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Ob am Deutschen Theater, an der Volksbühne oder wie hier bei Barrie Koskys Zauberflöten-Inszenierung an der Komischen Oper: der Pop hält Einzug an Berlins Bühnen.
© Iko Freese / drama-berlin.de

Berliner Kulturbetrieb: Tim Renner und der Einzug des Pop

Mit Tim Renner übernimmt zum ersten Mal ein Kreativer Verantwortung für die Kulturangelegenheiten Berlins. Höchste Zeit sich zu fragen, wie der Umgang mit Pop die staatlichen Institutionen verändert.

Wenn die große Berliner Schauspielerin Margit Bendokat am Deutschen Theater in einem Stück von Dürrenmatt ein Lied von Lady Gaga singt. Wenn Barrie Kosky an der Komischen Oper Mozarts „Zauberflöte“ als Animationsfilm-Revue inszeniert. Wenn Henry Hübchen in der Volksbühne, lange ist es her, sich ans Klavier setzt und eine Beatles-Nummer zum Besten gibt, dann ist das: Pop-Theater? Nur ein Zitat? Ein Allerweltsregieeinfall?

Was wir Pop nennen oder Pop-Musik, findet sich in der sogenannten Hochkultur überall. Im Grunde gibt es diese Hochkultur gar nicht mehr, jedenfalls nicht in der hermetischen Form, die noch in den achtziger Jahren existierte. Christoph Schlingensief und Frank Castorf haben in Bayreuth Richard Wagner interpretiert. Das sagt schon alles. Weil längst alles möglich und durchlässig ist. Hoch und tief, das sind Begriffe aus der Baubranche. In der Kultur taugen sie nicht einmal mehr als Kampfbegriff.

Wenn die Rolling Stones demnächst in der Waldbühne spielen, was ist das? Pop? Rock? Klassik? Wenn Sasha Waltz mit Daniel Barenboim an der Staatsoper „Tannhäuser“ in Szene setzt – ist das eine Off-Produktion?

Die Dinge sind im Fluss. Die Berliner Philharmoniker praktizieren kommerzielle Formen der Vermarktung, gründen ein eigenes Label, die Museen stürzen sich bald wieder in ihre „Lange Nacht“, die Galerien ins „Gallery Weekend“. Es ist kaum noch zu sagen, wo die Grenzen verlaufen zwischen den Kulturen in Berlin. Es sei denn, man schaut aufs Geld. Dann ist es klarer: Es gibt die staatliche finanzierten Häuser, und es gibt die privaten Anbieter. Und es gibt Mischformen wie das Radialsystem, das in jenem Teil der Stadt liegt, im Friedrichshainer Dreh bei der East Side Gallery an der Spree, wo sich der frühere Arbeitsplatz des neuen Kulturstaatssekretärs Tim Renner befindet, im Universal-Gebäude.

Politikneuling Tim Renner weckt Hoffnung

Zum ersten Mal übernimmt einer aus der Szene der Kreativen, ein Manager aus der Privatwirtschaft in Berlin Verantwortung für die Angelegenheiten der Kultur. Renner wird eine Verwaltung leiten, die mit einem Etat von 380 Millionen Euro in diesem Jahr umgeht. Seine Berufung hat Neugier geweckt und die Hoffnung, dass ein Politikneuling andere Perspektiven eröffnet. Befürchtungen gibt es natürlich auch, sie werden nur nicht so deutlich artikuliert: dass ein Pop-Mensch und Plattenverkäufer der komplett Falsche sei für Berlins gewachsene Kulturlandschaft mit drei Opernhäusern und etlichen Schauspiel- und Performancebühnen. Wobei nicht nur das mehrheitlich vom Senat finanzierte Hebbel am Ufer eine kräftige pulsierende Pop-Ader hat.

Tim Renner betritt die Bühne in einem Moment, da die institutionell festgelegten Kulturausgaben der Hauptstadt so hoch sind wie nie, Tendenz steigend. Kulturpolitik gilt als wegweisend und essentiell für die Hauptstadt. Warum sonst wird dem neuen Staatssekretär so viel Aufmerksamkeit geschenkt?

Pop trifft auf Politik: Tim Renner mit Klaus Wowereit.
Pop trifft auf Politik: Tim Renner mit Klaus Wowereit.
© dpa

Tim Renner kommt zu einer Zeit, da die staatlich finanzierte Kultur sich vollgesogen hat mit Pop-Kultur, sich derer Techniken und Ästhetik bedient. Das gilt inhaltlich. Strukturell jedoch hat sich nichts verändert. Berlin versteht sich als kulturelle Großmacht, und der Staat zahlt, zumal der Bund, der sich in seiner Hauptstadt stark engagiert. Zu gut läuft das Tourismusgeschäft, und die Theater, die Museen in Berlin sind voll – zu erträglichen Eintrittspreisen. Kultur ist Berlins Identität. Auch die freie Szene ruft laut nach mehr Staat und Kohle.

Pop-Inhalte greifen nach dem Selbstverständnis

Tim Renner wird all das nicht antasten. Es ist eher so, dass die Institutionen unwillkürlich selbst die Frage nach ihrem Charakter und damit ihrer Zukunft stellen. Was heißt eigentlich Staatstheater? Auf Dauer greifen Pop-Inhalte auch nach der Organisationsform und dem Selbstverständnis. Und da kann der Auftritt eines Tim Renner aus der Privatwirtschaft dazu beitragen, dass sich die Profile schärfen. Dass die Bühnen sich überlegen, warum sie einen „Besuch der alten Dame“ mit Lady Gaga aufmotzen – oder ob ihnen sonst noch etwas zu Dürrenmatt einfällt. Ob es nötig ist, dass ein erfolgreicher Regisseur vier Inszenierungen pro Jahr macht. Oder ob es eine Verantwortung dafür gibt, dass Künstler in geschützten Strukturen nicht verheizt werden – und mit ihnen die Stücke und Stoffe, die den Institutionen anvertraut sind.

Nur ein paar Gedanken zum Kulturbetrieb – angeregt zum Teil von der Tatsache, dass ein Tim Renner und nicht ein alter Kulturpolitikprofi das Amt von André Schmitz übernimmt. Renners erster öffentlicher Auftritt als Staatssekretär ist am Montag im Kulturausschuss des Abgeordnetenhaus. Auf der Tagesordnung: „Aktuelle Viertelstunde. Gedenkjahr 2014. Und: Kein Neuanfang bei der Neuorganisation der öffentlichen Bibliotheken?“ Das sind noch nicht die Gipfel frischer Diskurse, sondern die Dienstwege der Ebene.

Rüdiger Schaper

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