Kolumne "Hingehen": The Revolution was televised
Filmrausch: Kunst, Revolution und Cate Blanchett in Julian Rosefeldts "Manifesto"-Installation im Hamburger Bahnhof.
Als Erstes ist die Projektion einer brennenden Zündschnur zu sehen: Langsam wird sie von der Glut gefressen, Funken sprühen, Flammen tanzen. „All that is solid melts into air“ dröhnt es von oben. Von links dringt Geschrei – was läuft da? Ein anderer Film: Ein Obdachloser zerrt seine Habe durch eine verlassene Industrielandschaft vor Berlin. Mit wildem Gesichtsausdruck kündet er von der letzten Krise des Kapitalismus und der revolutionären Rolle der Kunst.
14 Videowelten durchwandert man in Julian Rosefeldts Manifesto-Installation im Hamburger Bahnhof (bis 10.7., Di–Fr 10–18, Sa–So 11–18). Und jede einzelne ist ein Kunstwerk für sich. Der 1965 in München geborene Rosefeldt, der in Berlin lebt, ist bekannt für seine Videoarbeiten. Für „Manifesto“ hat er Künstlermanifeste zu Monologen collagiert und sie mit Cate Blanchett in der Hauptrolle inszeniert. Die australische Oscar-Preisträgerin sinnt als Börsenmaklerin futuristischen Ideen nach und philosophiert als berauschte Punkerin über Authentizität. Dann wieder spricht sie ein Popart-Tischgebet über dem Sonntagsbraten oder hält eine dadaistische Grabrede.
An ihrem Schauspiel, ihren schier unendlichen Gesichtsausdrücken und Stimmfacetten würde man sich einfach erfreuen wollen, nur: Da drüben tuschelt’s, dort schreit ein Baby – ist das echt oder kommt das aus einem der Videos? Egal, Störung gehört dazu. Ganz von selbst schielt man im Raum herum, weil sich die Videos überlagern, unterbrechen, widersprechen. Jedes versucht sich vorzudrängeln, einen in seine Endlosschleife zu locken. Man gerät zwischen die Fronten dieser poetisch-revolutionären Visionen. Nur in einem wiederkehrenden Moment löst sich die Spannung: Alle Blanchetts richten ihren Blick starr in die Kamera und die Kakophonie der Stimmen und Bilder fügt sich symphonisch zusammen. Als solidarisierten sie sich in ihrem Mut zur Utopie und ihrer Leidenschaft für die Kunst.
Carolin Haentjes
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