Tangerine Dream: Tiefseetaucher im Ozean der Klänge
Mit Tangerine Dream erfand Edgar Froese vor 40 Jahren den Krautrock. Jetzt inszeniert er eine Oper über Jeanne d’Arc.
Der Mensch hört Musik nicht mit dem Ohr allein. Sondern auch mit der Haut. Oder dem Kieferknochen. Oder dem Magen. „60 Hertz gehen voll auf den Dickdarm. Dort lösen sie über innersekretorische Prozesse etwas aus“, sagt Edgar Froese. „So ein gewisses Gefühl der Erregung.“ 1967 ging er zur TU Berlin und wurde enttäuscht. Das Hirn nämlich macht es nicht so leicht wie der Verdauungstrakt. Er fragte, welche Voltleistung an der Schädeldecke ankommt. Es ist 1 Hertz – zu wenig, um es in direkte musikalische Impulse umzusetzen.
Darm oder Hirn – in dieser Opposition von Techno und Ambient, dem ungleichen Geschwisterpaar der elektronischen Musik, hat sich Edgar Froese ganz auf die Seite des Wohlklangs geschlagen. Als ein früher Pionier der elektronischen Musik hat er zwar indirekt auch Techno mit auf den Weg gebracht. Die schwitzende Darmmusik aber ist ihm zu manipulativ. „Meine Musik ist wie Homöopathie. Der Klang ist mein Botenstoff. Er will nur anstoßen, um dann in völliger Freiheit das auszulösen, was das Individuum an Möglichkeiten besitzt.“
Seit nahezu vierzig Jahren ist Edgar Frose nun schon der kreative Kern von Tangerine Dream. 1965 hatte er Salvador Dali bei seinen Hausfesten in Cadaques assistiert und von ihm gelernt: „Alles ist möglich.“ Mit dem Beuys-Schüler Conrad Schnitzler und dem Ausnahmeschlagzeuger Klaus Schulze produzierte er 1970 die LP „Electronic Meditation“, einen Meilenstein der elektronischen Musik. Der britische Musiker Julian Cope (The Teardrop Explodes) lobte die Platte in seinem 1995 erschienenen Standardwerk „Krautrock-Sampler“ hymnisch als „sehr wilde Scheibe“.
Es folgten drei weitere großartige Alben, doch irgendwann in den Siebzigerjahren steckten Tangerine Dream den Kopf in die Sterne und zogen ihn seither nicht wieder heraus. Sie verwandelten sich bei stetig wechselnder Besetzung in Klangflächen stapelnde Synthesizerbediener, die aus einem wahren Geschützturm elektronischer Instrumente heraus Kathedralen und Konzerthäuser mit Klängen und Farben fluten. Das machen sie heute, da die Instrumentenschränke durch Computer ersetzt sind, und Tangerine Dream nur noch aus Vater Froese und Sohn Jerome bestehen, immer noch besser als die meisten anderen. Aber die Tage des Experiments sind lange vorbei.
Das bedeutet nicht, dass man nicht noch Großes im Sinn habe. Denn wenn das Hirn schon nicht direkt mit Schalldruck massiert werden kann, so vermag man vielleicht doch das Denken auf die Reise schicken. „Ich möchte etwas freisetzen im System. Das kann ein Gefühl sein, eine Erinnerung oder ein gedanklicher Anstoß“, sagt Froese, der die Bezeichnung „New Age“ für sein Werk strikt ablehnt. Seine repetitiven Musikströme haben zwar einen ähnlich langem Atem, und sie pflegen einen ähnlich ozeanischen Höreindruck. Doch wenn es nach Froese geht, soll es beim Klangbad nicht bleiben. Denn wenn der Mensch im Uferlosen treibt, so die Hoffnung, kommen ihm letzte und große Fragen in den Sinn. „Ich will niemanden einlullen. Sondern eine Situation herbeiführen, die das System auf sich selbst zurückwirft.“
Froese sitzt mit seiner Frau Bianca Acquaye, einer Künstlerin, die auch das Artwork seiner Platten gestaltet, in einem indischen Restaurant am Schöneberger Winterfeldtplatz und erklärt sein Kunstwollen. Acquaye nimmt derweil seine Anrufe entgegen. Hier und da schaltet sie sich ins Gespräch ein, wenn sie das Gefühl hat, die Ausführungen ihres Mannes könnten ein wenig Präzisierung vertragen. Froese wirkt wie ein in Würde ergrauter Rocker, langhaarig und lässig, aber sehr bestimmt in der Sache. Seine Sonnenbrille verleiht dem 61-Jährigen einen gewissen Ozzy-Osbourne-Touch, doch mit Rock’n’Roll hat das Schaffen des ehemaligen „Krautrockers“ nichts mehr gemein. Seit einigen Jahren schon arbeitet er an einer Trilogie über Dantes Göttliche Komödie. „Inferno“, eine Art Oper, und „Purgatorio“, die Filmmusik zu einem italienischen Stummfilm, wurden bereits vollendet. Nun arbeitet er am Finale, „Paradiso“. „Eigentlich kann man das nicht vertonen. Nicht umsonst hat Richard Wagner das seinem Schwiegervater Franz Liszt strikt untersagt“, bekundet Froese mit leisem Schalk. „Aber wir sind heute ein bisschen frecher.“ Im September wird das großdimensionierte Werk im Theater von Brandenburg uraufgeführt – mit Chor, Orchester, Elektronik und Sängern.
Bevor es so weit ist, wird im Französischen Dom am Gendarmenmarkt heute ein etwas intimeres Stück aufgeführt: Tangerine Dreams musikalische Fantasie über die französische Nationalheldin Jeanne d’Arc. „Ich bewundere es, wenn jemand für eine Überzeugung sein Leben lässt“, sagt Froese, „erst recht, wenn es eine Frau ist.“ Frauen, findet der Klangpionier, können ohnehin alles besser, in der Politik ebenso wie in der Musik. Und während sich Froeses Frau bereits mit leisem Spott über die Richtung sorgt, die das Gespräch einschlägt, fährt er unbeirrt fort: „Ich verstehe mich nicht als Frauenversteher. Aber ich denke, eine Frau würde keine Kanone abschießen. Sie muss sich nichts beweisen. Ihre Erektion ist das Gehirn.“
Froeses Interpretation weiblichen Märtyrertums ist ein episodenhaftes Stück Programmmusik mit triumphalem Schluss, denn „der Scheiterhaufen ist ein Triumph über die Weltlichkeit“. Dann wird sich ein spielfreudiges Spektakel entfalten und den Dom in Klang und Licht tauchen. Froese versteht das Farbenspiel als Angebot, vor dem man die Augen auch schließen darf. Dann allerdings bleibt nur eine Musik, die für sich genommen recht belanglos wirken kann. Edgar Froese ist nämlich längst kein Musiker mehr, sondern ein ausgesprochen kunstfertiger Zeremonienmeister seines homöopathischen Gesamtkunstwerks, und er arbeitet wie ein Feuerwerksmeister an dessen perfekt arrangierter Verpuffung. „Meine Botenstoffe sind nicht mehr als die stille Aufforderung, sich mit sich selbst auseinander zu setzen“, sagt er und fügt hinzu: „Nennen wir es ruhig Träumen“. Tangerine Dream machen „head music“ fürs Schlafwandeln der Gedanken. Denn das Denken, so wie sie es verstehen, sollte man nicht aufrütteln. Man darf es höchstens wachstreicheln.Tangerine Dream inszenieren ihr Musik-Licht-Spektakel „Jeanne d’Arc – La Revolte Eternelle“ heute und am Samstag im Französischen Dom am Gendarmenmarkt, 21 Uhr.
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