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Powerplay: Bruce Springsteen (Mitte) mit Band im Berliner Olympiastadion
© dpa/Paul Zinken

Bruce Springsteen im Berliner Olympiastadion: "The Boss" spielt alles in Grund und Boden

Immer wieder "One, two, three, four ...": Bruce Springsteen bot beim Stadionkonzert in Berlin dreieinhalb Stunden Powerplay.

Vollgas. Ohne Aufwärmphase. Pure Kraft und Energieausschüttung. Was Bruce Springsteen als Live-Performer durchzieht, kann man nur mit einem Wort bezeichnen: Powerplay. Seine massive Bühnenpräsenz erinnert daran, dass der Rock ‘n‘ Roll als physische Sensation über die Welt gekommen ist. Elvis Presley, Chuck Berry, Little Richard waren Eintänzer,  Hochleistungssportler, Derwische. Springsteen peitscht die Menge auf mit einer kleinen Handbewegung, zur Belohnung gibt es sein gütiges Lächeln mit der blendend weißen Zahnreihe. Und den nächsten Hit.

Das Publikum im Berliner Olympiastadion zeigt sich am Sonntagabend mitsingfreudig und textsicher. Schon beim zweiten Stück, „Badlands“, hat der 66-Jährige die Arena im Griff. Man nennt ihn den Boss, aber eigentlich ist er ein Malocher. Er singt, er spielt, er schreit, er rennt und gestikuliert dreieinhalb Stunden ohne Pause. Gitarrenwechsel wie am Fließband. Eine Nummer geht nahtlos in die andere über. Und weil das hier ein Stadionrockkonzert ist, hat die Musik auch den Charakter von Industrielärm.

Wer subtile Töne sucht, differenzierten Klang, der gehe in die Philharmonie. Oder in die Waldbühne. Konzerte im Olympiastadion scheppern, tosen, klirren. Da ist wohl nichts zu ändern. Steve Van Zandt kommt gelegentlich zu Springsteen ans Mikro für einen Refrain, aber viel ist nicht von ihm zu hören. Nils Lofgren hat in „Because the Night“ – Springsteen schrieb den Song, Patti Smith machte ihn berühmt, und er sie – ein fulminantes Gitarrensolo. Am besten dringt Jake Clemons durch, der Saxofonist, mit seinen peitschenden Einsätzen. Er ist der Neffe von Clarence Clemons, der Jahrzehnte zur E-Street Band gehörte und 2011 starb. An ihn wird bei dem Song „Tenth Avenue Freeze Out“ mit ein paar alten Familienfotos der Band erinnert.

Es wirkt gut getimet und geplant, was Springsteen spontan macht, da ist er wirklich der Boss. Wie er immer wieder unter die Fans geht, Hände schüttelt, mal ein Kind auf die Bühne holt oder eine junge Frau – über der Show liegt die Aura des netten Jungen von nebenan, der etwas zu gut aussieht, um einfach nur ein Nachbar zu sein, und der nun auch längst das Alter der Leute erreicht hat, über die er da singt, die Daddies, die ihn den Fabriken geschuftet haben für nichts und wieder nichts.

Der Boss gibt Zuversicht

Nach „Wrecking Ball“, ein neueres Stück nach der Wirtschafts- und Finanzkrise, kommt dann bald schon „Hungry Heart“. Mitsingen, mitklatschen, pures Konzertglück der erfüllten Erwartung. Dabei ist das ein ziemlich trauriges Lied. Man kapiert: Bruce Springsteen ist der große Tröster. Er wiegelt nicht auf, er gibt den Menschen Zuversicht. Ein melancholischer Optimist.

Man kann nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen, hat Heraklit gesagt - denn andere Wasser strömen nach. So ist es auch, wenn Bruce Springsteen und die E-Street Band 2016 mit den Songs von „The River“ auf Stadiontour gehen. Es sind so ungeheure Wassermassen den Hudson heruntergeflossen, seit der Veröffentlichung des Doppelalbums im Jahr 1980. Wie viele Alben hat er seitdem aufgenommen, wie haben sich die Musik und die Welt verändert! Und doch bleibt „The River“ sein größtes Werk.

In epischer Breite begegnen sich in diesen achtzehn Songs, von denen er an diesem Berliner Abend gar nicht so viele spielt,  das großstädtische Amerika, das unbesiegbare New-York-Gefühl, und das provinzielle New Jersey der traurigen Typen, der Verlierer, der heruntergekommenen Industriestädte, die William Carlos Williams und Philip Roth zum Schauplatz ihrer Literatur gemacht haben, wo die „Sopranos“ zuhause sind; Steve Van Zandt gehörte zum Stamm der TV-Serie.

Es gibt wenige Künstler wie Springsteen, die beides verstehen und darstellen können. Armut und Depression gehören zur Geschichte der USA wie der universale Hegemonieanspruch und die jetzt dramatisch zunehmende Spaltung des Landes. Bruce Springsteen ist dabei immer das gute Amerika. Und was den Fluss des antiken Philosophen Heraklit angeht – vor gut 35 Jahren, als „The River“ herauskam, waren die USA des neuen Präsidenten Ronald Reagan uns nicht weniger unheimlich als jetzt in der Trump-Blase. Man kann also doch noch einmal in den Springsteen-Strom steigen, denn er fließt mächtig und breit, aus frischen Quellen. 

Immer wieder "One, two, three, four ..."

Man wartet auf diesen Song. „The River“. Es ist eine mächtige Ballade, dunkel und abgründig, keine schöne Reminiszenz an die Jugend, durch die die US-Kultur sich ja stets definiert hat. Springsteen holt die Mundharmonika. Er steht auch in der Tradition Bob Dylans, wie man nachher, bei der akustischen Zugabe, noch deutlicher spüren wird. Der Fluss gibt dem Konzert noch einmal eine neue Drehung, es wird dichter. Krachend laut sowieso. Nun schieben sich „Born in the USA“, „Born to run“ und „Dancing in the Dark“ ineinander. Hymne kracht auf Hymne.

Man denkt, es geht nicht mehr lauter, mächtiger, doch Springsteen zählt, zum wievielten Mal, one-two-three-four und wirft sich in das nächst dicke Ding. „Bruuuuuce“, raunt das Stadion, und er winkt: weiter, schneller, lauter. One-two-three-four .... Bei den ersten Takten von „Born in the USA“ gehen die Lichter an im weiten Oval des Stadiondachs. Flutlicht. Flusslicht. Und es ist wie beim Fußball, man fragt sich: wohin spielt er jetzt, was ist die nächste Aktion? Kann er den Druck noch einmal erhöhen?

Die Schlussnummer ist eine klassische Stadionhymne. „Shout“, ursprünglich von den Isley Brothers, anno 1959. Der Boss stellt seine Band vor. Fantastische Musiker, die ihm dienen, mit ihm Geld verdienen und hier im Hintergrund bleiben. 75 Shows umfasst die River-Tour in den USA und Europa, sie begann im Januar und endet im September. Der Ticketumsatz wird auf knapp 140 Millionen Dollar geschätzt. Springsteen, so gehen die Gerüchte, wird als nächstes an einem Solo-Album arbeiten. Und ganz allein kommt er noch einmal auf die Bühne vor dem Marathontor, allein.

Eigentlich hat sich der Auftritt erschöpft. Nicht vorstellbar, was jetzt noch kommen könnte. Vielleicht ein Gute-Nacht-Lied, eine von diesen kleinen, großen Erzählungen. „Thunder Road“: einer dieser traurigen Songs von der Jersey-Küste. New York ist nah, New York ist weit. Die jungen Leute sind fertig mit der High School, wollen nur weg und wissen nicht wohin. Setzen sich in ein Auto und fahren los.

Ein guter Schluss. Ruhiger, weicher. Es gibt ihn auch,  den leisen Springsteen, zumal auf „The River“. Doch in Berlin wollte er den großen Hammer schwingen, über drei Stunden lang. Unglaublich, wie seine Stimme das aushält. Man fühlt sich erschlagen. Keine weiteren Fragen. Mehr Intensität geht nicht. Aber man geht auch mit einem Gefühl der Leere, ausgepowert.

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