Eröffnungsfilm: The International: Peanuts, Piepen, Projektile
Kapital böse und extra langsam: Tom Tykwers "The International" will das Thriller-Genre zu seinen Ursprüngen zurückführen. Doch das Konzept des Banken-Krimis erweist sich als grotesk anmutendes Missverständnis.
Lobenswert das alles. Das beherzt gesetzte Thema. Der Mut zur Moral. Das einem schönen Genre-Traditionsbewusstsein sich verpflichtet fühlende Timing der Szenen. Die geschmeidige Arbeit der Kamera. Die treffende Wahl der Locations. Lobenswert das alles, aus einer ersten Ferne. Doch je länger man zuschaut: vielleicht bloß löblich?
Die Fallhöhe zwischen Erwartung und Erfüllung, der im Leben wie in Filmen häufig eine gewisse Tragik innewohnt, beginnt bei „The International“ schon mit dem Sujet. Tom Tykwers scheinbar superaktueller Banken-Thriller eröffnet das auf sein politisches Profil stets stolze Weltfestival Berlinale, doch bei näherem Hinsehen erweist sich der Film als von den jüngsten Ereignissen geradezu grausam überholt. Natürlich können die Macher, die jahrelang an ihrem Projekt gearbeitet haben, nichts dafür, dass der globale Zustand des Kapitalismus und auch die Kritik an den Ursachen seines Kollabierens eine völlig andere Wendung genommen haben. Doch über diese Relevanzdiskrepanz hinwegsehen lässt sich im Kino leider kaum.
Der Banken-Bösewicht ist smart, cool und fast sympathisch
Immerhin, Ulrich Thomsen spielt den Banken-Bösewicht Jonas Skarssen so smart, cool und fast sympathisch, wie wir uns auch die realen White-Collar-Totengräber des Kapitals vorstellen dürfen, die aus purer Gier auf den Weltbörsen unser aller klein Häuschen verzockt haben – zum Wohle ihrer Auftraggeber und zu ihrem eigenen. Als Chef einer Luxemburger Großbank aber zieht Skarssen offenbar den größten Profit aus Waffengeschäften mit Rebellen, die nach ihrem Aufstieg zu Drittweltstaatenführern seine Schuldner werden. Mit anderen Worten: Peanuts aus heutiger Sicht. Da wirkt ein solcher Plot fatal – fast wie einer aus der kapitalismuskritischen Kleinfritzchenperspektive.
Das andere Dilemma von „The International“ dagegen ist hausgemacht. Und wiegt deshalb ungleich schwerer. Tykwer will, das bekräftigt er unermüdlich in nahezu jedem Interview, der Fahrigkeit, Unübersichtlichkeit und thematischen Alogik aktueller Bonds und Bournes einen inhaltlich mindestens so zeitgemäßen, ästhetisch aber viel schlüssigeren Entwurf gegenüberstellen, der sich – von Coppola über Schlesinger bis Pollack – an großen US-amerikanischen Thriller-Vorbildern aus den siebziger Jahren orientiert. Schon recht: Spannung wird dort noch nicht in erster Linie durch jagende Schnitte, jaulende Musik und hektische Schauplatzwechsel erzeugt, sondern durch retardierende Momente, durch Zeit für Schlüsselszenen und überhaupt bewusst gesetzte Langsamkeit, aus der das Drama umso gewaltiger erwachsen kann. Doch Tykwers Konzept erweist sich, gemessen am Ergebnis, als mitunter grotesk anmutendes Missverständnis: Überdeutlich in zahlreichen Situationen, oft peinigend bedeutungshochschwanger in den Dialogen und vor allem viel zu bedächtig taumelt „The International“ dahin.
Der Held tapert durch das äußerst überschaubare Geschehen
Clive Owen spielt den Interpol-Agenten Louis Salinger: Er will dem Bad Banker Skarssen das Handwerk legen, der sich von Regierungen bis zu örtlichen Polizisten alles gefügig macht – menschliche Hindernisse auf dem Weg zur irdischen Allmacht werden von gedungenen Killern geräuscharm beseitigt. Doch Owen treibt diese klassische Thriller-Konstellation, in der der schwarze und der weiße Cowboyhut des Westerns überleben, merkwürdig ad absurdum. Mit bejammernswerter Begriffsstutzigkeit, der die Regie zudem oft auch noch ein riskantes Ritardando spendiert, tapert Salinger durch das äußerst überschaubar sich entfaltende Geschehen. Wie gut, dass ihn da wenigstens seine – im Gefahrenfall stets schnell ins nächstbeste Büro entsorgte – Recherche-Partnerin, die New Yorker Staatsanwältin Eleanor Whitman (Naomi Watts), im Aufzug dran erinnert, zwecks Inbewegungsetzung bitte auf den Knopf zu drücken.
Der Action-Showdown in der späten Mitte, die bombastische Schießerei im – gottlob nur nachgebauten – GuggenheimMuseum, hat in solchem Ambiente etwas nachgerade Extraterrestrisches. Das Zugeständnis aber an zeitgemäße Seh- und Maschinenpistolenmagazinleerfeuerungshörgewohnheiten fordert sogar den Ballistik-Laien sogleich zu neuen bohrenden Fragen heraus: Wie kann ein Kampf bloß zweier gegen viele, bei dem zudem alle Beteiligten meist völlig ungedeckt aufeinanderlosballern, geschlagene dreizehn Minuten dauern? Aber halt, wir sind ja zum Glück im Kino, nicht im Leben.
Im Abgang etwas fad
Jetzt aber Tempo! Und her mit der – im Sinne von Festival-Chefkoch Dieter Kosslick – kulinarischen Filmkritik: Das fraglos sorgfältig angerichtete Amuse-gueule des Festivals mundet im Abgang zwar ein wenig fad, doch schwer verdaulich ist es nicht. Und dies noch, abseits des Innerfilmischen: Dass ein Berliner Regisseur ein US-Studioprojekt mit amerikanischem und deutschem (Förder-)Geld überwiegend am verblüffend verwandlungsfähigen Drehort Berlin gestemmt hat und damit das in Berlin ansässige zweitwichtigste Filmfestival der Welt eröffnet: Auch das ist an dieser Stelle allemal lobend hervorhebenswert.
Heute 17. 30 und 20 Uhr (Urania)