Comic-Klassiker: Tinte ist mein Blut
Jack the Ripper lebt: Alan Moore über seine neu aufgelegte Graphic Novel "From Hell" - und seinen jetzt verfilmten Klassiker "Watchmen".
Als der Königliche Leibarzt Dr. William Gull in einem düsteren, blutverschmierten Zimmer gerade die Prostituierte Marie Kelly in Stücke schneidet, macht in seinem Kopf irgendetwas klick. Plötzlich befindet er sich in einem modernen Großraumbüro. Computer, Kopierer, Handymenschen. „Wacht auf und schaut mich an!“, ruft Gull. Niemand hört ihn.
Die Vision geht schnell vorüber, aber die Verbindung zur Gegenwart ist hergestellt. In seinem faktengesättigten, aber ausdrücklich fiktiven Comic-Epos „From Hell“ porträtiert der englische Autor Alan Moore den Mann, der 1888 im Londoner Stadtteil Whitechapel fünf Frauen bestialisch ermordete, als „Hebamme des 20. Jahrhunderts“. Immer wieder gibt es Blutbilder, Ahnungen – eine Szene zeigt die Zeugung Hitlers. Die Gräuel der Moderne, das ist die Botschaft, nehmen in Jack the Rippers Jahrzehnt ihren Anfang.
Lange vergriffen, ist Moores 1999 erstmals veröffentlichte Version des Ripper-Mythos nun wieder auf Deutsch greifbar. Auf 600 Seiten zeigt der Autor entlang der kongenialen, hart gestrichelten Bilder des Zeichners Eddie Campbell, den Mörder in seiner Zeit. 54 Seiten Anmerkungen geben den gezeichneten Kapiteln zusätzliche Tiefe. Moore begann seine Recherchen genau 100 Jahre nach den Whitechapel-Morden. Zehn Jahre arbeiteten er und Campbell an dem Buch. Es hat sich gelohnt, findet Moore. „Das erste Mal hatte ich das Gefühl, ich habe etwas geschaffen, das die Bezeichnung ’graphic novel’ verdient.“
Pure Bescheidenheit. Moores Karriere begann bereits Anfang der 80er Jahre. Für britische Verlage schuf er zahlreiche Comic-Serien, darunter „V for Vendetta“. Später schrieb er für den amerikanischen DC-Verlag unter anderem „Swamp Thing“ und „Watchmen“, eine Kalte-Kriegs-Fantasie voller ambivalenter, an sich selbst zweifelnder Superhelden. „Watchmen“ gewann 1988 in einer eigens geschaffenen Comic-Kategorie den Hugo-Award für Science-Fiction-Literatur.
Über die Jahre hat der 1953 geborene Moore für sein umfangreiches Werk so ziemlich jede Ehrung erhalten, die die internationale Comic-Szene zu bieten hat, zuletzt den deutschen Max-und-Moritz-Preis. Solche Anerkennung bedeutet dem Autor allerdings wenig. Natürlich sei es „nett“, wenn seine Arbeit geschätzt werde. „Aber die einzigen Standards, die ich beachte, sind meine eigenen.“ Und die sind hoch. Moore ist ein streitbarer Autor, der sich im Lauf seiner Karriere mit vielen Verlagen überworfen hat, vornehmlich in Fragen künstlerischer Unabhängigkeit und geschäftlicher Fairness. Wohl deshalb sind ihm die Arbeiten am liebsten, „die ich selbst kreiert habe und an denen ich die Rechte besitze.“ Dazu gehören „From Hell“, die ab 1999 mit dem Zeichner Kevin O’Neill geschaffene Serie „League of Extraordinary Gentlemen“ und die 2006 erschienene pornografische Erzählung „Lost Girls“, die in 18-jähriger Zusammenarbeit mit Melinda Gebbie entstand. 2007 heirateten die beiden.
So groß Moores künstlerisches Ego auch sein mag – er bleibt stets ein angenehmer, selbstironischer Gesprächspartner. Ihm ist klar, dass es ungewöhnlich klingt, wenn er erzählt, dass er durch die Arbeit an „From Hell“ zur Magie gekommen ist. Eine Grunderkenntnis hat er Dr. Gull in die Sprechblase geschrieben: „Der eine Ort, an dem die Götter unbestreitbar existieren, ist unser Geist, wo sie jenseits von Widerrede wirklich sind, in aller Würde und Monstrosität.“
Magie, sagt Moore, sei für ihn eine Möglichkeit, seine Gedanken zu ordnen. Meditation und Rituale verschaffen ihm Einsicht in seine eigenen „kreativen und psychischen Prozesse“. Eine Comic-Szene versinnbildlicht es: Gull und Netley fahren durch London, stoppen an Kirchen, Obelisken, mystischen Orten. Gull markiert die Punkte auf einem Stadtplan, lässt Netley Verbindungslinien ziehen. Zum Vorschein kommt ein Pentagramm. Eine Idee. Ein Kunstwerk? „Oh, Gott!“ erschrickt der Kutscher. „Ja,“ lacht der Ripper, „doch nicht deiner.“
Seine Familie hat Moore damals gebten, einzuschreiten, sobald sie den Eindruck bekämen, dass er verrückt oder seine Arbeit schlechter würde. „Aber das wurde sie nicht“, sagt Moore. „Sie wurde unglaublich produktiv.“ Bis heute. Gerade arbeitet Moore an einem Buch über Magie, am vierten Teil der „League“, in dem Figuren aus Brechts „Dreigroschenoper“ Hauptrollen spielen – und vor allem an seinem Roman „Jerusalem“.
Moore braucht immer ein Mammutprojekt nebenbei. Etwas, „das groß genug ist, alle meine Ideen unterbringen zu können.“ Wie schon in seinem ersten, 1996 erschienenen Roman „Voice of the Fire“ betrachetet Moore auch in „Jerusalem“ seinen Geburts- und Wohnort Northampton durch die magische Brille.
Eine halbe Million Wörter habe das Buch schon, sagt er. Er sei bei Kapitel 26 von geplanten 35. Der Autor ist also zufrieden, auch die Zusammenarbeit mit seinem aktuellen Verlag läuft gut. Moore ärgert sich nicht einmal darüber, dass „Watchmen“ gerade verfilmt worden ist. Ebensowenig wie er auch nur einen Gedanken an die Hollywood-Adaptionen von „From Hell“ (2001) und „V for Vendetta“ (2005) verschwendet.
Der neueste Film, nur so viel sagt er, werde „mit ziemlicher Sicherheit lächerlich“ werden. Alan Moores Name wird, wie bei den anderen Filmen, nicht im Abspann auftauchen. „Ich will mit diesem kommerziellen Müll nicht assoziiert werden.“ Mit „Watchmen“ habe er damals die „Sprache des Mediums“ erweitern wollen. „Was wir mit Papier und Tinte geschaffen haben, wird der Film nicht übertreffen – auch nicht mit einem Millionenbudget.“
Alan Moore und Eddie Campbell: From Hell. Crosscult Verlag, Ludwigsburg 2008. 604 Seiten, 49,80 €.
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