffen auch die Rettungsanker, die das Genre hie und da diktieren mag, im Nichts; der zuvor ausfransende Plot verengt sich zunehmend auf den Abschied.

Die drei Schatten verkörpern die materialisierte Unfähigkeit, dem tabuisierten Tod auf Augenhöhe zu begegnen, und machen dieses Buch zu einem der traurigsten Comics der letzten Jahre.

Cyril Pedrosa: Drei Schatten, 268 Seiten, aus dem Französischen von Annette von der Weppen, Handlettering von Céline Merrien, 20 Euro, Reprodukt-Verlag. Leseprobe unter diesem Link.

Sven Jachmann

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