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Kultur: Tief im Osten

Ralf Huettners Komödie „Ausgerechnet Sibirien“.

Vor vierzehn Jahren zauberte der Regiedebütant Peter Lichtefeld mit seinem Roadmovie „Zugvögel – einmal nach Inari“ einen zarten melancholischen Ton in das an chronischer Komöditis darbende deutsche Kino. Neben der bei Kaurismäki ausgeborgten Outi Mäenpää glänzte in der männlichen Hauptrolle Joachim Król als Lagerarbeiter mit einer romantischen Leidenschaft für eine ausgestorbene Kunst: das Studium von Eisenbahnkursbüchern. Lichtefeld hat bis jetzt keinen ähnlichen Erfolg mehr hinbekommen. Doch jetzt kommt mit „Ausgerechnet Sibirien“ eine Geschichte ins Kino, die in Plot und Besetzung auf die Nachfolge zu spekulieren scheint.

Auch hier geht es aus der deutschen Provinz in den diesmal transeuropäischen Nordosten. Auch hier kommt eine geheimnisvolle fremde Frau ins Spiel. Matthias Bleuel („wie bläulich!“) wird von einer Modehandelskette ins sibirische Kemerovo entsandt, um in der dortigen Filiale eine neue Warenverwaltungssoftware einzuführen. Sein Bürokratentum kommt bei der russischen Seele nicht gut an, was der Film mit eher derbem Humor auskostet. Schon auf dem Hinflug werden mit einem Witz auf Kondom-Basis die vertrauten Untiefen deutscher Komödienkultur angepeilt: Vorlage für den folgenden groben Klischee-Kompott aus heiratsgierigen russischen Schönen, Chaos, Wodka und Kalinka-Seligkeit.

Dass zumindest Król anders kann, wissen wir. Hier zeigt er es im kurzen Intro, wo er beim Joggen durch die heimische Reihenhaussiedlung allein mit ein paar kleinen Körperzapplern das Charakterbild eines in allen Lebensressorts beflissenen Pedanten hinlegt. Doch das Drehbuch zieht lieber die emotional übergroße Nummer. So kommt es, dass dem Mann, der seine kühle Logistikerseele freizeitlich an schamanistischen Hörbüchern wärmt, vor der Heimreise eine leibhaftige Schamanentochter über den Weg läuft: Sajana, eine schorische Kehlkopfsängerin, die Bleuel erst mit ihrem Gesang und dann durch ein Libellen-Tattoo so bezirzt, dass der aus seinem bläulichen Angestelltenleben in sibirische Heißluftzonen katapultiert wird.

Regisseur Ralf Huettner, der zur Zeit von „Zugvögel“ gerade mit seinen „Musterknaben“ im Kino abräumte und letztes Jahr mit „Vincent will Meer“ die Lola in Gold gewann, hat ein logistisches Meisterstück abgeliefert. Gedreht wurde an Originalorten teilweise ohne Strom, mitten in der auch im Film prangenden großartigen Natur. Doch „Ausgerechnet Sibirien“ vagabundiert unentschlossen im Terrain zwischen spirituell angehauchter Aussteigerfantasie, exotistischer Fantasie und grobem Männerhumor. Silvia Hallensleben

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Silvia Hallensleben

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