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© dpa

Essener Folkwang-Museum: Tempel der Künste

Seine erstes Werk wurde abgerissen, nun steht an derselben Stelle der Neubau bestehend aus Licht, Luft und Altglas-Scheiben: David Chipperfield baut das Essener Folkwang-Museum neu.

Für einen Architekten muss das der Super-Gau sein, wenn sein Werk nach nicht einmal 25 Jahren wieder abgerissen wird – zumal wenn es sich um ein Museum handelt, das doch eine mittlere Ewigkeit halten soll. David Chipperfield war dieses Schicksal des ersten Erweiterungsbaus aus den Achtzigern für das Essener Folkwang-Museum eine Warnung: Sein Neubau steht nun an der Stelle des ungeliebten alten Anbaus.

Doch der britische Architekt braucht sich keine Sorgen zu machen. So sehr ist seine Erweiterung dem erhalten gebliebenen Nachkriegsbau von Horst Loy aus dem Jahr 1960 nachempfunden, den die Essener wertschätzen und unter Denkmalschutz stellten. Einer dauerhaften Liaison von Museum und Nutzern, Künstlern, Kuratoren und Besuchern, steht diesmal also nichts im Wege, zumal Chipperfields Gebäude auch das Entree beherbergt – und Zweidrittel der gesamten Museumsfläche einnimmt.

Auch bei den Museumsleuten ist eine Verunsicherung über adäquate Museumsarchitektur zu spüren. Umso größer die Erleichterung über den glücklichen Wurf von Chipperfield. Vom „Wunder von Essen“ sprach denn auch Direktor Hartwig Fischer bei der gestrigen Eröffnung und kann sein Glück immer noch nicht fassen, dass der Anbau nur dank einer 55-Millionen-Euro-Spende durch Berthold Beitz als Vorsitzenden der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung zustande kam.

Die mit dem Auszug des dort untergebrachten Ruhrland-Museums dringend notwendig gewordene Umstrukturierung drohte im Kulturausschuss der Stadt wegen der Finanzierungsnöte zu scheitern. Die generöse Gabe war deshalb an die Bedingung geknüpft, dass der Bau für die 55 Millionen Euro auch ohne zusätzliche Gelder und innerhalb von zwei Jahren realisiert werden müsse: Der heute 96-jährige Beitz wollte die Eröffnung miterleben. Was für die Zukunft noch mehr zählt: Die Stadt musste ihr Versprechen geben, angemessen für den Unterhalt des Gebäudes zu sorgen.

Aufgrund dramatischer Haushaltsdefizite zeichnen sich jedoch bereits erste Komplikationen ab. Für die noch laufende Sanierung des Altbaus griff der eigens engagierte Bauherr und Generalunternehmer Klaus Wolff ins eigene Portefeuille und sprang kurzfristig als Pächter des Restaurants ein, weil sich für die edle Adresse niemand fand. Im Kulturhauptstadtjahr, dessen wichtigstes Ereignis die Wiedereröffnung des Folkwang-Museums ist, drücken Essen vor allem die Geldsorgen. Berthold Beitz erbat sich deshalb, den Termin nicht im offiziellen Veranstaltungskalender zu führen. Folkwang, das kann für sich alleine stehen. Als erste öffentliche Sammlung zeigte es seit 1921 in Deutschland die Moderne.

So besitzt Essen nun ein großartiges Museum, das Chipperfield für die Stadt, die Sammlung und den Loy-Trakt von 1960 maßgeschneidert hat. Der Brite ist kein Freund großer Gesten, des Guggenheim-Effekts, sondern sucht nach den Spuren des Alten, in die er sich mit Eigenem einfügt, wie er schon beim Berliner Neuen Museum auf kongeniale Weise vorgeführt hat. In Essen orientierte sich der Architekt an der Struktur des pavillonartigen Altbaus, der um zwei Lichthöfe angeordnet ist und dem Besucher eine Mischung aus offenem Terrain und Fluchtort bietet, der Kunst aber schönstes Tageslicht liefert.

Chipperfield greift diese Anregungen auf und variiert sie modernistisch-minimalistisch. Seinen Anbau, durch den sich die Ausstellungsfläche auf 7000 Quadratmeter verdreifacht, ist um drei Lichthöfe angelegt und gliedert sich in kubenartige „Häuser“, wie der Architekt sie nennt. In ihnen sind die Sammlung der Gegenwart, die Fotokollektion, das Plakatemuseum, das grafische Kabinett, die Bibliothek sowie der Saal für Wechselausstellungen untergebracht.

Der Clou aber ist die Verlegung des Haupteingangs, der sich bisher verdruckst in einer Nebenstraße befand, auf die gegenüber liegende Seite zur vierspurigen Bismarckstraße hin, an der das Folkwang-Museum nun selbstbewusst seine Front präsentiert: eine Schauwand aus recyceltem Altglas, das mal grünlich, bläulich, gräulich schimmert. Eine Freitreppe führt hoch zum offenen Innenhof, von dem aus Entree, Restaurant, Buchladen erreichbar sind.

Das alles erscheint licht, kühl, rationalistisch, ein später Nachfahre der Berliner Neuen Nationalgalerie, mit der das neue Folkwang-Museum die tempelartige Anmutung, die gläserne Halle und das gewaltige Fundament gemeinsam hat. Wird Chipperfield nach seinen Inspirationsquellen gefragt, so ist immer auch Mies van der Rohe darunter. Gleichzeitig gibt der Essener Bau eine Ahnung davon, wie die James-Simon-Galerie aussehen könnte, die ab 2013 als Eingangsgebäude für das Berliner Neue Museum gebaut wird und ebenfalls eine große, seitlich heranführende Freitreppe sowie einen lichten, kubenartigen Baukörper besitzt, der von filigranen Stützen strukturiert wird. In Essen benötigt Chipperfield diese breite Basis, um die Höhenunterschiede des Geländes zu überwinden und das gesamte Museum auf einer Ebene zu organisieren.

Das hat etwas mit dem Namen des Museums zu tun: „Folkwang“ stammt aus der Edda-Sage. Der Sammler Karl Ernst Osthaus gab ihn seinem Privatmuseum 1922 in Hagen, er wurde mit dem Umzug nach Essen und dem Wechsel in städtischen Besitz beibehalten und ist auch für Chipperfield Programm: Haus des Volkes. Das soll durch die Ebenerdigkeit, die einfache Erreichbarkeit, die Transparenz, die Einsichtigkeit spürbar werden.

Für Essen ist es ein Quantensprung. Die legendäre Sammlung mit ihren von Karl Ernst Osthaus zusammengetragenen Wegbereitern der Moderne, die der MoMA-Mitbegründer Paul J. Sachs 1932 bei seinem Besuch in Deutschland „das schönste Museum der Welt“ nannte, erhält endlich einen adäquaten Rahmen. Umso größer nun die Enttäuschung, dass die herrlichen Cézannes, Gauguins, van Goghs, Matisses nicht zu sehen sind. Die Kunst bis 1945 soll künftig im Altbau untergebracht werden; der berühmten Kollektion, die während des Nationalsozialismus durch die Aktion „Entartete Kunst“ schlimmste Verluste erlitt, wird im März die erste große Schau im 1800 Meter großen Neubau-Saal für Wechselausstellungen gewidmet sein. Sie soll mit Leihgaben aus aller Welt rekonstruiert werden.

Der Besucher landet also erst einmal eher unsanft in der Gegenwart. Plötzlich erscheinen die Galerien für die Nachkriegskunst erschreckend klein im Verhältnis zur Plaza, dem großzügigen Foyer. Die Amerikaner-Sammlung, die Pariser Schule, Lucio Fontana, Yves Klein, Gerhard Richter, das haben andere Museen des Rheinlands nur einen Katzensprung entfernt weitaus überzeugender zu bieten. Interessante Ansätze zeigen sich da, wo Hartwig Fischer etwas Eigenes versucht und sich ähnlich wie einst Karl Ernst Osthaus in die Zeitgenossenschaft vorwagt und Künstlern seiner letzten Ausstellungen ganze Räume widmet wie Lothar Baumgarten, Simon Starling, Roni Horn und Jessica Stockholder.

Absolute Singularität aber beansprucht die Fotosammlung des Hauses. Ute Eskildsen hat hier zum Thema Menschenbild einen atemberaubenden Parcours mit Werken von August Sander bis Thomas Gurski zusammengestellt.

Nach Essen wird man künftig nicht nur wegen der Werke von Karl Ernst Osthaus oder der Fotosammlung kommen, sondern auch wegen der Architektur.

Der Tagesspiegel-„Sonntag“ veröffentlicht am 31. Januar ein Interview mit David Chipperfield.

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